Franz wollte gut sein, doch das Leben hatte etwas dagegen. Wie ein Mantra raunt Jella Haase aus dem Off immer wieder die gleichen Sätze. Sie schlägt die Brücke zwischen Film und Literatur, indem sie die Sätze von Alfred Döblin spricht, die er in seinem Jahrhundertroman „Berlin Alexanderplatz“ im Jahr 1929 veröffentlicht hat. Um die 500 Seiten umfasst das monströse Werk, je nach Ausgabe. Ein wilder Bewusstseinsstrom, montierte Szenen und Textsorten, eine Textcollage mit ausufernden Metaphern und allegorischen Einschüben. Wie nähert man sich also einem solch herausragenden, stilistisch anspruchsvollen Werk? Kultregisseur Rainer Werner Fassbender hat das beispielsweise einmal gewagt, sein „Alexanderplatz“ von 1980 erschien als über 900 Minuten lange Fernsehserie. Darüber hinaus wagen sich immer wieder Theaterhäuser an den Stoff und bringen diesen auf die Bühnen. Nachwuchs-Filmemacher Burhan Qurbani holt ihn nun wieder ins Kino – allerdings als eher freie Interpretation.
Franz Biberkopf, der (Anti-)Held des Romans, heißt in Qurbanis Film Francis, ein 30jähriger Flüchtling aus Westafrika, gespielt von Welket Bungué. Seine Frau verliert er unterwegs, als das Boot kentert, Francis kann sich nur mit Mühe und Not an Land retten. Im Berlin der Gegenwart beschließt er nun, fortan als guter Mensch zu leben, doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht. Der zwielichtige Kriminelle Reinhold überredet ihn, im Volkspark Hasenheide mit Drogen zu dealen. Francis finanzieller Aufschwung ist dabei nur ein Glück von kurzer Dauer. Auch seine Liebesbeziehung mit der Prostituierten Mieze steht unter keinem guten Stern.
So viel Potential!
Man muss es so drastisch formulieren: Nach drei Kinofilmen wird die Befürchtung immer größer, dass aus Burhan Qurbani einfach kein großer Geschichtenerzähler mehr wird. Schon in „Shahada“ und „Wir sind jung. Wir sind stark.“ suchte sich der Regisseur große, dringliche Stoffe aus und setzte sie, zugegeben, ziemlich gekonnt in Szene, doch inhaltlich scheiterten bisher alle auf ihre eigene Weise! Was die optische Gestaltungsvielfalt angeht, ist auch „Berlin Alexanderplatz“ großes Kino. Ja, das wirkt alles so, als hätte man Puzzleteile großer Klassiker genommen und aneinandergesetzt, selbst vor der obligatorischen Neonbeleuchtung im schummerigen Gangstermilieu wurde nicht zurückgeschreckt. Dennoch ist Qurbani ein Filmemacher, der sich auch im deutschen Mainstreamkino traut, einige echte inszenatorische Höhepunkte zu setzen und sei es nur die wild rotierende Kamera in einer überraschenden Überfallsequenz, die das Publikum aus dem Innern eines Autos heraus verfolgen darf. Darüber hinaus ins Qurbanis Prämisse, den Roman im gegenwärtigen Geflüchteten-Milieu zu verorten, eine äußerst clevere Idee für eine zeitgemäße Neuadaption, doch eine gut gemeinte Idee reicht eben nicht aus, wenn das Drehbuch dann mit dem Stoff nicht umzugehen weiß.
Plattes Gangsterepos
Von Döblins sprachlichem Kunstwerk, in dem sich permanent Stimmen, Motive und Textsorten in komplexen Montagen überlappen, ist im Grunde genommen nur das erzählerische Grundgerüst geblieben. Die gesellschaftspolitische Dimension bleibt dabei so platt und aussagelos, voller banaler Dialoge und Charaktermomente. Zumal es dabei deutlich an Schauspielführung mangelt, allen voran Albrecht Schuch („Systemsprenger“) als Reinhold stürzt sich mit Kinderstimme und verrenkter Körperhaltung zwar so leidenschaftlich in seine groteske Joker-Rolle, dass sein Regisseur beinahe den Blick dafür verliert, wie sein Bösewicht zur unfreiwillige komischen Karikatur verkommt. Auch als Auseinandersetzung mit Kriminalität per se gelingt „Berlin Alexanderplatz“ allenfalls ein kleiner Denkanstoß, aber keinesfalls überzeugende Durchdringung. Die alten Mafiapaten müssen hier fallen, das Verbrechen wird im öffentlichen Raum alltäglich und viel unmittelbarer ausgetragen. Als Beobachtung nicht verkehrt, aber das Döblin-Label im Titel fühlt sich fast wie eine Mogelpackung an. Dessen Dimensionen und dessen gesellschaftlicher Rundumblick erreicht Qurbanis dreistündige und viel zu lange Neuverfilmung des Romans nicht im Ansatz. Das Berliner Großstadtleben verkommt hier nur zum austauschbaren Kulissenschieben.
Fazit:
„Berlin Alexanderplatz“ ist eine groß gedachte, ambitionierte Neuinterpretation des Klassikers, dessen misslungenes Drehbuch so unbefriedigend und zäh geraten ist wie die beschwerliche Odyssee seiner Hauptfigur.
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