„Sherlock Staffel 3“ – Kritik zur Special-Edition

Tommy 26. März 2015 3
„Sherlock Staffel 3“ – Kritik zur Special-Edition

Geduld ist eine Fähigkeit, die „Sherlock“-Fans mitbringen sollten. Alleine aus Selbsterhaltung, denn die zwei Jahre Wartezeit zwischen den einzelnen Staffeln können zu einer Pein werden. Besonders da die Macher Steven Moffat und Mark Gatiss – der übrigens Sherlocks Bruder Mycroft spielt – eine Schwäche für Cliffhanger haben. So bleibt viel Zeit, um sich an den wilden Theorien zu beteiligen, die das Internet in schöner Regelmäßigkeit nach einem Staffelende überfluten. Letztes Mal war es noch der Sturz von Sherlock, diesmal eine halbminütige Videobotschaft. Da ein solches Rätselraten aber ermüdend wird, wenn die Auflösung auf sich warten lässt, muss man sich zwangsläufig nach Alternativen umsehen.

Viele Extras als Freizeitkiller

Eine angenehme ist die Special-Edition zur dritten Staffel, die am 27.03.2015 bei uns erscheint. Und das aus zweierlei Gründen. Zum einen bietet sie fast vier Stunden Bonusmaterial, das durch einen abwechslungsreichen Blick hinter die Kulissen unterhält. Neben den klassischen Outtakes und einer ungenutzten Szene, in der der Oberbösewicht Charles Augustus Magnussen Sherlock an dessen Krankenbett besucht, wird der Zuschauer regelrecht mit Interviews und Making-Ofs verwöhnt. Diese Extras bestechen jedoch nicht nur durch ihre Vielzahl, sondern ebenfalls durch Vielfältigkeit. Interviews von 2010 sind zu sehen, die wenige Tage vor der Premiere und dem Hype aufgenommen wurden und als unschuldiger Kontrast zu den heutigen Aufnahmen stehen, die von Fans belagert werden. Es gibt eine Mischung aus Making-Of und Dokumentation, die das Phänomen „Sherlock Holmes“ durchleuchtet und aufzeigt, dass bereits das Ausgangsmaterial qualitativ hochwertig war. Daneben werden viele Aspekte der Serie analysiert, wie die verschiedenen Rollen, einige technische Spielereien zur Visualisierung und die Intentionen der Schreiber hinter fast jeder Entscheidung.

Gerade beim letzten Punkt wird deutlich, wie viel Spaß Moffat und Gatiss bei ihrer Arbeit haben. Die beiden sind Sherlock-Fanatiker, wodurch es eine Freude ist, ihren Gesprächen zu lauschen. Sie springen von einer Anekdote zur nächsten Filmadaption und zeigen unterhaltsam, dass sie Kenner des Kosmos sind, der um die Romanfigur von Sir Arthur Conan Doyle im Laufe der Jahrhunderte entstanden ist. Dies ist zweifellos die Ursache, warum ihre Fan-Fiction derart überzeugt; womit wir gleichzeitig zum zweiten Grund kommen, warum die Special-Edition eine lohnende Ablenkung ist: Die Qualität der einzelnen Folgen.

Clevere Köpfe sorgen für facettenreiche Szenen

Gleich in der ersten Szene beweisen die beiden, wie clever sie mit Erwartungen spielen können. Ihnen war klar, dass nach zwei Jahre alle lediglich eines in dieser ersten Folge interessiert: Wie hat Sherlock den Sturz überlebt? Was wäre also naheliegender, als mit einer schwachsinnigen Lösung anzufangen und die gesamte Erwartungshaltung zu persiflieren? Die erste Folge „The Empty Hearse“ spielt im weiteren Verlauf wiederholt Katz und Maus, wodurch der Zuschauer nie wissen kann, welche Version nun endgültig stimmt. Denn die Macher sind klug genug, sich vom Hype nicht anstecken zu lassen und die wirklich wichtige Frage bei der Rückkehr von Sherlock zu übersehen: Wie nimmt John die Rückkehr seines totgeglaubten Freundes auf?

Dieses Aufeinandertreffen ist ein hervorragendes Beispiel für die exzellente Schreibe von Moffat und Gatiss. Sie ist witzig und emotional, grausam und erheiternd, verbindet das Neue mit dem Alten und etabliert einen Konflikt. John Watson (Martin Freeman) ist mit seiner Freundin Mary Morstan (Amanda Abbington) in einem Lokal, um ihr einen Heiratsantrag zu machen, als Sherlock (Benedict Cumberbatch) sich ihm zeigen will. Dieser beweist einmal mehr, dass er zuweilen die emotionale Reife eines Kindes hat, da er einen Witz aus dem Wiedersehen macht. Er tritt als Lausbub in Erscheinung, der sich mit Brille, falschem Bart und Akzent schmückt und so John überraschen möchte. Jedoch funktioniert dieser Streich nur beim Zuschauer und nicht bei dem eigentlich Ziel. Die Tragweite seines Verschwindens ist ihm offensichtlich nicht bewusst; er möchte sofort mit John den nächsten Fall bearbeiten und sich nicht weiter um Gefühle kümmern. John steht diesmal nicht der Sinn nach Lachen. Er ist nicht erfreut seinen Freund wiederzusehen, sondern geschockt. Die schwierige Zeit, die er nach dem Verlust von Sherlock durchstehen musste, bricht wieder hervor und lässt ihn fragen, warum ihm Sherlock dies angetan hat. Es ist kein „wir machen einfach munter weiter“, da die Leidenszeit für ihn zu niederschmetternd war.

