„El Incendio“ (2015) Kritik: Mehr Öl ins Feuer

Bernhard 19. August 2015 0
„El Incendio“ (2015) Kritik: Mehr Öl ins Feuer

Neuerdings ist Argentinien die erste Adresse für anspruchsvolles Kino in Lateinamerika, was die diesjährige Nominierung von „Wild Tales“ für den Auslands-Oscar verdeutlicht. Mit „El Incendio“ („Das Feuer“) lief eine argentinische Produktion auch auf der Berlinale 2015.

Lucía (Pilar Gamboa) und Marcelo (Juan Barberini), ein junges Paar, wollen in ein neues Apartment umziehen. Dafür greifen sie auf ihre Ersparnisse von 100 000$ zurück. Die Unterzeichnung des Vertrags verzögert sich allerdings, sodass die beiden gezwungen sind, einen Tag mit dem Bargeld im unsicheren Buenos Aires auszuharren. Nach und nach bekommt das Bild der heilen Beziehung Risse und Lucía und Marcelo provozieren sich gegenseitig immer radikaler. Der Film fängt die 24 Stunden bis zum Termin der Schlüsselübergabe am nächsten Tag ein.

Regisseur Juan Schnitman beschäftigt sich in „El Incendio“ in erster Linie mit dem Innenleben, der Anatomie des Zusammenlebens von Lucía und Marcelo. Dazu verfolgt er zunächst die junge Frau in ihrem Tagesablauf, bei der Arbeit, an die sie als bewusste Flucht in die Normalität klammert. Ein Hustenanfall im Restaurant, wo sie jobbt, ist der Anlass für einen Arztbesuch. Als sie die Symptome beschreiben soll, öffnet sie sich plötzlich dem Doktor und gesteht ihm die Zukunftslosigkeit der Beziehung mit Marcelo. Der Ausbruch aus der verzweifelt gesuchten Routine lässt Lucía vollkommen zusammenbrechen. Erst durch diesen Tag „Leerlauf“ wird sie gezwungen, Marcelos Verhalten ihr gegenüber zu reflektieren.

Der wiederum ist Lehrer in einer Schule und die zentrale Figur der zweiten Episode des Films, die seinen Tagesablauf behandelt. Überfordert mit sich beschwerenden Eltern und Schülern, die ihn sogar mit einem Baseball-Schläger attackieren, flüchtet er in sein nahe gelegenes Elternhaus und gibt sich der Entspannung eines Joints hin. Anders als Lucía, die viel redet und sich so zu befreien versucht, frisst Marcelo allen Frust in sich hinein und strahlt so eine subtile Aggressivität aus. Beim ersten Aufeinandertreffen nach den gescheiterten Versuchen, sich durch Arbeit zu beruhigen, eskaliert die Lage in einen polemischen Streit.

El Incendio -The Fire, das Paar Marcelo und Lucía (c) FiGA FilmsLucía (Pilar Gamboa) und Marcelo (Juan Barberini) (c) FiGa Films

Schnitmans Drama zeichnet sich durch eine klare Linie aus, welche auf eine unausweichliche Klimax zusteuert. Der Titel des Films suggeriert dies schon, denn sowohl Lucía, als auch Marcelo gießen ununterbrochen verbales Öl in das Feuer ihres lange schwelenden Konfliktes. Seine wahre Faszination zieht der Film aus der stark reduzierten Zeitperspektive. In nur 24 Stunden versucht Schnitman, die Höhen und vor allem Tiefen einer festen Partnerschaft auszuloten. Er destilliert Wochen- bis jahrelang zurückgehaltene Emotionen herunter auf einen konfliktreichen Tag, konzentriert sich gleichzeitig auf den Bruch des Staudamms und die folgende Flut der negativen Gefühle, als auch auf die Hintergründe und die Vorgeschichte. Seine Betrachtung des Paares fängt eigentlich nur einen Bruchteil dessen ein, was die beide wohl ausmacht, aber wie mit einem Mikroskop öffnet er dem Zuschauer Blicke auf die darunter liegende Ebene. Die ruhige, geradezu dokumentarische Kameraführung, die fast ohne Schnitte auskommt, und der Verzicht auf klärende Dialoge oder Stimmen aus dem Off lassen seine Inszenierung wie mitten aus dem Leben gegriffen erscheinen. „El Incendio“ legt den Fokus auf Nebensächlichkeiten: So trifft Marcelo im Elternhaus seinen Bruder, sie unterhalten sich über Belangloses wie den absurden Namen einer Band von Freunden. Dann geht der Bruder auch schon wieder, trotzdem bleibt der Eindruck, man habe so mehr über ihn erfahren, als jeder krampfhaft mit Informationen aufgeladener Dialog es gekonnt hätte.

Die beiden Hauptcharaktere in diesem wahren Kammerspiel nehmen sehr unterschiedliche Rollen ein: Gamboas Lucía ist die offensichtlich Leidtragende in der Beziehung. Sie, weit weg von ihrer Familie, zieht in ein Haus in der Nähe des Elternhauses ihres Freundes. Sie ist nervös, fügsam, mütterlich, aber auch unglücklich und alles in allem eine sehr ambivalente Person. Selbiges trifft auf ihren Freund zu. Barberini schafft eine authentische Gratwanderung zwischen cholerischem Macho und unsicherem Softie, der in den Arm genommen werden möchte. Zusammen spielen Gamboa und Barberini das Paar Marcelo und Lucía herausragend und fast unglaubwürdig intim.

„El Incendio“ ist ein neues, starkes Werk aus Argentinien, das den Zuschauer beeindruckt zurücklässt, bilden dramatische und ultrarealistische Momente doch ein hypnotisches Mosaik.

Bitte stimme ab! 🙂