Game of Thrones Staffel 5 Folge 4 Kritik: „The Sons of the Harpy“

Thomas Neumeier 4. Mai 2015 1

Morgendämmerung an der weiten See. Die Wellen rauschen, ein einsamer Fischer und sein Kahn … die vierte Folge „The Sons Of The Harpy“ steigt beschaulich und idyllisch ein, wäre da nicht Ser Jorah Mormont, der den Kahn braucht, um den entführten Tyrion nach Meereen zu bringen. Doch eins nach dem anderen. Die vierte Folge der fünften Staffel setzt eine Menge in Bewegung und lässt auch am Horizont etliche Dinge aufblitzen.

Die weitreichendsten Entwicklungen vollziehen sich in Königsmund. Doch blicken wir zunächst in die Grüfte von Winterfell, wo wir aus Petyr Baelishs Mund ein wenig mehr von Ned Starks Schwester Lyanna und dem Turnier in Harrenhal hören, als Prinz Rhaegar sich seinerzeit einen dicken Eklat erlaubt hat. Für viele Lords war das die erste Flamme, aus der später „Roberts Rebellion“ erwuchs. Einige Zeit später nämlich hat Prinz Rhaegar Lyanna Stark entführt – und, wie Sansa zu wissen glaubt, auch vergewaltigt. Daraufhin traten Lord Rickard Stark, Wächter des Nordens, und sein ältester Sohn Brandon (Neds und Lyannas älterer Bruder) vor König Aerys. Der wiederum machte seinem heimlichen Titel „Der Irre König“ alle Ehre, ließ Lord Rickard bei lebendigem Leibe in seiner Rüstung verbrennen und Brandon sich selbst zu Tode strangulieren. Das war die Initialzündung für die Rebellion. Der Norden (nun unter Ned Stark), die Sturmlande (unter Robert Baratheon, dem Lyanna versprochen war), Hohenehr (unter Jon Arryn) und die Flusslande (unter Hoster Tully, Catelyns und Lisas Vater) erhoben sich in Rebellion. Bei der großen Schlacht am Trident erschlug Robert Prinz Rhaegar im Zweikampf mit seinem Kriegshammer. Da erkannte nun auch der bislang neutrale Tywin Lannister, dass er mit den Targaryens auf der Verliererseite stand. Er zog mit seinem Heer nach Königsmund, und Grandmaester Pycelle überredete König Aerys, ihm die Tore zu öffnen. Daraufhin vollzog sich die brutale Brandschatzung der Stadt. Ser Gregor Clegane tötete Rhaegars Frau und Kinder, Jaime Lannister ermordete König Aerys und erntete damit seinen Beinamen „Königsmörder“. Robert wurde zum neuen König gekrönt und nahm Tywins Tochter Cercei zur Frau, da seine geliebte Lyanna nicht mehr lebte.

Beleuchten wir das Verhältnis zwischen Lyanna und Prinz Rhaegar. Wenn man Ser Barristan Selmy glauben darf, war Prinz Rhaegar ein aufrichtiger und gutherziger Mann. Ein Poet, ein Dichter und Sänger und nebenbei auch ein großer Turnierkämpfer. Was ihn aber weniger interessiert hat als das Dichten und Singen. Sollte dieser Mensch ein Entführer und Vergewaltiger sein? Es gibt viele Spekulationen, wer Jon Schnees Eltern sind. Ich schließe mich der Theorie an, dass Jon das Kind von Lyanna und Prinz Rhaegar ist. Ein Kind, das in Liebe gezeugt worden ist, nicht durch eine Vergewaltigung. Ich denke, der Targaryen-Prinz und die raue nordische Schönheit, die Wölfin“, waren ein Liebespaar. Vielleicht ist Lyanna nicht mal entführt worden, sondern freiwillig mit ihm gegangen. In den letzten Zügen der Rebellion hat Ned Stark seine sterbende Schwester im „Tower of Joy“ in den Roten Bergen von Dorne vorgefunden, bewacht von vier Rittern der Königsgarde. Die Schlacht überlebten nur Ned und sein treuer Lehensmann Howland Reed (Vater der Reed-Geschwister, die mit Bran und Hodor in den Norden zu den „Children of the Forest“ zogen). Ich denke, Ned fand seine Schwester im Kindbett vor und schwor ihr kurz vor ihrem Tod, sich um ihren und Rhaegars Sohn zu kümmern. Ned nahm das Baby an sich und erklärte später aller Welt und sogar seiner Frau Catelyn, Jon wäre sein Bastard, gezeugt mit einer Tavernendirne während des Krieges. Das musste er. Er musste lügen. Denn Robert und die Lannisters hätten keinen Nachkömmling der Targaryen-Dynastie am Leben gelassen.

