Kritik zu „ES“ – Es tut gruseln

Tobias Ritterskamp 29. September 2017 0
Kritik zu „ES“ – Es tut gruseln

Dass man mit einer Kinoadaption von Stephen Kings im Jahre 1986 erschienenen Roman Es den Horrorclown Pennywise nun auf der großen Leinwand sein Unwesen treiben lässt, scheint gar nicht so selbstverständlich. Schließlich haftet an einigen King-Verfilmungen zum einen der Ruf eines Flops (aktuell Der dunkle Turm) und andererseits delegiert der Roman aufgrund seines Umfangs von knapp über 1500 Seiten eine große Verantwortung an diejenige Person, die ihn für die Lichtspielhäuser inszenieren darf.

Der Argentinier Andrés Muschietti, der mit seinem Kinodebut Mama einen zumindest finanziell erfolgreichen Horrorstreifen in die Kinos brachte, wurde als Regisseur verpflichtet. Eine sehr gute Entscheidung, denn It, so Muschietti in einem Interview, „is probably the most loving letter to childhood“. Und das zeigt sich auch im Film, denn wie in Stephen Kings Romanvorlage gelingt es auch diesem, einen Einblick in das Leben, ja die Lebensumstände von jungen Heranwachsenden zu gewähren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der gesamte Film auf der Kindheitsebene angesiedelt ist und sich Zeit für die Entwicklung seiner Charaktere nimmt, indem er wie eine Taschenlampe in den Alltag seiner Protagonisten hineinleuchtet. Während der eine stottert, der andere mit seinen Coke-bottle glasses eine Trashmouth-Agenda fährt, haben die restlichen Mitglieder mit rassistischen Vorurteilen, lästigen Helikoptereltern und Missbrauch zu kämpfen. Alle haben ein Laster und werden auch noch vom Prügelknaben Henry Bowers (Nicholas Hamilton) und seiner Schlägerkolonne malträtiert. Kein einfaches Leben in der Kleinstadt Derry. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, bekommen es die „Loser“ auch noch mit dem transzendenten Horrorclown und bad ass motherfucker Es alias Pennywise (Bill Skarsgård) zu tun, der Kinder zum Fressen gerne hat, vor allem, wenn sie Angst haben.

Eines ist klar, die sieben Kinderdarsteller, die hier den „Club der Verlierer“ bilden, erweisen sich als großer Glücksgriff für die Erzählung einer Coming-of-age-Geschichte flankiert von wirksamen Horrorelementen. Das gilt für die ganze Kinderriege und doch sei es erlaubt, einen Darsteller hervorzuheben. Finn Wolfhard, den die meisten Netflixer bereits aus der Serie Stranger Things kennen, verkörpert Richie Tozier. Für seine Freunde ein Möchtegernentertainer im Modus ununterbrechlichen Dauergesabbels. Und doch ist es beeindruckend mit welcher spielerischen Intelligenz der 14-jährige Wolfhard eine Lakonie zum Ausdruck bringt, die sich dem Umstand des Geschasstseins als Loser verdankt. Was bleibt einem da anderes übrig, als die Last der geächteten Verlierer einfach mal rauszubrüllen: „Go blow your dad you mullet wearing asshole!“. Selbstbewusstsein braucht es, um sich gemeinsam den eigenen Ängsten zu stellen.

Der eigentliche Horror dieses Films geht gar nicht in erster Linie vom „Ronald MacDonald“-Gruselverschnitt Pennywise (Bill Skarsgård) aus, der sich alle 27 Jahre ein paar Kinder holt. Nein, das Grauen lebt im Alltag. Kinder- und Erwachsenenwelt werden als Paralleluniversen dargestellt, die nur in ein kommunikatives Verhältnis treten, um die Hilflosigkeit der Kinder im Umgang mit den eigenen Lebensbedingungen und ihren Ängsten zu zeigen. Sie werden alleine gelassen. Der Horror ist schleichend und manifestiert sich bereits in den reinen Lebenswelten der Protagonisten. Und das ist eine große Stärke des Films. Seine Wirkkraft ist umso größer, wenn er der Fantasie Nahrung gibt. Was genau hat dieser in der Kanalisation hausende Killerclown wohl mit Betty Ripsom angestellt und was muss Beverly Marsh (Sophia Lillis) als das ewige „little girl“ ihres Vaters alles erdulden. Man kann es nur erahnen. Die latente Andeutung genügt. Die Welt der Erwachsenen ist für die Kinder ein Übel und schon ohne Pennywise eine große Herausforderung.

Zweifelsohne ist Bill Skarsgård in der Rolle des Es beängstigend. Ein sabbernder Clown mit manischer Lache und kindlicher Naivität sowie einem Blick zum Wegrennen. Der Joker lässt grüßen. Dennoch sind die vielfältigen Inkarnationen, in denen sich Pennywise seinen Protagonisten offenbart, nicht weniger gruselig, teilweise sogar furchteinflößender als die Erscheinung des Clowns selbst. So hört Beverly die Stimmen der von Pennywise ermordeten Kinder aus dem Abfluss im Badezimmer. Die daraufhin aufsteigende Blutfontäne versaut das ganze Bad. Doch die Erwachsenen können es nicht sehen. Hilflosigkeit als wahrer Grusel.

Andrés Muschietti ist die Adaption von Stephen Kings Romanvorlage für die große Leinwand gelungen. Er versteht es, die Urängste seiner Protagonisten gekonnt in Szene zu setzen. Statt schnöder Splatter-Effekte, bekommt der Zuschauer einen schleichenden Horror serviert. Und was gibt es Schöneres, als den Kids der 1980-iger Jahre (Der Roman spielt in den 1950-iger Jahren) dabei zuzusehen, wie sie sich in der Schule und via Festnetztelefon verabreden, nur um mit ihren Rädern die Straßen entlangzufahren, an Steinbrüchen zu baden oder einfach mal mit New Kids on the Block im Ohr den Duft sommerlichen Verliebtseins zu inhalieren, um die Angebetete mit einem Haiku zu bezirzen. Wäre da doch nur nicht dieser lästige Clown.

ES läuft seit dem 28.09.2017 in den deutschen Kinos.

Beitragsbild: © Warner Bros.

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