St. Vincent (2014) Kritik: Ganz und gar nicht heilig

Nils 21. Mai 2015 5
St. Vincent (2014) Kritik: Ganz und gar nicht heilig

Es gibt Filme, die einfach schön sind ohne dabei einen anderen, übergeordneten Sinn zu haben, als gehaltvoll zu unterhalten und eine Geschichte zu erzählen. In diese Kategorie Film fällt „St. Vincent“ zweifelsohne: Der 2014 erschienen Film berührt, ohne dabei kitschig zu wirken – das Ende einmal ausgenommen.

Für das Comedy-Drama mit Bill Murray, Jaeden Lieberher und Melissa McCarthy in den Hauptrollen übernahm Theodore Melfi die Regie, der – gemessen an seiner Filmographie – bisher eher zu den unbekannteren Regisseuren und Produzenten zählte. Mit seinem letzten Film über den verbitterten Vincent (Bill Murray), einen Vietnam-Kriegsveteranen, und dessen ungewöhnliche Freundschaft zu Oliver (Jaeden Lieberher) gelang ihm allerdings ein seltenes Kunststück: eine Komödie, deren Witze passend und selten flach erscheinen und die gleichzeitig eine verblüffende Geschichte über Freundschaft und das Erwachsen werden erzählt.

Pferderennen, Alkohol und „Frauen der Nacht“ – Einblicke in eine neue Welt

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Vicent MacKenna ist der griesgrämige und einsame Sohn irischer Immigranten, der seine Zeit in Bars und an der Pferderennbahn verbringt. Ein bisschen Abwechslung verschafft er sich durch seine Treffen mit Daka, einer russischen Prostituierten, die bereits schwanger ist, sowie mit dem Halten einer Katze. Der Umstand, dass Vicents Frau am Alzheimer leidet und in einem Heim lebt, trägt ebenso wenig zu einer Verbesserung seines Gemütszustands bei wie die häufigen Verluste, die er beim Wetten erleiden muss. Als Maggie (Melissa McCarthy), die ihren Mann verlassen hat, und ihr Sohn Oliver im Nachbarhaus einziehen wittert Vincent bald eine Chance sich ein paar Dollar zu verdienen, indem er auf Oliver aufpasst, wenn dieser aus der Schule kommt und seine Mutter Überstunden im Krankenhaus arbeitet. Dafür seinen Lebensstil aufzugeben, kommt Vincent allerdings nicht in den Sinn: So geht er fortan mit dem kleinen Oliver zu Pferderennen, bringt diesem bei, wie er sich gegen seine Mitschüler zur Wehr setzen kann und lässt die Abende mit seinem Schützling in einer Bar ausklingen. Während Oliver eine für ihn neue Welt kennenlernt, verändert sich auch Vincent, der allem Anschein zum trotz eine sehr emotionale Seite in sich versteckt hält. Schon bald wird die ungewöhnliche Freundschaft der beiden allerdings durch die Geldsorgen Vincents auf die Probe gestellt.

Filmtechnisch ist „St. Vincent“ sicher nichts Neues. Im Gegenteil: Die Kameraführung haben wir so ähnlich schon hundert mal gesehen; der Aufbau des Plots ist klassisch: Erscheinen zur Hälfte des Streifens bereits alle Probleme gelöst, wirft das retardierende Moment die Charakter plötzlich wieder meilenweit zurück und auch das Ende ist weitgehend vorhersehbar.

Und nicht nur technisch bedient sich der Kinofilm bekannter Konzepte: Auch inhaltlich werden oberflächliche Parallelen besonders zu einem anderen Werk deutlich. Obwohl Clint Eastwoods „Gran Torino“ auf einer völlig verschiedenen Ebene spielt und sich zu einem Großteil mit einer anderen Problematik auseinandersetzt, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren hier augenscheinliche Ähnlichkeiten zu erkennen. Sei es die nachbarschaftliche Beziehung, die zunächst von gegenseitigem Unverständnis und beidseitiger Ablehnung geprägt ist, oder die letztendliche Freundschaft sehr unterschiedlicher Kulturkreise beziehungsweise sozialer Milieus: An vielen Stellen wirkte „Gran Torino“ wie der filmische große Bruder von „St. Vincent“.

