„Slow West“ Kritik – Die grässliche Fratze des Wilden Westens

Tobias Ritterskamp 5. August 2015 0
„Slow West“ Kritik – Die grässliche Fratze des Wilden Westens

„Er ist ein Feldhase in der Wolfshöhle“, so der Outlaw Silas Selleck (Michael Fassbender) aus dem Off zu Beginn des Films Slow West. Gemeint ist der 16-jährige adlige Schotte Jay Cavendish (Kodi Smit-McPhee), der seine Heimat verlässt, um seiner großen Liebe Rose Ross (Caren Pistorius) nach Colorado zu folgen. Er, ein Träumer mit falschen Vorstellungen vom Westen, reitet vorbei an einem niedergebrannten Camp der Sioux, dann durch einen in Rauchschwaden getränkten Wald. Es folgt ein unfreiwilliger Zwischenstopp. Altgediente Soldaten drohen ihn zu exekutieren, doch der abgebrühte Outlaw Silas tötet den Anführer. Ziemlich gefährlich ist es im Wilden Westen des Jahres 1870, weshalb sich Silas gegen Bezahlung des Jungen annimmt, um ihn sicher zu Rose zu bringen. Oder etwa doch nicht?

Slow West ist das Regiedebüt des Schotten John Maclean, der einst Keyboarder der Beta Band war und bereits zwei Kurzfilme mit Michael Fassbender in der Hauptrolle drehte. Auf dem Sundance Festival ausgezeichnet mit dem Grand Jury Prize, erzählt Maclean mit seinem ersten Langspielfilm in nur 84 Minuten eine Geschichte von der Suche nach der großen Liebe, eingebettet in die Weiten der Prärie, in der, obgleich ihrer anmutigen Schönheit, jede Begegnung die letzte sein kann. Denn sie sind überall, die Wölfe und Hasen, die gefallenen Engel und aufsteigenden Teufel. Gewalt scheut hier niemand. Und trotz der recht kurzen Laufzeit hat der Film alles, was man von einem Western erwartet, auch wenn die Charaktere nicht ausführlich vorgestellt werden.

Ben Mendelsohn als Payne gibt zweifelsohne den Diavolo, den Wolf im Schafspelz. Wenige Sekunden, mehr Zeit hat er im Grunde auch nicht, genügen dem Australier, um die Bedrohlichkeit des Moments festzuhalten. Sie liegt in seiner Ruhe einerseits und der verquickten Symbolhaftigkeit der Sprache andererseits, gibt sie doch eine Vorstellung vom drohenden Unheil im Westen. Payne ist auf der Suche nach Rose und ihrem Vater. Beide haben ihre Heimat Schottland verlassen, da sie wegen Mordes steckbrieflich gesucht werden, was Silas Jay verschweigt. Mit der Hilfe des Jungen will er sich noch vor Payne und seinen Männern zu Rose und ihrem Vater durchschlagen, da sie (ebenfalls) hinter dem Kopfgeld her sind.

Während Payne also die teuflische Seite des wilden Westens inkarniert, gestaltet sich Michael Fassbenders Charakter ambivalenter. Locker, wenn er mit Zigarillo im Mundwinkel an Clint Eastwoods Joe aus Für eine Hand voll Dollar erinnert.   Abgebrüht, als er zwei kleine Kinder, deren Eltern, ein schwedisches Paar, beim Überfall auf eine Handlungsstation sterben, kaltherzig zurücklässt. Und auch wenn sich zwischen Silas und seinem Schützling keine offenkundig starke emotionale Bindung herstellt, so hat es dennoch etwas väterliches, wenn er Jay das Rasieren beibringt.

Gestützt wird die sich in Colorado abspielende Haupthandlung durch Rückblenden. Im Klassensystem Schottlands verliebt sich Jay in Rose, die Tochter eines Bauern. Sie macht ihm frühzeitig klar, dass sie in ihm nur einen kleinen Bruder sieht. Gefühle machen jedoch blind. Er wird ihr nachreisen. Auf dem Rücken liegend zielt der naive Träumer auf einzelne Sterne des nachtblauen Himmels. Sie leuchten hell auf und verleihen dem Wilden Westen für einen Moment eine romantizistische Aura, die sogleich der bitteren Realität weicht, wenn Jay durch seine selektive Wahrnehmung fast getötet wird.

Einst schien der Western tot, doch Filme wie The Homesman und Slow West sträuben sich gegen diese (ehemalige) Tendenz. Jack Maclean dekonstruiert den Mythos des Westerns. Die Gewalt ist hier ausschließlich zerstörerisch und verwandelt die Weiten der Prärie in eine furchteinflößende Fratze. Einen Kampf zwischen Gut und Böse gibt es nicht mehr. Um zu überleben, muss jeder seine Ambivalenz bewahren. Nur wer Hase und Wolf, gefallenen Engel und aufsteigenden Teufel in sich trägt, kann sich in dieser Hölle behaupten.

Slow West läuft seit dem 30. Juli in den deutschen Kinos.

Beitragsbild: (c) thimfilm

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