Filmkritik: Die Bücherdiebin – The Book Thief (2014)

Martin 15. März 2014 0
Filmkritik: Die Bücherdiebin – The Book Thief (2014)

Der Film „Die Bücherdiebin“ eröffnet sich fast wie der Vorhang zu einem Märchen. Durch eine weiße Wolkendecke hinab, begleitet von einem Erzähler, wird ein durch eine prächtige Winterlandschaft fahrender Zug gezeigt. Eine Szene, die wohl Generationen von Kindern, ihren Eltern und Erwachsenen mit dem Hogwarts Express der Harry-Potter-Filme und damit dem Aufbruch in ein magisches Abenteuer verbinden. In der Folge wird eine sich während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland abspielende Geschichte erzählt. Das ist faktisch-harter Stoff. Der Spagat zwischen märchenhafter Erzählung und Aufmachung sowie Historiendrama scheint während der gesamten Spielzeit aber nicht ganz gelingen zu wollen.

Die Bücherdiebin ist ein von Markus Zusak 2005 veröffentlichter Roman, der die Geschichte von Liesel Meminger erzählt. Inwiefern der Film dem Buch Rechnung trägt, kann ich nicht einschätzen, da ich es nicht gelesen habe. Liesel wird gespielt von Sophie Nélisse, einem hübschen, blonden, mit großen blauen Rehaugen gesegnetem Mädchen. Sie entspricht somit dem Klischee des gutaussehenden und gutherzigen Märchenmädchens und -helden. Nach einem weiteren Klischee, wie man es nur von den Gebrüdern Grimm & Co. kennt, lebt sie, nachdem sie von ihrer Mutter aufgegeben werden musste, fortan in einem neuen Zuhause, mit ihr fremden Personen, die ab jetzt ihre Eltern sind. Nun, genretypisch wäre wohl hier, dass diese Bezugspersonen entweder vollkommen böse sind, wie etwa die Mutter und ihre Töchter in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Oder die das Heim bewohnenden Leute sind gutherzige Menschen, sagen wir mal, wie in „Schneewittchen und die sieben Zwerge“. Da die Hütte am Anfang aber sowohl von einer sehr freundlichen Person, dem Vater, als auch von einer scheinbar giftigen Dame bewohnt wird, scheint man hier einen märchenhaften Mittelweg gewählt zu haben, der Spannung und Drama kreieren soll. Leider wirkt diese Konstellation aber vor allem zu Beginn wie eine Karikatur und verhagelt den Start des Films gewaltig. Denn warum leben zwei so unterschiedliche Figuren wie Hexe und Kreuzritter zusammen und sind dazu noch verheiratet? Im Rahmen einer daher eher zwanghaft wirkenden und somit scheinbaren Charakterentwicklung nimmt Rosa Hubermann, die von Emily Watson hervorragend gespielt wird, langsam aber sicher eine Wandlung an. Die sich so offenbarende Annäherung an Liesel kann man z. B. daran sehr schön ablesen, dass sie am Anfang nie die Schlafstube des Mädchens, das obere Zimmer betritt, was sich aber nach und nach ändert. Geoffrey Hurst mimt den Ziehvater Hans Hubermann mit seiner schon in „The King´s Speech“ (2010) gezeigten Wärme und legt somit eine deshalb nicht nur aufgrund seines Alters beinahe großväterliche Präsenz an den Tag.

Die beiden Elternpole sind die Startpunkte und Stellvertreter der Erzählstränge und Hauptthemen des Films: Der Faszination an Wörtern, dem Lesenlernen, als auch der Sehnsucht von Liesel nach ihrer echten Mutter. Diese Storys werden vor dem Hintergrund des damaligen Deutschlands erzählt. Historische Ereignisse werden mal subtiler, durch die sich ständig verändernden Dorfstraßen oder das Abspachteln von Anzeigetafeln jüdischer Warenläden, mal direkter erzählt oder gar gezeigt, wie bei den Bücherverbrennungen. Eines Tages kommt Max (Ben Schnetzer), ein Jude, in das Heim der Hubermanns. Hans hat den Vater gekannt und schuldet ihm einen Gefallen. Sie verstecken ihn vor den Nazis. Liesel klaut Bücher, die sie ihm vorliest. Ihre Wandlung von einem Illettristen, also jemandem, der nicht lesen kann, zu einer begeisterten und begeisternden Leserin und Dichterin ist fast schon zu viel des Guten, betont aber vielleicht gerade das märchenhafte Element des Films. Es mag für einige Zuschauer aber derart fantastisch sein, dass sie es schon wieder für unglaubwürdig halten.