 Bill Murray, Jaeden Lieberher und starke Nebendarsteller

Nichtsdestotrotz gelang Melfi mit „St. Vincent“ ein ansprechender Film, der glaubwürdig erscheint, den Zuschauer berührt und mitnimmt und solide und sehenswerte Unterhaltung bietet: Eine Tatsache, die das Werk in erster Linie seinen herausragenden Schauspielern verdankt, die faszinierende Charaktere darstellen.

stvincent_scene2(c) Polyband/WVG

Für viele dürfte Bill Murray einer der Hauptgründe für den Kinobesuch oder den Kauf der DVD gewesen sein. Und in der Tat passt Murray, der den meisten durch Filme wie „Ghostbusters“ „Zombieland“ und „The Grand Budapest Hotel“ bekannt sein dürfte, nahezu perfekt in die Rolle des griesgrämigen, verbitterten und vom Leben enttäuschten Frührentners und schafft es, diesen trotz seiner offensichtlichen Schwächen sympathisch erscheinen zu lassen.

Doch nicht nur Murray glänzt als Vincent, auch Jaeden Lieberher brilliert in seiner Debütrolle als Oliver Bronstein. Der Kleine wirkt von Anfang an liebenswert. Durch seine überlegte und verständnisvolle Art gelingt es ihm als einem der ersten mehr von Vincent zu erfahren und sich dessen Anerkennung zu erarbeiten. Oliver mag zunächst etwas naiv erscheinen, doch es wird schnell klar, dass seine Fragen und sein Verhalten wohl durchdacht sind und er die positiven Charaktereigenschaften in sich vereint, die Vincent nur mit allergrößter Mühe zu Tage bringen kann – kurzzeitig kam mir daher beim Schauen das Bild des „kleinen Prinzen“ von Saint-Exupéry in den Kopf. Doch verkörpert der Film auch die Idee, dass es „Musterschülern“ wie Oliver manchmal sogar gut tut, in eine andere, rauere Welt zu schnuppern und sich selbst einmal etwas „daneben“ zu benehmen. Lieberher verkörpert diese Rolle sehr überzeugend und mit großer Begeisterung und wir dürfen gespannt sein, was wir in Zukunft noch von dem Jungen zu sehen bekommen.

Es muss nicht immer Action sein

Auch die Nebendarsteller in „St. Vincent“ scheinen sorgsam ausgewählt worden zu sein. Hier sticht besonders Chris O’Dowd als überengagierte Religionslehrer Bruder Geraghty hervor. Der Ire, der derzeit in „Moon Boy“ zu sehen ist, karikiert mit seinen fortschrittlichen Unterrichtsmethoden und den an die veränderte kulturelle Zusammensetzung einer Klasse an einer US-amerikanischen katholischen Schule nicht zuletzt das klassische Selbstverständnis der (katholischen) Kirche.

Wer also auf der Suche nach witziger Unterhaltung mit etwas Tiefgang ist wird mit „St. Vincent“ sicherlich mehr als zufrieden gestellt. Zwischen den Blockbustern von 2015 wie „Age of Ultron“, „Mad Max:Fury Road“ und „Spectre“ tut es gut einmal etwas zurückzutreten und sich mit Filmen wie dem von Melif vor Augen zu führen, dass das Leben auch ohne Explosionen, Verfolgungsjagden und unzählige (Film-)Tote spannend und eigentlich doch viel schöner sein kann und ist.

St. Vincent erscheint am 29. Mai auf DVD, Blu-ray und Video on Demand.

Alle Bilder: © 2014 Sony Pictures / Polyband/WVG
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