Das Wiedersehen wurde somit optimal ausgenutzt. Sherlock als französischer Kellner war ein Genuss, Johns Reaktion packend, der Konflikt zwischen den beiden wurde etabliert und nebenbei Mary Morstan als neuer Charakter vorgestellt. Moffat und Gatiss beweisen regelmäßig ihr Gespür für einen intelligenten Aufbau, in dem vielerlei Aspekte passend untergebracht werden und das häufig nicht in linearer Struktur, was den Zuschauer zum ständigen Mitdenken zwingt. Selbst kleine Details können später eine weitreichende Bedeutung entwickeln und Querverweise zwischen den Folgen fallen oft erst nach mehrmaligem Ansehen auf; man achte beispielsweise auf ein Telegramm in der zweiten Folge „The Sign of Three“ von einem ominösen Absenders namens CAM.

I’m a high functioning sociopath. With your number.

Ein häufiger Kritikpunkt der neusten Staffel ist der Humor, der für einige zu überbordend eingesetzt wurde. Die Quantität ist definitiv angestiegen, allerdings nicht zu Lasten der Qualität. Denn selbst bei den Witzen wird das Gespür für die Figuren ersichtlich, die entweder mit Mycroft und Sherlock durch Sarkasmus punkten, bei John mit seinen Reaktionen auf Sherlocks Verhalten und bei Mary mit ihrem aufgeweckten, lockeren Charme. Häufig werden Witze nicht einfach des Lachers wegen untergebracht, sondern garnieren eine Szene, die ernste Elemente hat – siehe das bereits erörterte Wiedersehen. In „The Sign of Three“ steht die Hochzeit zwischen John und Mary auf der Tagesordnung, bei der Sherlock als Trauzeuge fungiert. Wenn der Meisterdetektiv einen Bekannten von Mary durch eine Grimasse einschüchtert oder den Ringträger mit Fotos von Leichen und Enthauptungen besticht, ist das auf den ersten Blick amüsant. Auf den zweiten wird deutlich, dass er sich in seine Aufgabe hineinsteigert, weil John ihm viel bedeutet. Bei den Szenen geht es primär nicht um die Witze, sondern um die Beziehung zwischen Sherlock und John, die durch dessen Ehe auf die Probe gestellt wird.

Mary Morstan als freies Radikal

Denn Sherlock ist zu Beginn verunsichert, wie er auf Mary reagieren soll. Er fürchtet, dass seine Freundschaft darunter leidet, weil John in Zukunft wenig Zeit für ihn haben wird. Mary hätte leicht zu dieser Figur werden können, die sich als Keil gewiss den Hass der Fans zugezogen hätte. Doch Amanda Abbington zeichnet das Bild einer liebenswerten, heiteren Frau, die eine überzeugende Chemie zu Martin Freeman aufbaut; was wohl daran liegt, dass die beiden auch im Privatleben liiert sind. Sie wird zu einem belebenden Element, das die Beziehung zwischen John und Sherlock bereichert. Mary hat Verständnis für ihre Freundschaft, weswegen sie ihnen nicht im Weg stehen will, sondern lieber munter mitmischt. Selbst mit Sherlock versteht sie sich prächtig und harmoniert mit ihm auf angenehme Art, was nicht selbstverständlich ist. Trotzdem wird sie nicht auf das nette Frauchen reduziert, sondern erhält ihre eigene, weitreichende Hintergrundgeschichte, die für ordentlich Wirbel sorgt. Aus Gründen der Diskretion belassen wir es bei dieser vagen Andeutung.

Zwischenmenschliches vor Verbrechen

Ohnehin nehmen die Beziehungen zwischen den Charakteren eine größere Rolle ein, was dafür sorgt, dass die Fälle in den Hintergrund rücken. In der ersten Folge geht es um die kriselnde Freundschaft von John und Sherlock, die einen Schritt zurück gemacht hat und nun behutsam wieder aufgebaut werden muss. Der drohende Terroranschlag dient dabei eher als Vorwand, um die beiden wieder näher zusammenzubringen. Die zweite Folge dreht sich ganz um die Hochzeit von John und Mary, sowie der Trauzeugenrede von Sherlock; die laut Gatiss Katastrophe und Meisterwerk zugleich werden sollte – was auf köstliche Art gelungen ist. Der Fall dieser Folge ist durchaus ausgetüftelt, allerdings vermisst man hier die nötige Tragweite; nach den letzten Folgen ist man schlicht mehr gewohnt. In der letzten Episode erhalten wir mit Charles Augustus Magnussen nach Moriarty das nächste bösartige Superhirn präsentiert, wodurch diese Konfrontation mit dem Verbrechen die beste der gesamten Staffel ist. In „His Last Vow“ wird zusätzlich das Verhältnis zwischen den Figuren ausreichend behandelt, wodurch das Beziehungsgeflecht als umfassender Rahmen der Staffel dient. Der positive Nebeneffekt ist, dass diesmal alle drei Folgen überzeugen können; zuvor schwächelte „Sherlock“ gerne bei der mittleren Episode.

