Es beginne wie ein Spiel und werde zu einem Krieg, aus dem es kein Zurück gebe. Der italienische Regisseur Claudio Giovannesi könnte seinen Film über kriminelle Jugendbanden in Neapel kaum dramatischer beschreiben. „La Paranza dei bambini (Piranhas)“ erzählt mit beeindruckenden Laiendarstellern, die den Film tragen, das Leben des 15-jährigen Nicola und seiner Freunde, die im Viertel Sanità mit Drogen, Gewalt und organisierter Kriminalität aufwachsen. Sein Thema sei „der Verlust der Unschuld“ gewesen, sagte Giovannesi am Dienstag bei der Vorstellung des Dramas im Berlinale-Wettbewerb.
Auch im süditalienischen Neapel gibt es eine verlorene Generation. Kinder und Teenager, die nicht zur Schule gehen, rumlungern, und zusehen, wie ihre alleinerziehenden Mütter für ihre kleinen Läden täglich Schutzgeld abdrücken müssen. Sanità ist zwar keine Favela in Rio de Janeiro, aber auch dort wird scharf geschossen. Mafiabosse und ihre vergoldeten Villen sind Vorbilder, und schon die Kleinsten finden Waffen superccool.
Es ist derweil nicht nur Geld für teure Sneakers, was sich die jungen Protagonisten in „Piranhas“ wünschen. Es ist Respekt. „Ich kann doch nicht immer nur rumhängen“, sagt Nicola im Film. „Ich brauche einen Job.“ Und da ist die Auswahl in seinem Viertel nicht groß. „Man will jemand sein, aber das geht nur auf der Straße – und es läuft über die Pistole“, erklärte Giovannesi in Berlin. „Die jungen Leute sehen keine Alternative“, fügte Darsteller Francesco Di Napoli hinzu. Für seine Rolle des Nicola spielte der Laienschauspieler nach, was er aus nächster Nähe kennt: „Wir wachsen dort auf und beobachten sie.“
„Man stirbt mit 20 Jahren in dem Glauben, man hätte alles erlebt – wie im Mittelalter.“
In „La Paranza dei bambini (Piranhas)“ rasen sie auf ihren Motorrollern durch die engen Gassen der Stadt. In der ersten Szene klauen sie nur einen Tannenbaum aus einer Einkaufsgalerie, wenig später stehen sie bereits mit Sturmgewehren auf dem Dach. Wie diese funktionieren, lernen sie via Youtube-Tutorial. Die Teenager reklamieren ihr Stück vom Kuchen und sind dabei ebenso furchtlos wie naiv. Ihr Ziel ist es, die Kontrolle über das Viertel zu übernehmen. In Robin-Hood-Manier: So soll es unter Nicolas Gang keine Schutzgelderpressungen mehr geben. Die Mütter schauen stillschweigend zu. Und am Ende gibt es natürlich Tote.
Giovannesi erklärte in Berlin, er habe aber keinen pädagogischen Film drehen wollen. Vielmehr gehe es ihm um die Menschlichkeit seiner Protagonisten und „eine empathische Beziehung“ zu diesen. Letzteres ist dem Filmemacher, der nicht urteilt, zweifelsohne gelungen. Dennoch verliert das Drama zum Ende hin an Fahrt und Eindringlichkeit.
Das Drehbuch für die Verfilmung seines Dokuromans mit dem deutschen Titel „Der Clan der Kinder“ (2016) schrieb der unter Polizeischutz stehende Neapolitaner und Camorra-Experte Roberto Saviano („Gomorrha“) gemeinsam mit Giovannesi. Über die porträtierten Teenager, die dealen, rauben und töten, sagte Saviano bei der Berlinale: Zwar habe es schon immer Kinder in Gangs gegeben, aber nicht als Chefs. „Das ist einzigartig“, betonte er. „Man stirbt mit 20 Jahren in dem Glauben, man hätte alles erlebt – das ist wie im Mittelalter.“
Kinostart: 22. August 2019
Foto: Palomar 2018