Midnight Special Kritik: Der telekinetische Messias

Jonas Gröne 4. Oktober 2016 0
Midnight Special Kritik: Der telekinetische Messias

Der Vorspann läuft, Off-Stimmen ertönen, präsentierende auf Band gesprochene Dauerschleifen, es ist die Werbung vom Fernsehgerät. Beiläufig hört man vom Ort, Texas, dann die Nachrichtenstimme mit einer Eilmeldung: Die Polizei meldet einen achtjährigen Jungen als vermisst. Im gleichen Moment das erste Bild des Films, ein mit Klebeband versperrter Spion an einer Türwand, an den jetzt ein Mann tritt und sich sachte einen Blick nach außen verschafft. „It’s time“, sagt er in leiser, vorsichtiger Stimme. Zeit wofür? Im Hintergrund bewegt sich ein weiterer Mann, macht sich bereit. Wofür? Er richtet sich Kragen, knöpft sich das Hemd, schaut zum Fernsehbildschirm, da zeigen die Nachrichten  ein Foto von ihm, von Roy (Michael Shannon), er habe den Sohn eines Vaters mit einem zweiten Komplizen, Lucas (Joel Edgerton),  entführt. Lucas lichtet indes die pappigen Schutzabdeckungen an den Fenstern. Roy packt Waffen ein, geht dann nach hinten, wo sich ein kleiner, schneeweißer Junge zwischen zwei Motelbetten unter einem Laken verschanzt. Der Zuschauer weiß, hier ist das entführte Kind. Der Junge hat sich mit verrückten Gadgets ausgerüstet, Taucherbrille, Lärmschutz und mit Taschenlampe taucht er jetzt aus dem Laken hervor, als führe er kindheitsgetreu unter Decke ein phantastisches Life-Adventure. Ganz so ist es aber nicht. Doch so startet der von Jeff Nichols (Take Shelter, Mud) gedrehte Scifi-Abenteuerfilm Midnight Special aus dem Jahr 2016.

Dieser blassgetrunken ausschauende Junge mit dem komischen Outfit ist kein normales Kind in seinem Alter. Alton gespielt von Jeaden Lieberher, so heißt der Wunderknabe, hat telekinetische Begabung und ist von seinem eigentlich biologischen Vater, „Are you ready?“, fragt dieser, von einer sektenähnlichen Glaubensranch, die neben FBI, NSA und Polizei dringlich nach den Flüchtigen sucht, nicht entführt worden, sondern geflohen. Alton ist anders als normal. Wie im Delirium erzählen später Zeugen bei Verhörungen von ihren Erlebnissen mit dem Jungen, dass er einfach so ein Auto anhalten konnte, es kamen riesige Leuchtstrahlen aus seinen Augen, später bekam er solche Anfälle. Ganz komisch. Aber heilig! Doch was hat es damit auf sich? Und wohin will der Film uns führen? Erstmal geht es auf die Flucht vor den Bösen!

Das geflüchtete Trio will zu bestimmten Koordinaten gelangen. Antennenhaft von Alton gefiltert. Dort erwarte den mysteriösen Jungen, der so sonnenlichtverträglich ist wie ein Vampir, etwas Besonderes. Paradoxerweise und symbolisch dazu erfährt Alton erst, was ihn erwartet, als er sich in Begleitung seines Vaters bewusst und willentlich dem sonst unverträglichen Tageslicht aussetzt. Wie eine Erlösung prallen vom cineastischen Lens Flare geballte Strahlen aus seinem Augenschein, die an früherer Stelle schon mit etwas ganz Heiligem gepriesen wurden´. Von denen, die ihm in die Augen blickten: „Ich wollte es noch einmal sehen“, sagt ein glaubender Freund, denn in Midnight Special hängt viel am Glauben. Da wäre die religiös und sektenhaft gezeichnete Ranch, dessen Bewohner Alton mit dem Erlöser höchst selbst assoziieren, der ihnen das Heiland am Tage des Jüngsten Gericht bescheren soll. Später die von Kristen Dunst gespielte Mutter, die sich eigentlich ziemlich charakterlos verhält, obwohl sie auch nach Art des konfessionellen Auftretens der filmischen Story die Mutter Maria aus einer Gleichnisanekdote sein könnte.

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Die Geschichte mit der Telekinese erinnert an Brian De Palmas King-Verfilmung Carrie. Das ist  gar nicht so verfehlt. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Telekinese, Übermenschliches sich entschiedener in der ethischen Frage kreuzt, als in der rationalen Analyse oder dem eigentlichen Begreifen dessen. Vielleicht liegt es daran, dass wir Menschen schier zu irdisch sind und alles Weitere über uns, die metaphysischen Entitäten nicht in einem Sinn zu finden bereit sind, wodurch wir es schließlich nur wie entweder in Carrie als Satansbrut abwerfen können oder ins Erlösende predigen, wie Nichols Midnight Special praktiziert.

Aber genau daran beißt sich der Film nun wahrlich den guten Willen ab, denn man hat hier versucht, eine emotionale, fast schon rührende Geschichte aufzuziehen, zugegeben mit einer orpulenten Prise Agentenzeugs, doch wenn einem schlussendlich die vom Skript her recht melancholische Szene des Abschieds zwischen Mutter und Kind, eher wie ein ganz netter Anblick daherkommt, bedeutet das für den Zuschauer mehr Gleichgültigkeit, eben die kalte Schulter, als herzergreifende Anteilnahme. Da hilft auch kein notorisches Wasserlassen. Auch Vater Roy eifert seinem Sohn mehr als Jünger und Protektor eines Heiligen nach, als dass er spürbar so etwas wie eine seelische Tiefe besitzt. Hier liegt keine konventionelle Vater-Sohn-Beziehung im Takt, obwohl das recht schöne Bild zwischen den beiden im fallenden Sonnenhimmel mit eines der besten im Film ist. Er glaubt an das Extraterrestriale in dem Jungen. Das macht diese rasende Flucht zu einer märtyrerhaften Pilgerfahrt, die nur wie vorhergesagt mit einem schon mythischen Xanadu enden kann, das en passant auch mehr Frage als Antwort lässt. Deutlich wird das anhand der Schnitttechnik. Als hätte Nichols einfach nicht mehr zu zeigen, schwenkt die Kamera von leerstehenden Gesichtern der Figuren ab und wechselt die Szene. Frage: Wieso nicht mal den ein oder anderen Witz?

Das klingt jetzt so, als habe man von anfangs an nur Schlechtes vom Film zu lassen. Stimmt nicht. Zu mögen ist nämlich das gesamte Setting des Films. Hier werden die Fluchtmomente mit nächtlicher Stimmungslage verwoben. Auch die Szenen, in denen Altons Kraft aufquillt, sind Greifende. Man stelle sich jetzt Nichols Streifen noch mit gelungenen, ausgereiften Charakteren vor.

Der Regisseur verliert sich in dieser auf die Leinwand gebrachten Konfession von Midnight und Special. Vielleicht hätte er dramaturgisch einen tieferen Ton anschlagen müssen, als es das dämmernde Klavier in den schönsten Bildern des Films tut, im abendlichen Halbdunkel, wenn die Flucht fortnimmt. Das eigentliche Potential des Films blitzt in den letzten Szenen sogar noch sauber hervor. „Could we go back to Texas, now?“, witzelt Lucas. Und ein bisschen Texas hätte dem Film auch gutgetan.

Beitragsbild: © Warner Bros. / *AffiliateLink

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