„The Blue Notebooks“: Review zur erweiterten Neuausgabe von Max Richter

Christoph 1. Juni 2018 0
„The Blue Notebooks“: Review zur erweiterten Neuausgabe von Max Richter

Max Richter ist ein Name an dem man als Liebhaber von Filmmusik nicht vorbei kommt. Es handelt sich um einen der talentiertesten Filmkomponisten aus Deutschland, wenn man einmal von dem nach Hollywood exportierten Hans Zimmer absieht. Richter als reinen Filmkomponisten zu bezeichnen, wird ihm aber nicht gerecht. Er ist ein Künstler durch und durch, auf kein Medium festgelegt und immer auf der Suche nach Gefühlen, die er in Melodien verwandeln kann. Er setzt sich aber auch mit seiner kreativen Vergangenheit auseinander und dies spiegelt sich nun in der Neuauflage seines zweiten Solo-Albums „The Blue Notebooks“ zum 15-jährigem Bestehen wieder.

Max Richter, geboren 1966 in Hameln, aufgewachsen in England, lernte bei einem der Pioniere für elektronische Musik: Luciano Berio. Zu Studienzeiten gründete er bereits das Piano Ensemble „Piano Circus“, welches aus sechs Pianisten bestand. 2002 veröffentlichte er sein erstes Album „Memoryhouse“ und zwei Jahre später „The Blue Notebooks“. Neben mittlerweile bereits acht Soloalben, war seine Musik nie nur auf ein Medium fixiert. Mit „Infra“ schrieb er die Musik zu einer Kooperation mit dem Royal Opera House Balletkünstler Wayne McGregor und der Künstlerin Julian Opie. Neben Arbeiten für die Oper zog es ihn auch zum Theater. 2008 verlieh Max Richter einem Film, der in seiner ganzen Melancholie und Erzählweise mit seiner Arbeit so intensiv verflochten war, dass jeder daraufhin in der Filmwelt auf ihn aufmerksam wurde: „Waltz with Bashir“. Es handelt sich hierbei um einen Animationsfilm von Ari Folman, der seine Erlebnisse im ersten Libanonkrieg von 1982 dokumentarisch aufarbeitet. Wenn zum Bespiel die Soldaten sich im Wasser treiben lassen und die sensible Musik von Richter ertönt, ist dieser bis ans Knochenmark seiner Zuschauer gehende Film, zu einem Meisterwerk geworden.

Max Richter Credit Heiko Prigge

© Photo: Heiko Prigge

Max Richter und die Filmmusik

Richter hatte bereits vor „Waltz with Bashir“ Filmmusik geschrieben, aber ab diesem Zeitpunkt wollten ihn viele für ihre Filmprojekte buchen. Hollywood hielt er jedoch auf Abstand und suchte sich kleine, meist europäische und anspruchsvolle Produktionen heraus, wie zum Beispiel „Die Fremde“ (2010), „Jiro und das beste Sushi der Welt“ (2011), „Disconnect“ (2012) oder „Testament of Youth“ (2014). Ganz an Hollywood ging es dann doch nicht vorbei, wie zum Beispiel in „Shutter Island“, wo sein „On The Nature Of Daylight“ mit dem Gesang von Dinah Washingtons „This Bitter Earth“ kombiniert wird und sicherlich jedem, der diesen Film gesehen hat in Erinnerung bleibt. Für zwei erfolgreiche Serien hat er ebenfalls die Score komponiert: Die Amazon Produktion „Taboo“ mit Tom Hardy und die HBO-Serie „The Leftovers“.

