„Fargo“ (2014) Staffel 1 Kritik: Blutspuren im Schnee

Bernhard 25. Oktober 2015 1
„Fargo“ (2014) Staffel 1 Kritik: Blutspuren im Schnee

Fargo“ ist ein grotesker Thriller der Coen-Brüder aus dem Jahr 1996, welcher in der namensgebenden Stadt in North Dakota spielt. Die im letzten Jahr erschienene erste Staffel der gleichnamigen Serie verfolgt eine eigene, vom Film vollkommen unabhängige Handlung und spielt im Jahr 2006 in Minnesota.

Lester Nygaard (Martin Freeman) ist ein unbedeutender Versicherungskaufmann, der mit seiner Frau Pearl in der gottverlassenen Kleinstadt Bemidji lebt. Erfolglos im Job, verachtet ihn seine Frau und lässt keine Gelegenheit aus, ihn dies spüren zu lassen. Als er dann noch von seinem ehemaligen Klassenkameraden Sam Hess vor dessen Söhnen gedemütigt und verletzt wird, ist seine Selbstachtung am Boden.

Lorne Malvo (Billy Bob Thornton), ein Auftragsmörder, fährt mit einem fast nackten Mann im Kofferraum einem unbekannten Ziel entgegen, als er mit einem Reh kollidiert und sein Opfer fliehen kann. Im Krankenhaus von Bemidji treffen sich Nygaard und Malvo zufällig und kommen über Nygaards gebrochene Nase ins Gespräch. Malvo fragt sein konsterniertes Gegenüber, ob er dessen Peiniger Sam Hess für ihn töten soll. Nygaard nimmt den eigenartigen Mann nicht recht Ernst und antwortet nicht eindeutig.
In den folgenden Tagen und Wochen kommt es in Bemidji und dem benachbarten Duluth zu einem wahren Blutbad, welches mit Nygaard und Malvo in Zusammenhang steht. Molly Solverson (Allison Tolman) von der Polizei in Bemidji und Gus Grimly (Colin Hanks), Polizist aus Duluth, folgen der Spur des Blutes quer durch Minnesota und versuchen, alle möglichen absurden Ereignisse, mit denen sie konfrontiert werden, richtig einzuordnen.

„Fargo“ fesselt von der ersten Einstellung an und kann mit vier außergewöhnlichen Haupcharakteren aufwarten, die einen in ihren Bann ziehen: Da ist zum einen der durchschnittliche, langweilige Lester Nygaard, der von allen Seiten gezeigt bekommt, dass er ein Versager ist. Nachdem er seine Frau im Affekt mit einem Hammer erschlägt, gewinnt er von Tag zu Tag an Selbstbewusstsein. Er blüht regelrecht auf in der Aufmerksamkeit und dem Mitgefühl, welches ihm zuteil wird. Immer wieder schafft es Nygaard, sich aus kniffligen Situationen zu befreien und mit zunehmender Zeit wird er selbst zu einem kaltblütig kalkulierenden Kriminellen, der nur an sein eigenes Wohl denkt und auch den Tod unbeteiligter Mitmenschen in Kauf nimmt. Martin Freeman, der den anfänglichen Tollpatsch und Langweiler bestens verkörpert, spielt diese Entwicklung von Lamm zu Wolf beeindruckend real und verleiht Nygaard eine ungeahnte Tiefe, was vor allem gegen Ende der Serie für einige Überraschungen sorgt.

Lorne Malvo  ist der wohl interessanteste Auftragsmörder der jüngeren Filmgeschichte. Anders als willenlose Maschinen, die Aufträge blind erledigen, formt er vielmehr seine Verbrechen nach Lust und Laune. Er ist dermaßen unberechenbar und faszinierend, dass man ihm gerne auch dabei zusieht, wie er seinem blutigen Handwerk nachgeht. Malvo ist zwar ein klassischer Psychopath, sein Mord an Sam Hess, der ein offensichtlich moralisch unhaltbarer Mensch ist, zeigt aber, dass er einen gewissen perversen Gerechtigkeitssinn besitzt. Gleichzeitig ist er hochintelligent, ein Verwandlungskünstler und verwickelt seine Gesprächspartner oft in abstrus-komische Diskussionen, die fast belustigen. Vielleicht ist es die Attraktivität des Untergangs, die Lorne Malvo zu einem so brillianten Charakter machen.

Die beiden Polizisten Molly Solverson und Gus Grimly sind ziemlich gegenteilige Persönlichkeiten: Während Solverson an der Unproffesionalität der Provinzpolizei verzweifelt, die nicht nach Beweisen, sondern größtenteils nach der Sympathie des Verdächtigen urteilt, ist Grimly nur Polizist, um sich und seine Tochter durchzubringen, wäre aber viel lieber Postbote. Das ungleiche Team steht sich nicht selten im Weg, aber auch die festgefahrenen gesellschaftlichen Strukturen des US-amerikanischen mittleren Westen (So wird der dienstälteste Beamte nach Tod des Dienststellenleiters dessen Nachfolger, nicht der begabteste) verhindern die schnelle Lösung der vielen miteinander verbundenen Fälle.

Lester Nygaard (Martin Freeman) und Lorne Malvo (Billy Bob Thornton) im Gespräch (c) FX NetworksDas verhängnisvolle Treffen zwischen Lester Nygaard (Martin Freeman) und Lorne Malvo (Billy Bob Thornton) im Krankenhaus (c) FX Networks

Eine unzählbare Anzahl zum Teil skurrilster Nebencharaktere bevölkern das „Fargo“-Universum und verleihen diesem eine ganz eigene Atmosphäre, die derjenigen aus dem Film von 1996 in nichts nachsteht. Da sind zum Beispiel die beiden Auftragsmörder aus Fargo, die Sam Hess rächen sollen, sich aber aufgrund dessen, dass der eine taub ist, in Zeichensprache unterhalten. Oder zwei planlose FBI-Agenten, ebenfalls aus Fargo, die so ziemlich alles das falsch machen, was sie falsch machen können.

Zu dem tragikomischen Geflecht aus Gescheiterten und Scheiternden kommt die düstere, zugeschneite Landschaft Albertas (dort wurde gedreht), die einem auch zu Hause frösteln lässt. Auch die ironische Musik von Jeff Russo, der gewöhnliche Dinge wie Schlittenglocken mit klassischen orchestralen Elementen vereint, passt einfach perfekt in das Gesamtbild „Fargo“. Von der Machart her erinnert die besprochene Produktion an die gefeierte erste Staffel von „True Detective“ oder auch „Better Call Saul“. Mehr als eine Serie, ist „Fargo“ nämlich ein zehnstündiger Film.

Nach all dem Lob nun aber eine Kritik: Gegen Ende verliert die Serie ein wenig an Intensität. Das Finale ist zwar überaus gelungen und inhaltlich angemessen, kommt aber zu spät. Schuld ist vielleicht auch das typische 10-Folgen-Format. Nichtsdestoweniger gehört diese erste Staffel von „Fargo“ eindeutig zu den besten Serien der letzten fünf oder zehn Jahre, weil sie es schafft, die großen Erwartungen in einen eigenen Stil zu kanalisieren, der fast noch besser funktioniert als das Vorbild der Coen-Bürder. Unbedingt anschauen!

Beitragsbild und Video (c) FX Networks