„Persischstunden“: Berlinale zeigt ungewöhnliches Holocaust-Drama

Nadine Emmerich 23. Februar 2020 0
„Persischstunden“: Berlinale zeigt ungewöhnliches Holocaust-Drama

Die Geschichte soll laut Vorspann einen wahren Hintergrund haben, ist aber unglaublich skurril: Ein junger Belgier entgeht 1942 dem Tod im deutschen Konzentrationslager, indem er vorgibt, kein Jude, sondern Perser zu sein. Als solcher bekommt er eine schier unlösbare Aufgabe: Er soll Offizier Klaus Koch, Leiter der Lagerküche, der nach dem Krieg ein Restaurant in Teheran eröffnen will, Farsi beibringen – eine Sprache, die er nicht beherrscht.

Das Drama, das bei den 70. Internationalen Filmfestspielen Berlin in der Sektion Berlinale Special Gala seine Weltpremiere feierte, zeigt den Holocaust aus ungewöhnlicher Perspektive und verstört den Zuschauer – mal positiv, mal negativ.

Der ukrainisch-US-amerikanische Regisseur Vadim Perelman, in Kiew als Sohn jüdischer Eltern geboren, hat sich mit „Persischstunden“ durchaus etwas getraut. Er hat einen Film gedreht, der vor dem Hintergrund der düstersten Ereignisse der deutschen Geschichte spielt und stellenweise dennoch amüsant ist. Die Darf-der-das-Frage wird zwangsläufig folgen. „Das kann jemand von außen besser als ein deutscher Regisseur“, sagte Lars Eidinger, der den Hauptsturmführer Koch spielt, bei der Vorstellung des Films.

Fake-Farsi mit Moskauer Experten entworfen

In der deutsch-russisch-belarussischen Koproduktion, die auf der Erzählung „Erfindung einer Sprache“ des Autors und Filmemachers Wolfgang Kohlhaase („Sommer vorm Balkon“) basiert, muss der von der SS verhaftete Gilles (Nahuel Pérez Biscayart) tagtäglich nach dem Küchendienst bei Offizier Koch im Büro antanzen. Dieser will zunächst jeden Tag vier Wörter Farsi lernen, um bis Kriegsende geschätzt um die 2.000 Wörter zu kennen. Erst denkt sich Gilles noch vergleichsweise mühelos Begriffe für Mutter, Löffel, Messer, Gabel, Brot und Fleisch aus. Doch schnell will Koch mehr und gibt Gilles, der sich den persischen Namen Reza gegeben hat, eine Liste mit 40 Begriffen, die er zügig übersetzt haben will.

Als Gilles in das Büro des Hauptsturmführers versetzt wird, um dort alle Neuzugänge des Lagers in Schönschrift festzuhalten, kommt ihm spontan die rettende Idee: Aus jedem Namen, den er schreibt, erfindet er ein Wort in Fake-Farsi, indem er einzelne Silben aus Vor- oder Nachnamen auswählt. Diese Fantasiesprache wurde übrigens zusammen mit einem Linguisten der Universität Moskau entworfen; die dazu verwendeten Namen stammen von realen Opfern, wie der in Kanada und den USA lebende Perelman in Berlin erklärte.

Immer handelt Gilles jedoch in Todesangst und befürchtet, mit seiner Lüge aufzufliegen. Und lange Zeit bleibt Koch misstrauisch und auf der Hut. Die kammerspielartigen Szenen, in denen Häftling und Nazi-Offizier, Jude und Faschist, aus ausgedachten Vokabeln allmählich Sätze bilden, simple Konversationen beginnen, immer flüssiger parlieren und Koch schließlich ein emotionales Gedicht in vermeintlichem Farsi schreibt, gehören – auch dank der schauspielerischen Leistungen von Eidinger und Pérez Biscayart – zu den stärksten des Films.

„Ab da wird er menschlich“

Und läuten auch eine Art Wendepunkt der Geschichte ein. War die Rolle des Bösen bisher eindeutig, gerät diese Perspektive plötzlich ins Wanken. Und zwar als Koch Gilles auffordert, ihn nicht mehr Hauptsturmführer zu nennen: „Ich bin Klaus Koch.“ Der Regisseur selbst sagt: „Ab da wird er menschlich.“ Für den Zuschauer wird es derweil unbequem. Denn nach und nach wird der Mörder, auch wenn er persönlich nur für das leibliche Wohl der Henker sorgt, freundlich. Er gibt Gilles neue Kleidung, gutes Essen, verhindert seinen Abtransport in den Tod. Koch scheint in Gilles zunehmend einen Freund zu sehen – auch wenn er in seinem tiefsten Innern wohl ahnt, dass er belogen wird.

Er habe keinen Film über den Holocaust drehen wollen, sondern über menschliche Kommunikation und Interaktion, sagte Perelman bei der Berlinale. Nazis würden im Film bisher meist als roboterartig Befehle ausführende Wesen dargestellt. Mit „Persischstunden“ habe er auch deren menschliche Seite zeigen wollen. „Das bedeutet nicht, ihnen auf die Schulter zu klopfen“, betonte er nachdrücklich. Zu zeigen, dass es Menschen waren, die diese Verbrechen begingen, ist für ihn vielmehr Warnung: „Es könnte in jedem Land zu jeder Zeit passieren, das wollte ich damit ausdrücken.“ Allerdings läuft sein Drama teilweise in die Falle, die Täter zu verharmlosen, die Opfer in den Hintergrund zu rücken und sich an Klischees zu bedienen.

Eidinger kritisierte bei der Pressekonferenz zum Film, in Deutschland werde mit Blick auf die Nazizeit inzwischen zu oft gesagt: „Wir haben damit nichts mehr zu tun, wir sind eine neue Generation.“ Er selbst fühle sich jedoch nach wie vor schuldig: „Ich bin als Deutscher bis heute hochgradig traumatisiert.“ Außerdem sei aktuell zu beobachten, wie sich Geschichte wiederholen könne. Diesem Thema stelle er sich auch mit einem Film wie „Persischstunden“. Mit den Tränen ringend betonte der Schauspieler zudem: „Ich finde unsere Gesellschaft ist so dermaßen vergiftet, was Hass und Missgunst angeht.“

Filmstart: 7. Mai 2020

Foto: Hype Film

 

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