Marco Polo – Kritik zur Netflix-Serie

Thomas Neumeier 15. Dezember 2015 0
Marco Polo – Kritik zur Netflix-Serie

90 Millionen hat sich Netflix die erste Staffel Marco Polo kosten lassen und beschert uns ein bildgewaltiges Kostümspektakel. Nach „Game of Thrones“ ist es damit die teuerste Serie aller Zeiten – was man ihr ansieht. Die DVD-Box kommt mit umfangreichen Extras.

Ein vielleicht trefflicherer Vergleich als „Game of Thrones“ wäre wohl „Rome“ (2006-2007, HBO). Wo „Rome“ uns ein glaubhaftes Rom zu Julius Cäsars Zeiten visualisiert hat, entführt uns Marco Polo in den fernen Osten des dreizehnten Jahrhunderts, als Kublai Khan, Enkel des großen Dschingis, die Vorherrschaft in Asien und sogar der gesamten Welt für sich beansprucht. Was in „Rome“ die verschlungenen Gassen der Stadt waren, sind hier die weiten Steppen, das Grasland und nicht zuletzt die chinesische Mauer und die dahinter liegende Pracht. In beiden Serien, wie auch in „Game of Thrones“, sind überzeugende Örtlichkeiten wenigstens so elementar wie die Story, und wie Rome und Thrones weiß Marco Polo diesbezüglich rundum zu überzeugen. Netflix und seine Akteure haben eine gigantische lebensechte Schaubühne gezaubert.

Die Serie lässt sich ein wenig mehr Zeit, sich zu entfalten, als es die beiden voran genannten getan haben. Die ersten beiden Folgen geben ein eher gemächliches Tempo vor, führen die Figuren ein und legen die Grundsteine für spätere Konflikte und Entwicklungen. Spätestens die dritte Folge dürfte auch den noch skeptischen Zuschauer gefangen nehmen. Die Intrigen entwickeln sich deutlich übersichtlicher als man es vielleicht von anderen Drama&Adventure-Serien kennt, dafür messen sie sich in Doppelbödigkeit. Ein opulenter Augenschmaus, der mit drastischen Darstellungen nicht geizt.

Als größter Glücksgriff in der Darstellerriege erweist sich Benedict Wong als Kublai Khan. Man nimmt ihn ihm ab, den großen Khan. Den selbstgerechten, den überheblichen, den unerbittlichen Khan. Aber auch den verletzlichen, den enttäuschten, den zornigen und den verunsicherten Khan. Und den Krieger. Benedict Wong holt alles raus, was dieser faszinierende Charakter an Spielraum anbietet und reflektiert ihn mit einer beispiellosen Präsenz. Die eigentümliche Freundschaft, die sich mit dem Titelhelden ergibt, ist nur ein Spielfeld von vielen, auf dem die Serie auch mit leisen Tönen punkten kann. Auch nahezu alle anderen Hauptfiguren finden Raum, sich zu entfalten und den Zuschauer an sich heranzulassen.

Selbstverständlich hat auch (und vor allem) der Titelheld (gespielt von Lorenzo Richelmy) neben Gefahren für Leib und Leben auch in Liebesdingen seine Bürden zu tragen. Die exilierte Prinzessin, an die er sein Herz verloren hat, soll jedoch die vierte Frau von Prinz Jingim (Remy Hii) werden, dem (ehelichen) Sohn des Khan. Und das ist nicht alles, was zwischen Marco und Jingim steht. Die dramaturgisch interessanteste Figur der Serie, Mei Lin, verkörpert Olivia Cheng sowohl mimisch als auch choreografisch mit umwerfender Wucht. Ihre Geschichte gewährt uns tiefere Einblicke auf die andere Seite der großen Mauer, ins chinesische Herrscherhaus, wo nach dem Tod des Kaisers nun der sadistische Kanzler Jia Sidao (Chin Han) die Macht an sich zu reißen versucht. Schauspielerisch überzeugen sie alle, doch Benedict Wongs und Olivia Chengs Charaktere sind für die Serie staatstragend und verdienen aufgrund ihrer immens beeindruckenden Darstellung eine gesonderte Erwähnung.

Bildgewaltige Opulenz, hervorragende Schauspieler, viel Liebe fürs Detail und eine mitreißende Geschichte. Marco Polo bietet beste Historien-Unterhaltung. Dramaturgisch nicht so tief wie andere Drama&Adventure-Kost, doch das soll kein Makel sein.

Der Trailer auf deutsch:

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