Almodovars „Julieta“ Kritik: Ruhiger Film um Mutter und Tochter

Thomas Barth 7. August 2016 0
Almodovars „Julieta“ Kritik: Ruhiger Film um Mutter und Tochter

Almodóvar betritt mit seinem neuen Film „Julieta“ wieder seriöses Terrain -nach der Travestiekomödie „Fliegende Liebende“ und dem Horror-Thriller „Die Haut, in der ich wohne“, geht es hier um eine tragische Beziehung von Mutter und Tochter. Eine lesbische Liebe wird in ihrer Verstrickung mit Vorstellungen von Sünde nur angedeutet, die Frauen, um die sich auch dieser Almodóvar dreht, kämpfen mit ganz normalen Schicksalsschlägen.

„Julieta“ beginnt mit starken Symbolen: Eine erotische Statue mit gewaltigem Penis, roter wallender Stoff, der die Anmutung einer Vagina bildet. Die Szene öffnet sich und man erkennt, dass Julieta (Emanuela Suárez), eine Frau um die fünfzig, ihre Habe in Kartons verpackt. Sie will mit ihrem Liebsten, Lorenzo, Madrid verlassen, um in Lissabon ganz neu anzufangen. Doch zuvor muss sie schnell noch eine Besorgung machen und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Sie trifft auf der Straße Beatriz, eine alte Freundin ihrer lange verschollenen Tochter Antía. Beatriz berichtet, sie habe Antía kürzlich in der Schweiz getroffen. Julieta kehrt erschüttert zurück in das Apartment und verschwindet mit ihren Sachen, um Lorenzo, der nichts von Antia weiß, Hals über Kopf zu verlassen. Sie kann nicht mehr nach Lissabon und nimmt sich eine Wohnung in jenem Haus, in dem sie vor langer Zeit mit Antia lebte. Dort schreibt sie ihrer inzwischen erwachsenen Tochter, die gerade 18 geworden, der Mutter den Rücken kehrte, und die inzwischen, wie Beatriz berichtete, selbst zwei Kinder hat, einen Brief. Almodóvar wechselt in eine Rückblende, die die blutjunge Julieta (Adriana Ugarte) zeigt.

Julieta erteilt auf einer Zugfahrt einem aufdringlichen älteren Mann, eine Abfuhr und verlässt ihr gemeinsames Abteil um lieber mit dem schönen jungen Fischer Xoan zu flirten. Kurz darauf nutzt der Alte einen Halt, um den Zug zu verlassen und sich auf die Schienen zu werfen. Julieta plagen Schuldgefühle, doch sie gibt sich dem verheirateten Xoan hin, der von seiner schon lange im Koma liegenden Frau erzählt hatte. Xoan schreibt ihr und sie, die in dieser einen Liebesnacht sein Kind empfing, reist ihm nach in sein Fischerdorf, um zu erfahren, dass just seine Frau starb, ohne noch einmal das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Was als Story kitschig klingt, wird von Almodóvar so raffiniert erzählt und in beeindruckende Bilder gefasst, dass sich eine überzeugende Geschichte entwickelt. Die Tochter Antia wächst glücklich auf, bis Xoan in einem Sturm auf See ertrinkt.

Es geht um enttäuschte Erwartungen, unerfüllte Träume und Sehnsüchte, aber auch um Illusionen und Selbstbetrug. Vor allem geht es um Schuld und Reue, die Menschen auseinander treiben. Almodóvar erzählt nach den Kurzgeschichten der kanadischen Nobelpreisträgerin Alice Munro („Runnaway“) die tragische Lebensgeschichte einer Mutter und ihrer Tochter -ohne zu werten oder zu moralisieren. Julieta zeigt ein neues, freies Spanien, sie lehrt Altphilologie und begeistert sich für griechische Mythen, die Abenteuer, das Meer und die Freiheit preisen.

Ursprünglich sollte „Julieta“ den Titel „Silencio“ tragen, was auf ein wichtiges Element der Handlung verweist: Ein Schweigen, das Unheil bringt. Almodóvars Film zeigt, dass immer dann Unheil droht, wenn die Protagonistin in Schweigen verfällt. Julieta verweigerte dem Alten im Zug das Gespräch, der sich dann umbringt, und Jahre später ihrem Xoan, der daraufhin trotz Sturmwarnung aufs Meer hinausfährt. Aber die Stille der Figuren und die Ruhe, die viele beeindruckende Bilder des Filmes ausstrahlen, machen diesen Almodóvar auch zu etwas Besonderem.

„Julieta“ läuft seit dem 4. August in unseren Kinos. Nachfolgend der Trailer:

Almodovars „Julieta“ Kritik: Ruhiger Film um Mutter und Tochter

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