BOSCH: Kritik zur 1. Staffel der Amazonserie

Marie-Hélène Lefèvre 10. Juli 2015 1
BOSCH: Kritik zur 1. Staffel der Amazonserie

In jedem Mord steckt die Geschichte seiner Stadt“. Geht es nach den Fällen des Morddezernats in Hollywood sieht diese Geschichte mehr als düster aus. Denn im wohl bekanntesten Viertel von Los Angeles verbergen sich die menschlichen Abgründe nicht nur in der Anonymität der Großstadt, sondern besonders im Schein der Einfamilienhaus-Idylle. Der erfahrenen Detective Harry Bosch löst mit seinem Partner Edgar auf unkonventionelle Weise Mordfälle in diesem Viertel und ist dafür auf seinem Revier berühmt berüchtigt. Bei einer Routine-Überwachung eines Verdächtigen kommt es zum Eklat: Bosch erschießt den Mann und muss sich vor Gericht für sein umstrittenes Handeln verantworten. Um sich vom laufenden Gerichtsprozess abzulenken, stürzt er sich in die Arbeit und nimmt einen Fall an, bei dem es um einen 20 Jahre zurückliegenden Mord an einem Kind geht. Die Ermittlungen erhalten eine neue, unvorhergesehene Wendung als der angeklagte Serienmörder Raynard Waits zugibt, den Mord begangen zu haben. Der gewiefte Psychopath sieht in Bosch einen Gleichgesinnten und sucht unnachgiebig seine Aufmerksamkeit. Gleichzeitig spitzt sich die Situation zu: Ein ehrgeiziger Bürgermeisterkandidat will Kapital aus Waits Fall schlagen, Boschs Captain giert nach einem Grund ihn zu feuern und die Affäre, die Bosch mit der schönen aber ungeduldigen Polizistin Julia eingeht, zwingt ihn zu einer heiklen Entscheidung.

Die erfolgreichste Amazonserie

„Bosch“ ist Amazons erste Krimiserie der Serienoffensive „Amazon Originals“, die der Versandhandelsriese 2013 ins Leben gerufen hat. Im vergangenen Jahr konnten die amerikanischen Nutzer über die verschiedenen Piloten abstimmen, unter anderem über „Bosch“. Dessen Pilot fand große Zustimmung, was auch darauf zurückzuführen ist, dass es sich um eine Verfilmung der äußerst erfolgreichen Romanreihe von US-Schriftsteller Michael Connelly handelt. Die erste Staffel umfasst 10 Episoden und ist seit Februar für Amazon Prime-Kunden in der Originalversion abrufbar; seit Ende Juni ist sie auch auf Deutsch verfügbar. Da Amazon, wie auch Konkurrent Netflix, keine konkreten Abrufzahlen öffentlich macht, muss man sich gewissermaßen auf die Aussage von Schöpfer Michael Connelly verlassen, dass „Bosch“ das erfolgreichste Eröffnungswochenende aller Amazonserien hingelegt hat und das am häufigsten abgerufene Programm der Amazon-Mediathek in den vier Wochen nach seiner Veröffentlichung war. Durch diesen Erfolg bestätigt, hat Amazon bereits eine zweite Staffel in Auftrag gegeben.

Die schlaflose Stadt als Protagonistin

Tatsächlich überzeugt „Bosch“ inhaltlich und visuell: Der Look der Serie wird besonders von einer guten Kameraarbeit und einem stimmungsvoll eingesetzten Licht geprägt, was sie visuell hochwertig und ansprechend macht – das Budget dürfte entsprechend groß gewesen sein – und den aktuellen Fernsehserien um nichts nachsteht. Verantwortlich zeichnet dafür unter anderem Executive Producer Eric Overmyer, der auch schon „The Affair“, „Treme“ und „Boardwalk Empire“ mitgestaltete.