Schnelle Sprüche, schnelle Bilder

Die BBC-Serie stach bereits in der Vergangenheit durch ihre stilistische Aufmachung hervor. Schnelle Schnitte, reichlich Detailaufnahmen und kreative Ideen sorgten für einen modernen Stil, der jetzt einen Schritt weitergeht. In jeder Einstellung wird das Gefühl deutlich, dass der jeweilige Regisseur fieberhaft nach neuen Möglichkeiten sucht, die entsprechende Szene erfrischend zu visualisieren. Produzentin Sue Vertue macht dafür die Tatsache verantwortlich, dass eben drei verschiedene Regisseure ihre Ideen umsetzen durften und sich untereinander in einem gesunden Wettbewerb befanden. Jeder will etwas Neues hinzufügen, was zuweilen überreizt wird. Beispielsweise werden in einer frühen Szene zwei Kaffeebecher zu Johns Augen transzendiert, was doch arg forciert wirkt. Allerdings sind solche Fehlgriffe rar gesät. Die Regisseure spielen mit Licht und Schatten, setzen Lens Flare ein, um Personen unkenntlich zu machen, die Farben wirken satter und kräftiger als in den bisherigen Folgen. Beim Betreten des lange verlassenen Zimmers von Sherlock fällt das Licht auf den angesammelten Staub und verdeutlicht so die Abwesenheit von Leben. Wenn John Watson betäubt wurde und orientierungslos ist, werden die Einstellungen entsprechend unscharf gehalten, damit auch der Zuschauer wenig erkennen kann.

In der Darstellung ist man stets darauf bedacht, was beim Zuschauer ankommt. Informationen, die wichtig für das Verständnis sind, werden schlicht dargestellt, was andernfalls wie ein erzwungenes Aufgreifen wirkt, wenn Charaktere sie äußern würden. Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Bei einer Hetzjagd rasen Sherlock und Mary durch London, während die verbleibende Zeit und der Weg wie bei einem Navigationssystem gezeigt werden, da Sherlock sie sich imaginär vorstellt. Andernfalls hätte er Mary die ganze Fahrt über auf dem Laufenden halten müssen, damit der Zuschauer es ebenfalls mitbekommt; so wurde eine elegantere Lösung gefunden. Die Darstellung der Arbeitsweise von Sherlock ist eh ein fester Bestandteil der Serie. Seine Gedankengänge werden für den Zuschauer optisch aufbereitet, was einen Blick auf seine Denkmuster und seine Schnelligkeit erlaubt. Dies ist zwingend notwendig bei den Deduktionen, die laut Moffat und Gatiss der schwierigste Part ihrer Arbeit sind. Eine lohnende Mühe, denn das Ergebnis überzeugt sowohl inhaltlich als auch visuell und komprimiert derart viele Informationen in einer unfassbaren Geschwindigkeit, dass man höchstens mittels der Pause-Taste alles erfassen könnte.

Das schwere Erbe

Nach all den berechtigten Lobeshymne, dürfen die Probleme natürlich nicht unerwähnt bleiben. Womit wir zu Charles Augustus Magnussen kommen. Eines vorneweg: Lars Mikkelsen spielt den sadistischen Medienmogul mit Mangel an Manieren fantastisch. Das Problem liegt hier eher bei der Abfolge der Serie, denn wenn man mit dem besten Bösewicht beginnt, kann der Nachfolger bloß verlieren. Moriarty war der Rockstar, er ist die graue Eminenz. Seine Bedrohung wird durch Wissen aufgebaut, was kühler und berechnender wirkt. Der Spaß bleibt hier doch etwas zurück. Dennoch ist er eine interessante Figur, die eine spannende Frage beantwortet: Wie gefährlich ist ein Bösewicht mit den Qualitäten eines Sherlock Holmes? „His Last Vow“ zeigt darüber hinaus leider zum ersten Mal eklatante Logikfehler auf und präsentiert ein Ende, das weitreichende Konsequenzen vermissen lässt.

Moffat und Gatiss haben bewiesen, dass sie es besser können und sich damit einige Erwartungen aufgebürdet. Dass diese zuweilen enttäuscht werden, liegt in der Natur der Sache, jedoch zeigt die dritte Staffel trotz ihrer Probleme in eine Richtung, die Spaß auf mehr macht. Leider zu viel, denn die Wartezeit bis zur vierten Staffel wird dadurch gefühlt vergrößert. Aber wie sagt man so schön: Vorfreude ist die schönste Freude und wir haben ja immerhin noch die vorhandenen neun Folgen, die man nicht oft genug sehen kann. Und wenn das nicht reicht, bleibt in der Zwischenzeit noch eine Frage zu beantworten: Did you miss me?

Beitragsbild: (c) BBC

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