Mir ist unter anderem deshalb nicht ganz klar geworden, für wen der Film genau gemacht wurde, oder wen er ansprechen soll. Die märchenhafte Aufmachung und die Story mögen für Erwachsene und Jugendliche vielleicht zu platt sein. Es gab bereits einige Dramen (eine große Untertreibung) in diesem historischen Umfeld. Viele von ihnen haben eine weitaus größere emotionale Wucht und Erzählkraft. Auch Kinder als Hauptdarsteller können in diesen Filmen großes Gefühlskino kreieren, wie „Der Junge im gestreiften Pyjama“ (2008) eindrucksvoll beweist. The book thief trägt das Alterssiegel FSK: 6. Jüngere Seher werden durch die teilweise nur angedeuteten historischen Ereignisse und die Narrationsweise eher verwirrt als aufgeklärt. Was hat es mit dem Erzähler auf sich, der die Personifikation vom Tod darstellen soll? Warum bricht ein Krieg aus? Was sind Kommunisten? Der Film setzt voraus, dass man bereits andere Filmwerke mit dem gleichen historischen Bezug geguckt oder Bücher gelesen hat. Ähnlich einer Check-Liste werden die meisten signifikanten Ereignisse kurz dargestellt und symbolisert. Insgesamt hilft das Unwissenden und Wissenden gleichermaßen wenig und sorgt in beiden Zielgruppen für Zerstreuung. Das einzige, was mir neu war, ist das damals scheinbar ständig geläufige gegenseitige Ansprechen mit Schimpfwörtern innerhalb und außerhalb der Familie.

Garniert werden Szenen und die sich dazwischen abspielenden Dialoge mit Zuckerguss und Melodram. Das Endprodukt ist eine Art Kitsch-Kuchen, der zu beiden Teilen bitter und süß schmecken soll, und mir deshalb nicht so recht mundet. Er verspricht zudem mehr, als er zu halten imstande ist: Ohne größere Inhalte verraten zu wollen, werden während der Spielzeit zahlreiche Storyelemente eingeführt, deren Auflösung nicht befriedigend ist oder die danach gar nicht mehr aufgegriffen werden. Dazu zählen z. B. die Drohungen eines unfreundlichen Kindes, Franz Deutschers auf der Dorfbrücke sowie das Einberufen des gleichaltrigen Freundes von Liesel, Rudy, zu einem Elite-Training. Sieht man davon ab, ist die Geschichte die hier erzählt wird, grundsätzlich schon anrührend und interessant. Insbesondere die Interaktionen von Liesel mit ihren Eltern und den anderen Figuren sowie darin vertretene Standpunkte nehmen einen zentrale Stellung in dem Film ein und unterstreichen die Wichtigkeit der Menschlichkeit sowie ihrer Bewahrung in unmenschlichen Zeiten. Trotzdem scheinen diese Momente nie das ihnen innewohnende volle emotionale Potenzial ausschöpfen zu können, da sie in mit dem moralischen und melodramatischen Zeigefinger aufwartenden Dialogen und in für diese Zeit fast steril anmutenden Szenenbildern eingelegt werden.

Fazit

Die Bücherdiebin ist daher insgesamt ein routiniert vorgetragenes, wenn auch ohne große inhaltliche Highlights daherkommendes Filmwerk. Die Schauspielerleistungen gehören (teilweise gezwungenermaßen) zu den Pluspunkten des Films. Aus der grundsätzlich interessanten Storyidee und dem vielleicht für einige mittlerweile überstrapazierten Setting wird meiner Ansicht nach aber zu wenig herausgeholt.

Filmkritik: Die Bücherdiebin – The Book Thief (2014)

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