„Der andere Liebhaber“: Kritik des Doppelgänger-Thrillers von Francois Ozon

Nadine Emmerich 22. Mai 2018 0
„Der andere Liebhaber“: Kritik des Doppelgänger-Thrillers von Francois Ozon

Das Ex-Model Chloé hat Bauschmerzen, seit sie denken kann. Doch die Gynäkologin kann nichts finden, vermutet ein psychisches Problem und überweist die knabenhafte junge Frau an einen Psychotherapeuten. Vielleicht sei sie gestresst, weil sie einen neuen Job suche, sagt die 25-Jährige ihrem Therapeuten Paul. Und unfähig zu lieben sei sie möglicherweise auch. Nur rund 15 Filmminuten später sind die beiden ein Paar, beziehen eine gemeinsame Wohnung, Chloé hat einen Job im Museum – und ihre Bauchschmerzen sind besser. Dennoch wird ihr Unterleib in François Ozons neuem Thriller „Der andere Liebhaber“, der 2017 bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere feierte, noch eine signifikante Rolle spielen.

Für kurze Zeit scheint alles gut, doch dann entdeckt Chloé (Marine Vacth, „Jung und schön“) beim Auspacken der Umzugskisten einen alten Reisepass Pauls (Jérémie Renier) mit einem anderen Nachnamen. Außerdem Fotos von zwei blonden Jungen, die sich zum Verwechseln ähnlich sehen. Chloé entdeckt, dass Paul einen Zwillingsbruder hat, der ebenfalls Therapeut ist. Von Neugier getrieben begibt sie sich bei ihm in Behandlung. Louis gleicht Paul äußerlich bis aufs Haar, ist jedoch ein völlig anderer Typ: zynisch, brutal, besitzergreifend. Er wirft seine neue Patientin beim ersten Treffen nach nur zwei Minuten raus, kassiert aber trotzdem 150 Euro von ihr. Und gleich zu Beginn der dritten Sitzung befiehlt er ihr: „Zieh dich aus!“

Flirt mit dem Horrorfilm

Damit ist auch gesetzt, worum es in „Der andere Liebhaber“ schwerpunktmäßig geht – nachdem schon zu Beginn des Films in Ultranahaufnahme die Kamerafahrt aus einer Vagina heraus gezeigt wurde. Chloé verheimlicht dem sanften Paul, dass sie sich mit dem wilden Louis trifft – und natürlich auch mit diesem schläft -, und verschweigt Louis, dass sie Pauls Freundin ist. Beide Zwillinge zusammen ergäben scheinbar den perfekten Mann für sie. Doch auch die Brüder haben ihre Geheimnisse. Sex, Affären, Doppelleben und gespaltene Persönlichkeiten: Das Drehbuch lässt kaum etwas aus, was in einen Thriller passen könnte.

Bald verschwimmt, was real ist, und was Teil von Chloés Fantasiewelt und ihren Dämonen. Ozon reizt das Doppelgängermotiv bis aufs Äußerste aus, spielt mit Spiegeln, flirtet mit dem Horrorgenre, führt die Zuschauer hinters Licht. Schritt für Schritt bleibt er nah an seiner Protagonistin, bis zur Offenbarung, dass diese nicht nur ein seelisches Problem hat. „Ich wollte das Thema Zwillinge als etwas Faszinierendes, Monströses wie auch Kunstvolles behandeln“, sagt Ozon, dessen Werk lose auf dem Roman „Der Andere“ von Joyce Carol Oates basiert. Das allerdings gerät zu einem komplizierten und konstruierten Unterfangen, in dem nicht nur Chloé den Überblick verliert. Dem Regisseur zufolge ist derweil alles ganz einfach: „Wenn man genau zuhört oder den Film ein zweites Mal sieht, stellt man fest, dass die gesamte Geschichte bereits in den ersten zehn Minuten des Films erklärt wird.“

DVD-Veröffentlichung: 25. Mai 2018

Bild: Mandarin Production

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