Zwischen Himmel und Eis – Kritik zum Heimkino-Release

Benedikt Brosowski 7. April 2016 0
Zwischen Himmel und Eis – Kritik zum Heimkino-Release

Direkt zu Anfang des Films muss man sich, wie so oft bei Jacquets Filmen, vom klassischen Dokumentarfilm lösen. Die Genre-Bezeichnung ist sicherlich eine freie und grundlegend zu bestätigen. Doch die ersten Bilder schon zeigen, wo wir uns befinden. In einer ästhetisch wundervoll inszenierten Wirklichkeit des Polarforschers Claude Louris. Louis gilt als einer der ersten Menschen, die fundiert feststellen konnten, dass der Mensch das Klima der Erde entscheidend beeinflusst. Während seiner 22 Polarexpeditionen zwischen 1957 und 1985 in der Antarktis entdeckte er die entscheidende Beschaffenheit des Südpols: Unzählige Schneeschichten, die durch ihren Gehalt von Luftbläschen Aussage über die damalige Atmosphäre und daher über die Geschichte geben können. Man kann das Klima zu der Zeit der Schicht bestimmen und sogar Atombombentests lassen sich molekular wiederfinden. Der Film ist ein sehr deutlicher Beitrag über die vermeintliche Tugend der Menschheit.

Den Großteil des Films bildet eine Art kommentierte Diashow aus Archivaufnahmen mit Bildern der Forschungen in der Antarktis. Dramatisch drastisch erzählt von Claude Lorius durch Max Moor in der deutschen Synchronfassung (und Michel Papineschi im Originalton). Alte körnige Zelluloid-Bilder aus dem mittleren bis späten 20. Jahrhundert bringen die Arbeitsweise und Lebenssituation der Polarforscher nahe. Chronologisch erzählen sie die Laufbahn und Forschungsentwicklung von Lorius und seinem Team. Zwischendurch grätschen inszenierte Weitwinkelaufnahmen rein, die Claude Lorius in die weiten der Eislandschaft stellen. Sie beweisen die Schönheit der scheinbar unangetasteten Natur und allein durch das kommentierende Wort wird deutlich, dass dieser Schein trügt.

Die Menschlichkeit der Wissenschaft

Der Film zeigt die Nichtigkeit der politischen Interessen für die Wissenschaft. Zur Zeit des Kalten Krieges versammelten sich Franzosen, Amerikaner und Russen in der Antarktis zum gemeinsamen Forschen. In Anbetracht der Schäden, die die Menschen der Welt bisher schon zugefügt haben, ein Eingeständnis von gemeinsamer Verantwortung. Alsbald der Mensch, die Erde betrat, war sie kaputt. Von Natürlichkeit ist hier also in keinster Form zu sprechen, außer jene, die Claude Lorius in Nahaufnahmen mit einer feinen Prise von großväterlichen Freundlichkeit ausstrahlt. Der Film insgesamt trägt dazu bei, dem Zuschauenden primär ein schlechtes Gewissen aufleuchten zu lassen. Warum bringen die Menschen eine derartige Veränderung der Natur hervor und auch Lorius fragt sich, was ihm die Anerkennung seiner Forschung bringt, sofern die Warnungen nicht beachtet werden. Wir sehen also einen alten gebrechlichen Polarforscher, der der Erfüllung seines Lebens sehr nahe steht, aber einen entscheidenen Aspekt lediglich in stiller Hoffnung ausleben kann: die Initiative und Bewusstwerdung der aktuellen Generationen, etwas zu verändern. Doch er selbst gibt sich optimistisch. Obwohl die Politik und Wirtschaft eher von leeren Versprechungen und symbolischen statt tatkräftigen Akten Gebrauch macht, glaubt er an den natürlichen Instinkt des Menschen, in Ausnahmesituationen erfinderisch und aktiv zu werden. Das ist seine Lehre, die er aus eigener Erfahrung weitergibt. Seine Lebenszeit in der Antarktis zu beinah unmenschlichen Klima-Bedingungen haben ihn und seine Forscher dazu ermutigt, ihren vollen Einsatz zu zeigen, um der Gesellschaft zu zeigen, wie es um das Klima steht. Zwischen Himmel und Eis ist daher ein sehr menschliches Porträt der Wissenschaft, obgleich des kalten Charakters der Polarforschung, erwärmen die Archivbilder die Zuschauenden,  indem sie mehrfach und immer wieder darauf hinweisen, dass der Zweck wichtiger sein kann, als das Aushandeln der Interesse politischer Großmächte.

Zwischen Himmel und Eis mit Claude Lorius @ Weltkino

Claude Lorius mit Regisser Luc Jaquet ©Weltkino

Diese Sicht auf die Welt macht Lorius nicht zu einem pedantischen Weltverbesserer, sondern zu einem sympathischen alten Mann, der lediglich darum bemüht ist, seine nachfolgenden Generationen vor einer schwer zu bewältigenden Klimakatastrophe zu beschützen. Auch wenn der Film dazu neigen mag, eher Ersteres zu provozieren, durch ein fast redundant aggressives Hinweisen à la „die Welt ist so kaputt, wir müssen dringend etwas ändern, sonst machts bumm“ und „mit all dem Wissen, was machen Sie jetzt?“. Wirkende Appelle oder deprimierende Erkenntnisse?

Claude Lorius hat es geschafft fast 800.000 Jahre Weltklimageschichte rekonstruieren zu können. Der Film gedenkt seinem Schaffen mit einer Fülle atmosphärischer und beinah familiär anmutenden Archivbildern der Expeditions-Ausflüge, deren Mischung mit inszenierten Gemälden der Natur zum Einen erst im Kino eine volle Wirkung entfalten können und zum Anderen den Wunsch aufleben zu lassen, einfach mal selbst in die Antarktis zu reisen und zu forschen. Ein abgeschiedenes Leben, um Erkenntnis darüber zu gewinnen, wie groß der menschliche Einfluss auf die Natur ist. Für die Einen mittlerweile vielleicht nichts Spannendes, da Informationen über die schlechte Menschheit immer wieder auftauchen, für die Anderen, die insgeheim schon als Kind immer mal Wissenschaftler werden wollen, eine große Motivation, mit einem erweiterten Blick auf Menschheit und Menschlichkeit zu schauen. Bis zum Ende des Films bleibt die stumme Hoffnung, einst etwas zu bewirken nicht erloschen, schließlich hatte Claude Lorius 1955 lediglich auf eine Kleinanzeige, die eine kleine Polar-Expedition bewarb, reagiert.

DVD & Blu-ray

Die Heimkino-Edition bietet neben der originalen Sprachfassung nur ein paar mäßig spannende Featurettes über die Hintergründe des Films, die sie sich nicht groß voneinander unterscheiden. Auch ein Interview mit dem Schweizer Moderator und Synchronsprecher Max Moor ist enthalten und spiegelt eine konsenslastige Reaktion auf den Klimawandel wieder. Zwischen Himmel und Eis ist nun auf DVD, Blu-ray und digital erhältlich.

Bilder und Video: ©Weltkino

Zwischen Himmel und Eis – Kritik zum Heimkino-Release

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