Kritik zu Rosa von Praunheims „Härte“ – „Dein Schwanz gehört mir“

Tobias Ritterskamp 29. April 2015 0
Kritik zu Rosa von Praunheims „Härte“ – „Dein Schwanz gehört mir“

Andreas ist noch ein Kind, als ihn der Vater mit kaltem Wasser übergießt und auf den Balkon stellt. Andreas ist immer noch ein Kind, als der Vater ihm die Hand zerquetscht. Die Knochen brechen. Die Mutter beginnt an ihm rumzufummeln. Zu diesem Zeitpunkt ist Andy gerade einmal sechs Jahre alt. Als der Junge zwölf Lenze zählt, will die Mutter mehr. Harter Sex soll es sein.

Basierend auf der im Jahre 2006 veröffentlichten Autobiografie „Härte – Mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt“ erzählt Regisseur Rosa von Praunheim die Geschichte des ehemaligen Kampfsportlers und Zuhälters Andreas Marquardt, der als Kind den sadistischen Fantasien des Vaters ausgeliefert war und von der Mutter als Sexsklave gehalten wurde. Das traumatisiert ihn und führt zu Aggressionen, die er versucht durch den Kampfsport zu kanalisieren. Dann bekommt er das Angebot, ins Rotlichtmilieu einzusteigen und wird zu einem der brutalsten Zuhälter Berlins.

Der Film ist eine Doku-Fiction, die dem Zuschauer einen differenzierten Blick auf die Person Andreas Marquardt erlaubt. Die fiktiven Spielszenen vermitteln eine Vorstellung von erfahrenen Schmerzen und Qualen sowie seiner rigorosen Härte als Zuhälter, während in den aktuellen dokumentarischen Einstellungen der wahre Andreas Marquardt, der sich heutzutage unter anderem für misshandelte Kinder engagiert, und seine Lebensgefährtin Marion Erdmann zu Wort kommen. So gelingt es von Praunheim aus der Kombination dieser beiden Stile eine charakterliche Ambivalenz zu kreieren, die eine neutrale Haltung gegenüber dem Protagonisten postuliert.

Neben sexuellem Missbrauch und physischer Gewalt thematisiert der Film auch zwischenmenschliche Beziehungen. Insofern muss die theaterkulissenartige Inszenierung der in schwarz-weiß gedrehten Rückblenden nicht verwundern, denn in erster Linie ist Härte ein Personenstück. Dem Bühnenbild kommt dabei die Unterstützung des Zusammenspiels zwischen den Personen zu, weshalb der Zweck nicht darin besteht, „völlige Echtheit zu erreichen […], sondern die menschlichen Verwicklungen zu spiegeln und zu überhöhen, die uns durch das Spiel und den Dialog vermittelt werden“ (Kracauer).

Dass Rosa von Praunheim in diesem Film erstmals mit professionellen Schauspielern gearbeitet hat, ist aufgrund der Intensität der Szenen nur allzu verständlich. Katy Karrenbauer als Mutter des Protagonisten brennt sich ins Gedächtnis. Ihr Satz „Dein Schwanz gehört mir“ ist einer der einprägsamsten Schockmomente des Films, wenn nicht gar der letzten Jahre. Hervorzuheben ist insbesondere Hanno Koffler, der sich als Kraftpaket Marquardt von jeglichen Gefühlen distanziert und seinen infolge des sexuellen Missbrauchs durch die Mutter aufgestauten Hass an den Prostituierten, allen voran Marion (Luise Heyer), machtlüstern auslebt. Die Machtgeilheit ist das Ergebnis seiner Impotenz. Biologische Dysfunktionalität wird kompensiert durch dauerhafte Aggressivität, ja durch Härte. Karrenbauer und Koffler sind brillant. Luise Heyer überzeugt vor allem im Zusammenspiel mit Hanno Koffler als unterwürfige Marion.

Dass der Übergang vom Zuhälter zur sozial engagierten Person tatsächlich nicht so reibungslos vonstattenging, wie es der Film in den fiktiven Spielszenen suggeriert, wird in den dokumentarischen Einstellungen rudimentär erwähnt. Rosa von Praunheim möchte die Taten von Andreas Marquardt nicht rechtfertigen. Vielmehr geht es darum, zu verstehen, warum er zum brutalen Zuhälter wurde. Waren es die Ereignisse in seiner Kindheit, die zur Unfähigkeit zu denken beitrugen und somit das fehlende Gewissen? Konnte er in den Worten Hannah Arendts „Richtiges vom Falschen“ nicht mehr unterscheiden? Härte ist schockierend und beeindruckend zugleich, denn er ist schonungslos offen einerseits und mutig andererseits. Härte ist eine cineastische Perle mit ordentlich Gewicht, wenngleich sie ihr großes Publikum nicht finden wird, leider.

Härte läuft seit dem 23. April 2015 in den deutschen Kinos.

Beitragsbild: (c) missingfilms

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