„Capital C“ – Kritik zur Crowdfunding-Dokumentation

Jan Lamann 30. August 2015 0
„Capital C“ – Kritik zur Crowdfunding-Dokumentation

Die Vorfinanzierung eines Projekts mittels einer Gemeinschaft von zuversichtlichen Fans – das ist in ganz knappen Worten das Prinzip des sogenannten Crowdfunding. Im Internet existieren zu diesem Zeitpunkt mehr als zwei Dutzend Crowdfunding-Plattformen für internationale Projekte, mindestens ebenso viele national beschränkte Formen finden sich außerdem. Schon seit Mitte der 2000er existiert diese Art der Finanzierungshilfe, doch was genau steckt hinter dem Trend und wie funktioniert das System? Diese Fragen haben sich auch die beiden Filmemacher Jørg M. Kundinger und Timon Birkhofer gestellt, und eine Dokumentation zu diesem Thema gedreht. Liefert Capital C also die passenden Antworten?

Am Anfang steht die Idee

In Capital C bekommen wir Einblicke in das Leben dreier Menschen, die auf Crowdfunding-Plattformen erfolgreich ihre Projekte realisieren konnten. Dabei begleiten die Filmemacher diese Menschen über mehrere Jahre hinweg und zeigen das Auf und Ab kreativer Prozesse. Einer dieser Menschen ist der lebenslustige Individualist Zach Crain, dessen Idee es war, Flaschen mit gestrickten Überzügen zu verschönern und der das Unternehmen Freaker gründete. Des Weiteren bekommen wir Einblicke in das kreative Schaffen von Familienvater Jackson Robinson, der mit seinen selbstgestalteten Pokerkarten auf Kickstarter große Erfolge gefeiert hat, und nun weitere Kartendesigns entwirft. Und zuletzt schauen wir Brian Fargo über die Schulter, dem Entwickler des gefeierten Videospiels Wasteland aus dem Jahre 1988, der einen Nachfolger des Rollenspiels auf die Beine stellte, und dessen Kampagne auf Kickstarter durch die Decke schoss. Im Laufe der Dokumentation werden die Stories dieser drei Menschen von kurzen Statements von mehr oder weniger bekannten Leuten aus der Kreativbranche wie Sascha Lobo oder Seth Godin begleitet.

Capital C setzt ganz auf die sympathischen Protagonisten, und zeigt diese von einer sehr menschlichen Seite, ohne aber den Fokus auf die jeweiligen Projekte und Geschäftsideen zu verlieren. Der sympathische, aber leicht weltfremd wirkende Zach, der mit seinen gestrickten Produkten den Zeitgeist vieler hipper Menschen getroffen zu haben scheint, erzählt voller Leidenschaft, wie sehr er es mag, in der Strickfabrik seine Tage und Nächte zu verbringen um neue Prototypen zu testen. Wir erleben seinen Kampf gegen einen großen Konzern, die sein Produkt nachahmen, und wir erfahren, ob man für eine mögliche Finanzspritze eine Blamage im Fernsehen auf sich nehmen sollte.

Auch erleben wir mit, wie Jackson Robinson des Öfteren mit seinen Lebensumständen hadert, da zwischen seinem Tagesjob und seinem „Crowdfunding“-Zweitjob nicht viel Zeit für Frau und Kinder bleibt. So kommt auch kurz seine Frau zu Wort, die erzählt, wie schwer es sein kann, mit einem Mann verheiratet zu sein, der sich für seine Ideen so sehr aufopfert. Die Begegnung mit Robinson und seiner Familie ist sicher die bewegendste der Dokumentation, zeigt sie doch einen rastlosen Mann, der, von Leidenschaft getrieben, nicht zur Ruhe kommt, bevor sein Projekt beendet ist.

