Geister im japanischen Film: „Die Geister, die ich rief“ – Bloggerspecial zu DEADBEAT

Christian Neffe 26. August 2015 2
Geister im japanischen Film: „Die Geister, die ich rief“ – Bloggerspecial zu DEADBEAT

Seit dem 20. August ist die 1. Staffel von DEADBEAT, einer übernatürlichen Comedy-Serie, im Handel erhältlich. Im Mittelpunkt steht der unkonventionelle (man könnte auch sagen faule) Kevin Pacalioglu, der Kontakt mit Geistern aufnehmen kann. Finanzell gebeutelt, will er daraus Kapital schlagen – dass das nicht ohne Probleme geht, liegt auf der Hand.

Was kommt einem zuerst in den Sinn, wenn man an Geister denkt? Bettlaken? Okay. Und als zweites? Vielleicht Halloween. Im Zusammenhang mit Filmen kommt man aber schnell auf klassische Haunted-House-Geschichten: Die ruhelose Seele eines Toten wandelt auf Erden, verfolgt und bespukt die Lebenden (meistens die Nachmieter) und findet im besten Falle schließlich sein Ende bzw. seine Erlösung durch einen Exorzisten oder Bill Murrays Crew. Geister gelten – noch vor dem Zombie – wohl als die prototypischste aller Grusel- und Horrorfiguren und sind dementsprechend verbraucht. Wenn sie uns nicht gerade zum Lachen bringen sollen, können sie uns nur noch Furcht einjagen, indem sie ihre Opfer auf möglichst grausame Art und Weise hinrichten. In der westlichen Erzählkultur sind Geister schwierige Figuren: Dass sie von Autor und Publikum ernst genommen werden, ist eher die Ausnahme.

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V.l.n.r.: Ein Geist und der Autor.

Wenn also das Ziel dieser kleinen Blogparade ist, ein wenig über die persönlichen Film- und TV-Lieblinge jener Ungeheuer-Gattung zu schreiben, dann lohnt sich für mich besonders der Blick über den Pazifik, konkret: nach Japan. Dort hat das Übernatürliche nämlich eine gänzlich andere kulturelle Bedeutung als in Hollywood oder hierzulande.

Der Rachegeist: Sadako Yamamura

Da haben wir zunächst die Yūrei oder (noch bösartiger) die Onryō, die typischen, japanischen Rachegeister, die Ziel eines brutalen Mordes geworden sind oder nicht beerdigt wurden, deren Zorn so gewaltig ist, dass sie nicht ins Jenseits übertreten können oder wollen. Sie verfolgen ihre Mörder, deren Nachkommen oder gänzlich Unbeteiligte, die nur durch Zufall Opfer ihres Fluchs werden. Eine solche Yūrei ist Sadako Yamamura, das Geistermädchen aus Ringu (Ring – Das Original, 1998), gleichzeitig die erste ihrer Art. Ihr Fluch manifestiert sich in einem Videoband, dessen Zuschauer nach 7 Tagen den Tod findet.

Wie genau das geschieht, offenbart der Film von Hideo Nakata erst in seinen letzten 15 Minuten: der Moment, in dem Sadako nach der vermeintlichen Aufhebung des Fluchs aus dem Fernseher kriecht, um den Ex-Mann und Kompagnon der Protagonistin durch ihren puren Blick zu töten, lässt sich mit „Gänsehaut“ wohl am besten beschreiben. Zuvor sehen wir sie nur schemenhaft: Ein fast ausgewachsenes Mädchen mit langen, schwarzen Haaren, die ihr Gesicht verdecken, und einem perlweißen Kleidchen. Erst in diesem finalen Moment zeigt sie sich in voller Größe und aller Deutlichkeit. Und dieser Schock sitzt.

