Belle de Jour: Kritik zu Buñuels Klassiker

Jonas Gröne 18. September 2017 0
Belle de Jour: Kritik zu Buñuels Klassiker

In der Schöne liegt das Verlorene – Luis Buñuels Klassiker Belle de Jour ist eine Psychostudie über das Upside-Down des Bürgertums. Hier die zu verdammende Sexualität, die anzügliche Verführung, da das friedfertige, gute, per se sittliche Leben. In Belle de Jour, nach dem gleichnamigen Roman des französischen Schriftstellers Joseph Kessel, ist es Severine, eine junge schöne Pariserin, die mit Pierre, einem erfolgreichen, handsamen und stattlichen Arzt leiert ist, die sich zwangsgesteuert in jene sexualisierten Gefilde gibt, die für Anstand und Vernunft das äußerste Tabu sind: Madame Anais Wohnung, ein Bordell mit drei Frauen.

Dabei macht der Film zunächst einen ganz unscheinbaren Eindruck, wenn Severine und Pierre in einer Kutsche Waldwege entlangfahren, gewöhnliche Plaudereien führen, bis schlagartig die Stimmung kippt und Severine sich plötzlich am Baum gefesselt wiederfindet, dem Zuschauer bleibt eine Erklärung noch schuldig, und öffentlich ausgepeitscht wird – Dann wacht sie auf, ein Traum also. So und so ähnliche Szenerien schleichen sich in den Film wie Tagträume von Severine, als die sie sich letztlich auch herausstellen. Subtil vernetzt Bunuel die inneren Obsessionen, die sich in Severine publik schlagen wollen, mit jener Gesellschaftsschicht, der diese niederen Strukturen zuwider sind. Das Sujet des Tagtraums liefert dafür den adäquaten Platz, um inneren Gelüsten freien Trieb zu lassen. Der einzige Ort, an dem sie den dunklen sexuellen Trieb, ihre masochistischen Züge hingegen ausleben kann, ist Madame Anais Wohnung, in der sie das anfängliche Genieren schon rasch übergeht und der Zunft von Madame Anais frönt. Durch ein Guckloch schaut Severine zu, wie eine ihre Kolleginnen einem stattlichen Professor nach kurzem Schauspielakt den Hintern versohlt. Das hätte sie sein können und der Zuschauer merkt, dass sie gerne sofort den Platz getauscht hätte: Sie wollte nämlich die Peitsche führen.

Dass es sich bei Belle de Jour um ein nicht minder radikales Unterfangen hält, liegt vor allem daran, dass Buñuel fast schon zu weit geht, wenn er den Obsessionen der Severine einen Lauf gibt, den auch er nicht mehr stoppen wird. Buñuels Figur steht im Spannungsfeld der inneren und äußeren Welt, und hier den richtigen Weg zu finden ist die Geschichte. Wenn der Film ohne Musik auskommt, dann nur, damit ein ungefilterter Blick auf die Figur der Severine entstehen kann. Der Zuschauer soll ihre Verzweiflung, ihre Ausweglosigkeit aus ihrem pathetischen Treiben erfahren. Was Bunuel mit Belle de Jour anfing, führte Michael Haneke mit der Jelinek-Verfilmung Die Klavierspielerin weiter.

Bunuel gelingt aber mit Belle de Jour der Spagat zwischen der bürgerlichen Ideale und dem menschlichen Trieb, dem humanen, aber auch Obskuren, das in einem liegt und den Weg hinaus sucht. Was daran nun dunkel sein soll, lässt Bunuel bis zum Ende offen. Am Ende entscheidet sich Bunuel gegen die Bösartigkeit des Inneren: Allerdings, um zu erzählen, dass dort das Unmenschliche liegt, wo der Mensch die Grenze aus den Augen verliert.

Belle de Jour ist seit dem 07. September in restaurierter 4k-Fassung als DvD und Blu-Ray erhältlich.

Trailer:

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