„Meine Cousine Rachel“ Kritik: Roger Michells psychologischer Beziehungsthriller

Eugen Zentner 6. September 2017 0
„Meine Cousine Rachel“ Kritik: Roger Michells psychologischer Beziehungsthriller

Die Romanverfilmung «Meine Cousine Rachel» lief bereits 1952 im Kino. Nun erhält der psychologische Beziehungsthriller eine Neuauflage, die durch das nuancierte Spiel der Hauptdarstellerin überzeugt. Rachel Weisz changiert in der Rolle der geheimnisvollen Cousine ständig zwischen Femme fatale und Unschuldsengel.

Als Roger Michell 1999 mit «Notting Hill» eine romantische Komödie inszenierte, setzte er auf die mangelnde Souveränität des Protagonisten William, dem Hugh Grant auf brillante Weise kauzigen Charme verlieh. Die Harmonie zwischen ihm und Julia Roberts begeisterte damals das Publikum genauso wie die Kritiker. Beinahe zwanzig Jahre später bringt Michell mit «Meine Cousine Rachel» nun wieder eine elektrisierende Beziehungsgeschichte auf die Leinwand, allerdings nicht als humorvolles Zueinanderfinden, sondern als düster-tragisches Liebesdrama. Und wieder steht ein Mann im Mittelpunkt, der in amourösen Dingen unbeholfen, ja ein wenig naiv wirkt.

Der junge Engländer Philip Ashley (Sam Claflin) wächst am Anfang des 19. Jahrhunderts als elternloses Kind bei seinem Onkel und Vormund Ambrose Ashley auf, den er bis ins Erwachsenenalter verehrt. Als dieser schwer erkrankt und später stirbt, vermutet Philip, dass seine Cousine Rachel (Rachel Weisz) für den Tod verantwortlich ist. Fortan plant er einen Rachefeldzug, gibt ihn aber schnell wieder auf, nachdem er nur wenige Minuten mit der geheimnisvollen Schönheit verbracht hat. Beide treffen sich auf Ambroses Anwesen, wo Rachel mit ihrer bezaubernden Art alle Bewohner in ihren Bann zieht. Doch während Philips Jugendfreundin Louise (Holliday Granger) und deren Vater Nick (Iain Glen) einen kühlen Kopf bewahren, gibt sich der Neffe seiner Leidenschaft hin und verliert allmählich jegliche Orientierung. Aus Liebe wird Obsession, die Philip zu Handlungen treibt, mit denen er sogar sein Erbe leichtsinnig aufs Spiel setzt. Befeuert wird dieses Verhalten von Rachels Verführungskunst. Als ambivalente Femme fatale bringt sie den jungen Mann ordentlich durcheinander und macht es ihm schwer herauszufinden, ob sie für ihn Gefühle hegt oder eine Maske trägt, hinter der sich eine kaltblutige Mörderin verbirgt.

Über weite Strecken spielt sich dieser Beziehungsthriller auf dem Anwesen des verstorbenen Onkels ab, wo das Herrenhaus nicht nur Schauwerte bietet, sondern auch genauso dunkel und geheimnisvoll anmutet wie der weibliche Gast. Roger Michell nutzt die rustikalen Räumlichkeiten, um mal gemütliche, mal lebhafte Bilder zu schaffen. Spaß bereiten insbesondere die Feierszenen, wenn der Tisch reich gedeckt ist und der Wein in Strömen fließt. Je nachdem, ob der enge Kreis um Philip und Rachel allein diniert oder die ländliche Bevölkerung zu Gast einlädt, nehmen sowohl Gedeck als auch das Ess- und Trinkverhalten eine jeweils andere Form an. Feine Weingläser werden gegen längliche Steinkrüge getauscht, und das mehrteilige Besteck erübrigt sich, wenn dutzende Hände nach dem Fleisch greifen, das die Bediensteten in Massen servieren. Die bäuerliche Gesellschaft mampft ungeniert, ohne sich um Manieren zu kümmern, und schüttet jede Menge Alkohol in sich hinein, bevor fröhliche Tänze den Abend abrunden.

Nicht weniger spektakulär sind die Motive außerhalb des Anwesens. Den größten Eindruck erzeugen die Supertotalen an Englands Süd-Küste mit ihren hügeligen Grünflächen und steinigen Klippen, an denen nicht zuletzt das Unheil wartet. Nichtsdestotrotz lebt der Film hauptsächlich von der psychologisch vielschichtigen Beziehung der beiden Protagonisten, deren Gemütslage ständig wechselt. Zu verdanken ist es der nuancierten Darstellung Rachel Weisz̓. Sie verleiht der schönen Cousine Ambivalenz, indem sie immerfort zwischen Ver- und Aufgeschlossenheit, Angriff und Rückzug oder Wut und Zurückhaltung changiert. In einem Moment durchdringt sie Philip mit einem selbstbewussten Blick, in dem anderen senkt sie schüchtern ihre Augen. Mal entmutigt sie ihn, mal macht sie ihm Hoffnungen. Ihr eloquenter Witz wirkt kalkuliert und erscheint im nächsten Augenblick sehr authentisch. Wie Rachel schwankt auch Philip zwischen mehreren Gemütszuständen, wobei Verlangen und Misstrauen sich mit steigender Handlung immer öfter ablösen. Dieses Wechselbad der Gefühl hält der 25-Jährige lange aus, bis er schließlich doch die Kontrolle über sich selbst und die ganze Situation verliert.

Seine psychologische Tiefe bezieht das Drama aus der literarischen Vorlage. Daphne du Maurier schrieb den gleichnamigen Roman bereits 1951 und weckte mit ihm sofort das Interesse des Regisseurs Henry Koster, der ihn ein Jahr später als Melodram ins Kino brachte. Die britische Autorin ist bekannt für ihren filmischen Stil und den Hang, Geschichten spannungsvoll aufzubauen. Nicht umsonst verfilmte der «Master of Suspense» Alfred Hitchcock gleich drei ihrer Werke («Die Taverne von Jamaica», «Die Vögel», «Rebecca»). Mit «Meine Cousine Rachel» knüpft Roger Michell an diese Arbeiten an und versteht es ebenfalls, die Zuschauer in Atem zu halten. Indem er pausenlos Fährten legt und Zweifel sät, wirft er immer wieder die Frage auf: War sie es oder war sie es nicht? Die Antwort scheint in einem unkonventionellen Tee zu liegen. Doch auch er schafft es am Ende nicht, für die ersehnte Klarheit zu sorgen.

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