The Blue Notebooks

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Grundlage für die Komposition bildeten die „The Blue Octavo Notebooks“ von Franz Kafka. Es sind Notizbücher, die im Zeitraum von 1917 bis 1919 von Kafka geschrieben wurden. Die Schauspielerin Tilda Swinton zitiert auch Sätze wie „Everyone carries a room about inside him. – Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich“ aus diesen Ideen-Büchern in den Tracks auf dem Album. Richter, ein sehr sensibler und introvertierter Mensch, spricht von der Zeit, in der das Album entstanden ist als rau und brutal. Mit diesen einfachen Melodien in „The Blue Notebooks“ will er seinen Zuhörern einen sicheren und geschlossenen Raum geben. Dies gelingt perfekt! Man vergisst die eigenen Sorgen und Ängste, so dass uns beim Hören ein zarter Hauch von Nostalgie und Melancholie durchströmt. Sein Ziel, einen „stillen Protest“ gegen die „lautstarke und skrupellose Rhetorik“ unserer Zeit zu setzen, ist ihm mit diesem Album gewiss gelungen. Selbst 15 Jahre später ist es immer noch ein akustischer Rückzugsort in unserer Zeit, wo der Grellste und Lauteste die meiste Aufmerksamkeit erhält. Interessant sind auch die elektronischen Bestandteile, die sich beim ersten oberflächlichen Hinhören nicht erkennen lassen. In dieser Neuauflage befinden sich zwei Remixes seiner Stücke, die fast als rein elektronisch angesehen werden können. Aber durch die Grundstruktur der klassischen Melodien Richters sind die Stücke „Vladimir´s Blues“ (Remix von Jlin) und „Iconography (Remix von Konx-Om-Pax) auch für nicht elektronische Musikfans zugänglich. 2004 musste er das Album aus Zeit- und Geldmangel innerhalb von ein paar Stunden live einspielen und jetzt feiert er sein Wiedersehen mit diesem Album. Die neuen Aufnahmen seien „wie eine Begegnung mit einem alten Freund“ gewesen, als alle Stücke erneut im legendären Londoner Air-Tonstudio aufgenommen wurden.

The Blue Notebooks Cover Max Richter

Cover CD & LP © Deutsche Grammophon

Palindrom „Arrival“

Man kommt als Filmfan nicht daran vorbei, wenn man über „The Blue Notebooks“ spricht, auch über das in diesem Album enthaltene Stück „On The Nature Of Daylight“ zu sprechen. Der Film „Arrival“ vom kanadischen Regisseur Dennis Villeneuve hat das Thema Sprache und Zeit zum Inhalt. Die Score im Film ist von Jóhann Jóhannsson geschrieben und verfügt hauptsächlich über tiefe Töne und starke Bässe, welche perfekt zu der außerirdischen Rasse passen. Der Gegensatz bildet das filigrane  „On The Nature Of Daylight“ von Richter, welches am Anfang und am Ende im Film zu hören ist. Es ist als Palindrom – eine Zeichenkette, die vorwärts wie rückwärts identisch ist – konstruiert. „Arrival“ hat ebenfalls eine geschlossene Erzählstruktur und befasst sich mit einer kreisförmigen Sprache. Wenn man sie versteht, hat man die Fähigkeit, in die Vergangenheit als auch in die Zukunft zu sehen. Dieses Stück ist die stärkste Melodie auf diesem Album und erhält zwei neue Arrangements im Bonusmaterial.

Super Deluxe Edition Max Richter The Blue Notebook

Cover Super Deluxe Edition © Deutsche Grammophon

Die Editionen

Deutsche Grammophon und Studio Richter bringen die Neuausgabe von „The Blue Notebooks“ in mehreren Editionen auf den Markt. Zum Record Store Day 2018 erschien bereits eine exklusive Doppel-LP auf blauem Vinyl. Am 11. Mai 2018 erschien das Doppel-Album auf CD, Doppel eAlbum und Doppel-LP. Auf CD 1 / LP 1 ist das bereits bekannte Album enthalten. Auf CD 2 / LP 2 befinden sich neu arrangierte Stücke von „On The Nature Of Daylight“ und „Vladimir’s Blues“, die beiden bereits genannten elektronischen Remixe und die Erstveröffentlichung von „A Catalogue Of Afternoons“. Die Version von „On The Nature Of Daylight“ mit Dinah Washingtons „This Bitter Earth“ hat leider nicht mehr auf die Vinyl-Variante gepasst. Wer noch ein bisschen warten kann, greift zur Super-Deluxe-Edition mit CDs und umfangreichen Booklet, die am 29. Juni 2018 erscheint.

Eine gelungene Neuauflage eines Solo-Werks welches sich bereits vor 15 Jahren in keine Zeit einordnen ließ. Für Filmmusik-Fans ist der Kauf von „The Blue Notebooks“ unumgänglich und für alle anderen einer der schönsten akustischen Rückzugsorte aus diesem Jahr!

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Beitragsbild: © Photo: Heiko Prigge *= AffiliateLink

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