Populärer ist wahrscheinlich Gore Verbinskis Remake The Ring (2002), das sich nur marginal von seiner Vorlage entfernt und insgesamt einen sehr guten Job macht. Doch zum einen ist der Schockmoment in der US-Variante nicht ganz so stark, denn Verbinski zeigt uns bereits in den vergangenen 90 Minuten relativ konkret, wie Samara (so der westliche Name des Ringgeistes) aussieht. Zum anderen – und das sagt wohl am meisten über die kulturellen und filmästhetischen Unterschiede zwischen Hollywood und Japan aus – besitzt Samara zwar die gleiche Frisur und das gleiche Kleid wie Sadako, hat es aber versäumt, beide in den letzten 30 Jahren zu waschen. Ihr Gesicht, ihre Füße und Kleidung sind dreckig und verrottet; und bilden damit einen deutlichen Kontrast zur reinlichen Erscheinung  ihres Vorbildes. Verbinski erwirkt den Schrecken Samaras hauptsächlich über eben jenen Look, während das Horrormoment Samaras vor allem durch ihre unnatürlichen, ruckhaften Bewegungen entsteht. So ähnlich sich beide auch scheinbar sind, so unterschiedlich sind sie bereits in ihrer grundlegenden Gestaltung.

Hollywood vs. Japan

Warum braucht das westliche Publikum diese Umgestaltung? Oder besser: Warum denken die Verantwortlichen in Hollywood, dass das westliche Publikum diese Umgestaltung braucht? „Die wesentlichen Merkmale des Shintoismus [die wichtigste und älteste Religion Japans, Anm. d. A.] sind Geisterglaube, Ahnenverehrung und der schließlich Glaube an eine belebte Natur“, schreibt Marcus Stiglegger in seinem Beitrag über japanischen Horror im Westen. Und weiter: „Während im christlichen Kontext der Glaube an Geister und Monstren als Aberglaube abgelehnt wird, ist der Geisterglaube das wesentliche Merkmal des Shintoismus.

Samara muss also möglichst verfremdet, bedrohlich und verfallen aussehen, um nicht harmlos, albern oder lächerlich zu wirken. Das japanische Original hingegen bedarf einer solchen Verfremdungen nicht: Ihre Existenz ist integraler Bestandteil des kulturellen Kontexts der Japaner und damit per se unheimlich, weil vorstellbar. Ihre bloße, durch Geistergeschichten und Theater festgeschriebene Erscheinung reicht aus, um zu schockieren und benötigt keine Steigerung durch Schmutz und Verfall. Sadako ist ein Meißel, Samara hingegen ein Schlaghammer.

Es lässt sich nicht abstreiten, dass die Yūrei mittlerweile zum Klischee verkommen ist. Filme, Animes, Mangas und Videospiele bedienen (oder bedienten?) sich dieser Figur zuhauf, auch auf zahlreichen ominösen Geisterfotos im Internet taucht sie auf. Wenn die Yūrei weiterhin als popkulturelle Figur relevant bleiben will, muss sie sich verändern – Verbinskis Interpretation ist dabei zu kurz gedacht. Und dennoch kommt man um diese Geister-Art nicht herum, denn sie hat das japanische wie auch das westliche Kino in den letzten 20 bis 25 Jahren erheblich geprägt. Und zudem das Subgenre des „J-Horrors“ etabliert.

Der Naturgeist: Totoro

Doch die japanische Mythologie hat nicht nur bösartige Rachegeister zu bieten, sondern – und das macht sie so interessant – auch deren genaues Gegenteil: die (meist) gutartigen Naturgeister. Teil des Shintoismus ist auch der Animismus, „also grob gesagt der Glaube an die Beseeltheit der Welt“, wie es Stiglegger ausdrückt. Hier wird nicht nur Menschen die Eigenschaft, eine Seele zu haben, zugeschrieben, sondern auch Tieren, Pflanzen, Steinen und selbst Maschinen.
Daraus leitet sich das Hauptmotiv eines der bekanntesten und beliebtesten Filmemacher Japans her: Hayao Miyazaki. Das Werk des ehemaligen Masterminds von Studio Ghibli ist geprägt vom Eingriff des Menschen in die Umwelt – und des daraus resultierenden Widerstandes der Natur. Am offensichtlichsten wird das in Prinzessin Mononoke (1997) zelebriert, als der Geist des Waldes nach seiner Tötung in rasende Wut verfällt. Auch Nausicaä (1984) wartet mit diesem Motiv auf.