Springen wir zurück in die Gegenwart und nochmal in die Grüfte von Winterfell: Petyr Baelish enthüllt Sansa ein paar seiner Pläne, Vorhaben und Erwartungen. Er rechnet fest damit, dass Stannis mit den Boltons den Boden aufwischen wird. Mit dem Norden hinter sich und Hohenehr als Verbündeten wäre Stannis dem Thron ein ordentliches Stück weit näher. Doch was hat Petyr von all dem? Will er Stannis als König auf dem Eisernen Thron sitzen sehen? Sicher nicht. Schon Ned Stark hat das gewollt, woraufhin Petyr ihn an die Lannisters verraten und ausgeliefert hat, was Ned den Kopf gekostet hat. Wir dürfen nicht vergessen: ER STECKT HINTER ALLEM. Petyr ist der Strippenzieher hinter allem. HINTER ALLEM. Er hat mit Lisas Hilfe Jon Arryn ermordet und es so aussehen lassen, als steckten die Lannisters dahinter. Er hat Bran im Krankenbett zu töten versucht und es so aussehen lassen, als stecke Tyrion Lannister dahinter (der valyrische Dolch). Diese Ereignisse haben in der ersten Staffel alles in Gang gesetzt. Jeder Mord und jede Schlacht seither geht auf Petyrs Intrigen zurück und damit auf sein Konto. Warum macht er das? Was will er?

Petyrs Motive liegen im Dunkeln, doch es bleibt eigentlich nur eine Interpretation übrig: Er will zusehen, wie sich die hohen Häuser gegenseitig vernichten. Er zieht die Fäden, damit sich die großen und mächtigen Dynastien untereinander aufreiben. Rein aus Boshaftigkeit? Weil sie auf ihn, der aus einem kleinen unbedeutenden Haus stammt, stets herabgesehen haben? Oder sieht er eine Chance, am Ende selber den Thron zu besteigen? Fraglich auch, ob und wie Daenerys in seinen Plänen vorkommt. Berücksichtigen wird er sie. Dass er auch die White Walkers berücksichtigt, ist wiederum nicht zu erwarten.

In Königsmund wittert Cercei eine Chance, die Tyrells zu schwächen, und nutzt sie. Mace Tyrell bricht nun wahrhaftig nach Braavos auf, so ist der Weg frei, um über die wiederbewaffneten „Faith Militant“ erstmal Ser Loras in Gewahrsam nehmen zu lassen. Wieder einmal erliegt Cercei fatalen Fehleinschätzungen und beweist, dass sie nicht um eine einzige Ecke herum denken kann. Nicht nur dass sie die Eiserne Bank unterschätzt, sie unterschätzt vor allem, was sie gerade in Gang gesetzt hat. Kein Wunder, Cercei sieht nur das Äußere: den High Sparrow, einen sanften, alten Mann in einem schmutzigen Kittel – einen Mann ohne Ländereien, Reichtum oder Titel und vor allem ohne Begehrlichkeiten. Dass so einer ihr gefährlich werden könnte, sieht sie nicht. Im Gegenteil. Sie sieht in ihm eine dienstbare Marionette. Einen alten Zausel, der lieber Wein als Wasser trinkt, und von Macht und Einfluss keine Ahnung hat. Sie gestattet ihm eine Armee, nein, sie drängt sie ihm förmlich auf, weil sie glaubt, ihn kontrollieren zu können. Zwei Fliegen mit einer Klappe: ein genüsslicher Schlag gegen die Tyrells und eine zusätzliche (und vor allem billige) Armee für ihren König Tommen. Oder?