Die Gespräche mit Brian Fargo hingegen, die vom Entwicklungsprozess des Videospiels Wasteland 2 erzählen, bleiben ein wenig blass und zu formell. Eine emotionale Beziehung will sich beim Zuschauer nicht recht aufbauen, was daran liegen mag, dass Fargo sein Privatleben größtenteils ausklammert, und dadurch zwar seriös, aber auch reserviert erscheint. Fargo bat die Crowdfunding-Community 2012 um die Unterstützung bei diesem ambitionierten Projekt, welches auf Kickstarter eine Rekordsumme von 2.933.252 $ einbrachte. Die Kampagne verlief dank der Unterstützung der zahlreichen Fans mehr als wünschenswert und gilt als Paradebeispiel in der Branche. Dieses und weitere ehrgeizige Projekte sind ein Grund dafür, dass Crowdfunding in den letzten Jahren einen großen Zuwachs und viele neue Fans und Unterstützer erhalten hat. Und es ist durchaus interessant mitanzusehen, wie die unterschiedlichsten Menschen auf diesen Plattformen aufeinandertreffen und ihre Ideen mit anderen teilen.

Das Kleingedruckte

Das Konzept des Cowdfunding existiert seit Anfang 2000 und es ist seither genügend Zeit vergangen, um viel aufschlussreiches Material für eine Dokumentation zu sammeln. Leider bleibt Capital C hier weit hinter den Erwartungen zurück und birgt nur wenige neue Informationen; viele offene Fragen werden gar nicht erst gestellt. Zudem haben es die Filmemacher versäumt, diese Art der Finanzierung auch kritisch zu hinterfragen. Äußerungen zu Risiken, Fehlschläge oder gar Betrugsfällen sucht man vergeblich. So äußert sich nur eine einzige Person in zwei lapidar formulierten Sätzen zu möglichen Risiken, ohne konkret darauf einzugehen. Dabei gibt es durchaus Grund zur Vorsicht: in den letzten Jahren gab es ausreichend Negativbeispiele und Projekte, die das Vertrauen auf Seiten der Unterstützer oft überstrapazierten. So stellte sich auch heraus, dass man als Unterstützer wenig Chance auf Rückerstattung hat, sollte es bei einem zu 100% finanzierten Projekt zu Problemen in Herstellung oder Auslieferung kommen. Erst vor wenigen Monaten änderte Kickstarter aufgrund dessen die AGBs ein wenig, doch auch diese Änderung bietet keine volle Garantie auf Rückerstattung. Der Film liefert auch keine Antworten auf rechtliche Fragen, mögliche versteckte Klauseln oder vertragliche Bindungen. Auch auf Copyright-Verletzungen geht der Film nicht ein, obwohl es doch im Falle von Freaker ein konkretes Beispiel gäbe.

Auffällig ist zudem, dass sich der Film gar nicht mit der Gruppe der „Backer“, also den Unterstützern, auseinandersetzt. Leider gibt es kein einziges Interview mit Fans und auch keinen sonstigen Hinweis auf diese sehr lebendige Community, obwohl die Projektbetreiber im Film sogar explizit erwähnen, wie wichtig das Feedback der Community ist. Gerade weil der Film Capital C selbst durch Crowdfunding realisiert wurde, ist es umso unverständlicher, dass die Filmemacher diesen wichtigen Aspekt völlig ausklammern. Einzig die Menschen hinter Freaker berichten in kuzen Auszügen von der Unterstützung durch ihre Anhänger.

Schade ist außerdem, dass die Interview-Clips der Insider und Experten allzu kurz geraten sind und neben dem Haupterzählstrang eher deplatziert und belanglos wirken. Man bekommt fast den Eindruck, die Filmemacher wollten mit diesen kurzen Schnipseln nur eines der angepriesenen Features des Films – exklusive Aussagen von Experten – abdecken. Viel wichtiger wäre z.B. ein Interview mit jemandem wie Tim Schafer und Ron Gilbert gewesen, die Mitentwickler des legendären Computerspiels Monkey Island, die mit ihrem 2012 gestarteten und unglücklich verlaufenen Projekt Double Fine Adventures eine große Debatte zum Thema Crowdfunding auslösten.

