„Favolacce (Bad Tales)“: Kritik des italienischen Berlinale-Beitrags der Brüder D’Innocenzo

Nadine Emmerich 25. Februar 2020 0
„Favolacce (Bad Tales)“: Kritik des italienischen Berlinale-Beitrags der Brüder D’Innocenzo

Eine triste Reihenhaussiedlung im Speckgürtel Roms: Die Väter suchen Arbeit und prügeln, schwangere Frauen rauchen und Kindern wird wie selbstverständlich ein Bier auf den Tisch gestellt. Die Mädchen und Jungen in dem grandiosen italienischen Drama „Favolacce (Bad Tales)“, das die Brüder Fabio und Damiano D’Innocenzo im Wettbewerb der 70. Berlinale vorstellten, nehmen all das stumm und mit traurigen Augen hin. Bis die Bombe platzt.

Der Film zeigt das trostlose Leben der unteren Mittelschicht. Die Eltern sind frustriert, weil mit dem Erwachsenwerden die Erkenntnis kam, dass ihre Träume unerreicht bleiben. Ihre Hoffnungen projizieren sie nun auf die Kinder, die Gästen ihre Einser-Zeugnisse vorlesen oder beim illegalen Autofahren aufs Gaspedal treten müssen. Für Rücksicht und Gefühle sind in der verkorksten Erwachsenenwelt wenig Platz: Hat ein Mädchen Läuse, wird ihm gleich der komplette Kopf rasiert. Absurderweise halten sich die Erwachsenen aber für gute Eltern.

Radikal und bedrückend

Die Geschichte aus der Vorstadt, eingeführt als Lektüre eines unbekannten Erzählers, der – bezeichnenderweise im Müll – ein plötzlich abbrechendes Tagebuch gefunden hat, ist zwar von Beginn an traurig, durch die unaufgeregte Erzählweise jedoch zunächst noch aushaltbar. Es ist eine subtile, unterschwellige Beklommenheit, die „Favolacce“ durchzieht. Die Kinder sind beängstigend still, sagen selten mehr als „Okay“, ertragen ihre Eltern und ihr Schicksal. Doch was in vielen Nahaufnahmen erst resigniert bis apathisch erscheint, brodelt unter der Oberfläche gewaltig. Und explodiert mit einer Heftigkeit, die leise, aber aufwühlend ist.

„Favolacce“ ist ein radikales und bedrückendes Werk. Für die 1988 geborenen Filmemacher, die selbst in einem Vorort Roms aufwuchsen, erzählt das Drama eine universelle Geschichte, die überall spielen könne. Auch als Rache der Kinder an ihren Eltern wollen sie den Film nicht verstanden wissen, wie sie bei der Pressekonferenz der Berlinale erklärten. Vielmehr gehe es auf Seiten der Kinder um eine totale Verweigerung der Zukunft, die sie mutmaßlich erwarte. Sie hätten die Welt so dargestellt, wie sie diese beobachteten, betonten die Regisseure.

Bild: Pepito Produzioni, Amka Film Production

Filmstart: noch kein Starttermin in Deutschland

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