Cercei ist ein Kontrollfreak. Indem sie den kleinen Rat gewissermaßen auflöst, glaubt sie, ihre Macht zu bündeln und zu festigen. Dabei setzt sie auf den gefallenen Maester und Nekromantiker Qyburn, während sie Grandmaster Pycelle, der dem Haus Lannister und vor allem ihrem Vater immer treu und ergeben war, links liegen lässt. Sie verwechselt Geduld mit Feigheit. In Pycelle sieht sie nur einen nutzlosen alten Mann und verkennt, was ihr Haus ihm alles verdankt. Andere um Rat zu fragen, wertet sie als Schwäche. Im Gegensatz zu ihr wusste ihr Vater, dass exakt das Gegenteil der Fall ist. Macht muss sinnvoll verteilt werden. Auf Machthaber, die nützlich und vertrauenswürdig sind. Tywin wusste, wie man ein Königreich schmiedet, regiert und steuert. Tywin wusste auch, Situationen und Menschen richtig einzuschätzen. Cercei hingegen brüskiert die, auf die sie bauen sollte, und baut sich auf die, von deren Worten und Äußerlichkeiten sie sich blenden lässt. Ser Loras zu inhaftieren und die Tyrells damit gegen sich aufzubringen, wird den königlichen Hof ordentlich destabilisieren. Cercei glaubt, damit auf der Siegerstraße zu sein. Und wohl glaubt sie, all das vor allem für ihre Kinder zu tun. Erinnern wir uns an die erste Szene dieser neuen Staffel mit ihrer Vorhersagung bei der Hexe im Wald. Gold sind ihre Haare und ihre Leichentücher. Möglicherweise eine Andeutung, dass Cercei den Tod all ihrer drei Kinder miterleben muss. Für sie kämpft sie wie eine Löwin. Doch sie macht alles falsch. Interessant, dass sie Ser Meryn Trant mit Mace Tyrell nach Braavos schickt. Diese Entwicklung findet man in den Büchern nicht. Ser Meryn ist, nebenbei bemerkt, einer auf Aryas Todesliste.

In Castle Black an der Mauer wird Stannis einmal mehr der Mann, den man aus den Büchern erwartet. Er umarmt sogar seine Tochter. Die ergreifendste Szene dieser Folge. Jon wiederum ergreift auch etwas: Melisandres Brust, als die ihn verführen will. Sie gedenkt, mit Stannis gen Winterfell zu ziehen. Jon wird sie nicht vermissen.

Jaime und Bronn landen an den Gestaden von Dorne und sorgen erstmal für vier Leichen. Sie wollen zu den Wassergärten, um Mycella zu finden. Dort werden aber vermutlich auch die Sandvipern warten, die vom Kapitän ihres Frachtschiffes erfahren haben, dass Ser Jaime Lannister dornischen Boden betreten hat. Ein interessanter Handlungsstrang, zweifellos, allerdings verpassen wir als Zuschauer dadurch den Blick in die Flusslande. Wir verpassen, was die Freys nach der „roten Hochzeit“ so treiben, was aus der Bruderschaft um Beric Dondarrion und Thoros of Myr geworden ist und dass es da draußen seit einiger Zeit jemanden gibt, der reihenweise Freys und Lannister-Schergen an Bäumen aufhängt.

Nicht Cercei ist die Königin, zu der Ser Jorah Mormont Tyrion bringen will. Daenerys soll ihn haben. Als Wiedergutmachungsgeschenk. So weit so gut. Allerdings werden die beiden wohl nicht so einfach in Meereen landen. Schon mehrfach sind in Plaudereien, zum Beispiel aus dem Mund von Stannis, die Stonemen erwähnt worden. Ich wette, die werden wir sehr bald zu Gesicht bekommen. Tyrion mag Tywins Verstand geerbt haben, aber dazu gabs auch eine große Portion Leichtsinn. Schlawenzt mit seiner großen Klappe durch Volantis, lauscht einer roten Priesterin, macht Hurenhäuser unsicher und wundert sich, dass er gekidnappt wird. Dass er Mormont und seine Belange in ihrem lakonischen Gespräch so schnell durchschaut, ist erfreulich. Nachdem die letzte Folge mehr eine Zwischenstation darstellte, nimmt diese vierte Folge genau wie die beiden Segler in ihrem Kahn so richtig Fahrt auf.

In Meereen schlagen die titelgebenden „Sons Of The Harpy“ zu. Und zwar gründlich. Da die Serie inzwischen durchaus drastisch andere Wege geht als die Bücher, sollte man sich nicht darauf verlassen, dass Ser Barristan diesen Kampf überlebt hat. Ich gehe zwar davon aus, dass er es hat, aber meine Hand würde ich dafür nicht ins Feuer legen.

Action, Charakterszenen und rasante Entwicklungen. Ich schwanke zwischen 4 und 4,5 Sternen und runde auf, weil ein Stannis, der seine Tochter umarmt, eine tolle Ergänzung ist.

Beitragsbild: (c) HBO