Welchen Naturgeist ich hier hervorheben will, das ist der unfassbar liebenswerte Totoro aus Mein Nachbar Totoro (1998), der nicht grundlos zum „Wappentier“ von Studio Ghibli geworden ist. Es ist ein vergleichsweise konfliktarmer Film: hier geht es nicht um die Zerstörung der Umwelt, sondern um rein familiäre Probleme. Totoro wäre für diese Geschichte gar nicht notwendig gewesen und ist dennoch ihr Dreh- und Angelpunkt. Der fluffige Riesen-Hase mit dem debilen Dauergrinsen wächst einem ab der ersten Sekunde seines Auftretens ans Herz und zeigt niemals auch nur einen Hauch von Aggression. Alles, was er will, ist schlafen, fressen, herumfliegen und hin und wieder ein paar Bäume säen, die in wenigen Momenten zu monumentaler Größe heranwachsen.

Totoro ist in meinen Augen ein ganz und gar ungewöhnlicher Film-Geist: er ist (natürlich) keine Horrorfigur, nicht einmal eine dramatische Figur und erst recht keine Witzfigur. Er ist einfach unglaublich sympathisch und wohl einer der besten Freunde und Kuschelgefährten, die sich Kinder – und vielleicht auch Erwachsene – vorstellen können. Und er steht symbolisch für eine friedliche Symbiose von Mensch und Natur, ohne dass dabei die Moralkeule geschwungen wird.

Genau dieser Zwiespalt macht japanische Geister für mich so interessant. Auf der einen Seite des Spektrums die bösartigen, rachedurstigen Horrorkreaturen, die aus den Verfehlungen einzelner Menschen oder der Gesellschaft entwachsen; auf der anderen die gutmütigen, auf die Harmonie und Unversehrtheit der Umwelt bedachten Naturgeister. Beide Konzepte sind auf ihre Art faszinierend und ganz und gar japanisch.

Weitere Geistern findet ihr bei den Bloggerkollegen auf Myofb.de, Kino7.de und Wewantmedia.de

DEADBEAT – Seit 20. August als DVD und Blu-ray erhältlich!

Zur Serie:

Regisseur Troy Miller, der Spezialist für ausgefallene Comedy-Serien, hat bereits mehrfach sein Können und seine Kreativität unter Beweis gestellt – unter anderem in „The Office“, „Parks and Recreation“ und „Arrested Development“. DEADBEAT, seine neueste Regiearbeit, verspricht jetzt jede Menge mysteriöse Spannung: Die Serie erzählt die Geschichte des Faulenzers Kevin Pacalioglu (Tyler Labine), der außergewöhnliche Fähigkeiten hat – der New Yorker kann Kontakt zu Geistern aufnehmen!

Die extrem erfolgreiche Eigenproduktion des US-Videoportals „hulu“ ist in Koproduktion mit „PlanB“ entstanden. Die Produktionsfirma wurde u.a. von Brad Pitt gegründet. Die Serie zählt bereits zwei vollständige Staffeln, eine dritte ist in Planung. In Deutschland läuft die erste Staffel seit Juni auf „Pro7fun“ – ab dem 20. August gibt es die komplette 1. Staffel auf DVD und Blu-ray!

Zum Inhalt:

Kevin Pacalioglu, genannt Pac, besitzt das übernatürliche Talent, als Medium Kontakt zu toten Menschen aufnehmen zu können. Der ansonsten ziemlich glücklose Kiffer versucht mit dieser Gabe ordentlich Geld zu scheffeln. Zusammen mit seinem besten Freund Roofie hilft er fortan einer nicht enden wollenden Reihe störrischer Geister aus New York ihre offenen Rechnungen in der Welt der Lebenden zu begleichen. Pac hat allerdings nicht mit dem Widerstand seiner größten Rivalin – dem prominenten und äußerst attraktiven Medium Camomile White – gerechnet…

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