Bereits das Intro zeigt, wer die Protagonistin neben Bosch ist, nämlich die Stadt Los Angeles selbst. Gebäudelandschaften werden in der Serie immer wieder als Kulisse in Szene gesetzt und sorgen für eine anziehende aber auch unheimliche Atmosphäre. Nebenbei liefert die Serie eine Art Studie über die Polizei von Hollywood mit ihrer Bürokratie, ihren Machtspielen und Wechselwirkungen mit lokalen Politikern. Die Authentizität der Darstellung ist nicht vergleichbar mit Formaten wie HBOs „The Wire“, welche von Kritikern für ihre authentische Darstellung von Baltimores sozialen Milieus sehr gelobt wurde. Trotzdem beleuchtet die Serie die Komplexität der Polizeiarbeit in vielen Facetten. Mit seiner Grundkonstellation bestehend aus einem Protagonisten mit tragischer Vergangenheit und eigenen Ermittlungsmethoden, einem schreckenerregenden Serienmörder und der Inszenierung des Handlungsortes ähnelt „Bosch“ Serien wie beispielsweise „True Detective“, ohne dieser das Wasser reichen zu können. Obwohl die Serie eine gelungene Bildkomposition, großartiges Licht und atmosphärisch sehr gute Musik mitbringt, bleibt die Regie stets im uns vertrauten Muster der Hollywood-Inszenierung. Technische Raffinessen wie Plansequenzen, Verweise auf das Off etc. sucht der versierte Serienfan vergebens. Auch in Punkto Charakterzeichnung weist „Bosch“ so manche Berechenbarkeit auf, was nicht an den schauspielerischen Leistungen liegt, denn diese überzeugen bis in die kleinsten Nebenrollen. Die Serienfans werden sich auch freuen, das ein oder andere bekannte Gesicht zu erkennen: Ob aus „Lost“, „Fringe“ (Lance Reddick), „The Walking Dead“ (Scott Wilson), „24“ (Annie Wersching und Sarah Clarke) oder „ER“ (Abraham Benrubi). Es war eine ausgezeichnete Idee den 54-jährigen Titus Welliver als Harry Bosch zu besetzen, der bisher in Nebenrollen in „The Good Wife“, „Marvel’s Agents of SHIELD“, „Lost“ und „Sons of Anarchy“ zu sehen war. Seine stoische Spielweise verleiht der Figur eine Aura eines sympathischen Felsen in der Brandung. Das Spiel kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Figur für den Seherfahrenen Film- und Serienfreund einer altbekannten Polizisten-Formel gleicht: Ein Bilderbuch-Antiheld, ein Workaholic mit traumatischer Kindheit, die ihn sozial zum Einzelgänger macht, ein „Haudegen alter Schule“, der nichts mit moderner Technik wie Smartphones anfangen kann, Vorschriften haufenweise missachtet und sich aufopferungsvoll der Gefahr entgegenstürzt, seiner unerschütterlichen Vorstellung von Richtig und Falsch folgend. Fast jeder im Morddezernat, der sich an die Regeln hält, wirkt neben Bosch wie ein machtgeiler, träger Bürokrat, was stark vereinfacht ist. Ein interessanter Gegenpol zur Hauptfigur ist der Charakter des Serienmörders Waits, der von Jason Gedrick psychologisch vielschichtig verkörpert wird.

Die deutsche Synchronisation ist gelungen; wenn man jedoch einmal die Originalversion gehört hat, möchte man sie nicht mehr missen, denn sowohl Gedricks als auch Wellivers Stimme haben einen sehr prägnanten Klang, der durch die Besetzung der Synchronisationsstimmen nicht auf dieselbe Art erzeugt werden konnte.

Achtung, Suchtfaktor!

Die Episoden der Serie waren, wie auch bei Netflix üblich, alle auf einen Schlag abrufbar. Das Schauen mehrerer Folgen auf einmal, das Binge-watching, wird somit nicht nur ermöglicht, sondern ist auch erwünscht, da die Staffel einen durchgehenden Handlungsstrang hat, der erst in der letzten Folge zu einem Abschluss kommt. Einige Episoden weisen Cliffhanger auf; die Länge der Serie, ca. 40 bis 50 Minuten pro Folge, orientiert sich an dem inzwischen standardisierten Format einer Drama-Fernsehserie. Aber Achtung, wer nur eine Stunde Zeit hat, sei gewarnt: Die Serie birgt eindeutig einen Suchtfaktor; durch die spannende Geschichte und das sehr stimmige Gesamtpaket von Handlung und Look wird sie jeden Krimifan in ihren Bann reißen und dem Erfolg von Staffel 1 nach zu urteilen, war das nur der Vorgeschmack auf mehr.

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