Leider setzt sich Capital C nicht mit Fehlschlägen und gescheiterten Projekten auseinander, und man kommt nicht umhin, dem Film diesem Thema gegenüber eine gewisse Naivität und Kurzsichtigkeit vorzuwerfen. Es entsteht fast der Eindruck, man schaue sich einen überlangen Werbefilm für Crowdfunding-Plattformen an, in dem alle angestrebten Ziele reibungslos erfüllt werden können. Und man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass die Filmemacher durch den eigenen Erfolg bei Kickstarter die kritische Betrachtungsweise und Objektivität verloren haben.

Fazit

Bekommt man nun selbst Lust, ein Kickstarter-Projekt zu starten? Schwer zu sagen, denn hierzu liefert Capital C schlichtweg zu wenig aufschlussreiche Einblicke. Tiefer gehende Informationen oder Tipps zum Thema bekommt man hier nicht. Es handelt sich also eher um einen Film über kreativ schaffenden Menschen, die sich via Crowdfunding finanzieren ließen, als um die kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept des Crowdfunding. Schade, hätten zukünftige Projektunterstützer- und Anbieter beiderseits vom Aufzeigen von Schwachstellen und Schwierigkeiten doch profitieren können. Und nur, weil negative Aspekte im Film nicht gezeigt werden, bedeutet dies nicht, dass diese nicht existieren. Die größte Kritik an Capital C gilt also eindeutig der uneingeschränkt positiven Darstellung von Crowdfunding, wodurch der Film massiv an Glaubhaftigkeit verliert. Der Blick hinter die Kulissen und die Frage danach, wie Crowdfunding genau funktioniert bleibt leider unbeantwortet. Somit ist der Film zwar wenig informativ, bietet aber immerhin ein paar interessante Einblicke in die einfallsreichen Visionen der vorgestellten Menschen.

Bleibt nur zu hoffen, dass das gleichzeitig erscheindende Buch „Capital C: Das Crowdfunding-Handbuch“ (Ulrike Sterblich, Jørg Kundinger, Denis Bartelt, Tino Kreßner / Orange-Press / ISBN 978-3-936086-80-5) einen detaillierteren Einblick in das Thema gibt und die vielen offene Fragen, mit denen uns der Film zurück lässt, beantwortet werden.

Capital C läuft ab dem 24.09. in ausgewählten Kinos.

Der farbfilm verleih bietet in Kooperation mit Startnext exklusive Previews zum ersten Kino-Dokumentarfilm CAPITAL C an. Diese sind München, Hamburg, Köln, Berlin und Dresden.

Die genauen Previewtermine:

Stadt

Datum

Uhrzeit

Kino

In Anwesenheit von

MÜNCHEN

Montag, 21.09.

19.00

Monopol Kino

Schleißheimer Str. 127, 80797 München

Jørg M. Kundinger und Markus Sauerhammer, Leitung Kooperationen

HAMBURG

Dienstag, 22.09.

20.30

Studio Kino

Bernstorffstraße 93, 22767 Hamburg

Jørg M. Kundinger und Anna Theil, Leitung Kommunikation

KÖLN

Mittwoch, 23.09

19.00

Filmhauskino

Maybachstraße 111, 50670 Köln

Jørg M. Kundinger und Denis Bartelt, CEO und Mitbegründer Startnext

BERLIN

Donnerstag, 24.09.

19.30

Moviemento

Kottbusser Damm 22, 10967 Berlin

Jørg M. Kundinger und Anna Theil, Leitung Kommunikation

DRESDEN

Freitag, 25.09.

20.30

Programmkino Ost

Schandauer Str. 73, 01277 Dresden

Jørg M. Kundinger und Tino Kreßner, Mitbegründer Startnext

„Capital C“ – Kritik zur Crowdfunding-Dokumentation

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