Filmkritik: Snowpiercer (2013)

Florian Erbach 24. April 2014 1
Filmkritik: Snowpiercer (2013)

Viel wurde über Snowpiercer im Vorfeld gesprochen. Oder eigentlich: Viel zu wenig wurde über Snowpiercer den Film gesprochen. Denn der große internationale Kinostart blieb dem Film verwehrt. Vielmehr waren die Querelen um die Weinstein Company und ihren Rechten an der englischen Sprachversion von Snowpiercer in den Medien. Weinstein wäre der Film zu intelligent und eine Kürzung wäre demnach obligatorisch, doch das ließ Joon-ho Bong (The Host) nicht mit sich machen. Die Folge war ein „zerstückelter“ Release, der beginnend mit dem 1. August 2013 in Süd Korea und einer Vielzahl von weiteren Länderveröffentlichungen und Festivalvorführungen, nun endlich auch in Deutschland seit dem 3. April 2014 zu sehen ist. Ein lohnender Gang ins Kino!

Eine endlose Zugfahrt im „Zug des Lebens“

Die Welt wie wir sie derzeit kennen gibt es nicht mehr. Alles ist erfroren und in Kälte erstarrt. Die Schuld daran liegt nicht bei „Mutter Natur“ oder außerhalb der Erde, sondern allein bei den Menschen. Um die Klimaerwärmung zu stoppen und einzudämmen, wurde mit der Atmosphäre experimentiert. Die Folge: Eine globale Eiszeit, das Ende allen Lebens auf der Erde.

Der Comic bei Amazon

Einzig ein Zug – ein „Zug des Lebens“ – fährt seit 17 Jahren einmal jährlich um den Globus – nonstop. Ermöglicht wurde dies durch ein global-zusammenhängendes Schienennetz und „der Maschine“, wie der Triebwagen des scheinbar endlosen Zuges genannt wird. Doch was sich zunächst als Rettung der Menschheit entpuppt, ist ein hierarchisch gegliederter Zug, in dem der Anfang des Zuges in Luxus lebt und das Ende in Armut und größter Not. Basierend auf dem Comic „Le Transperceneige“ (Schneekreuzer) entbrennt ein Kampf um die Vorherrschaft im Zug, um Gerechtigkeit und ein lebenswertes Leben.

Parabel, Mikrokosmos und modernes Märchen

Dass Snowpiercer sozialkritisch ist und als Dystopie angesehen werden kann, ist ja hinlänglich bekannt. Interessant an Snowpiercer ist aber die Metapher des Zuges, eine Art Parabel auf die menschliche Gesellschaft. Der Zug wird nicht ohne Grund als „Zug des Lebens“ im Film benannt, er ist die letzte Hoffnung der Menschheit und zugleich ihr größtes Dilemma. Denn als „Mikrokosmus“, als letzte Gesellschaft der Menschheit spiegelt der Zug die Probleme und Konflikte des menschlichen Zusammenlebens wieder. Ungleichheit, Gier und Unterdrückung – um nur einige wenige Aspekte zu nennen.

Die Welt ist der Zug und der Zug die Welt. Während das Ende in Elend lebt, kann der Anfang des Zuges in Reichtum leben. Wenn der Zugführer das Ende als „Fuß“ und den Anfang als „Kopf“ bezeichnet, ist die Hierarchie klar vorgegeben. Doch Snowpiercer ist mehr als das: Der Begriff des Mikrokosmos fiel schon und er bezieht sich auf ein „Ökosystem“, ein labiles Ökosystem. Der Zug bietet leben, ja, aber unter welchen Bedingungen? Was wäre, wenn alle gleiche Teilhabe hätten? Würde das „System“ dann noch funktionieren? Diese und andere Fragen stellen sich, wenn die Revolution durch den Zug rinnt und schließlich im Finale die Existenzfrage gestellt wird. Kann der Fuß die Position des Kopfes einnehmen? Oder noch provokanter gefragt: Muss es einer Gruppe von Menschen schlecht gehen, damit es anderen gut gehen kann? Die Gleichstellung indes wird natürlich vom „Kopf des Zuges“ abgelehnt – eine logische und nachvollziehbare Sichtweise. Doch damit ist es nicht getan. Inszenierung und Wirklichkeit prallen aufeinander und lassen den Helden der Geschichte an seinen Taten zweifeln.

Bestimmung und Vorbestimmung werden ebenso angesprochen. Die Fahrkarte als Kennzeichnung der „ewigen Ordnung“. Alles Aspekte, die den Zug als unveränderbares System darstellen, als System, welches selbst Revolution und Aufbegehren aufnimmt und für seine Zwecke einnimmt.

snowpiercer film

(c) The Weinstein Company

Snowpiercer: Skuril, bunt und doch düster

Trotz vielfältiger Interpretationsangebote ist Snowpiercer dennoch auch ein Action-Film und die Action kommt trotz der Befürchtungen von Weinstein keineswegs zu kurz. Sehr körperbetont, blutig und zusammenfassend wohl sehr „asiatisch“. Snowpiercer funktioniert in dieser Hinsicht sehr gut. Die Phasen der Action und der „Ruhe“ sind sehr gut aufeinander abgestimmt und so kommt so etwas wie die berüchtigten und viel zitierten „Längen“ in den 126 Minuten nicht auf. Überhaupt ist die Inszenierung trotz der düsteren Stimmung stellenweise bunt, ja fast überzeichnet. Entfernt hat mich das an die Werke von Terry Gilliam oder auch an der Gegensätzlichkeit der Distrikte aus den Hunger Games erinnert. Doch nimmt dies keine überhand und macht den Film zu etwas Besonderem.

Neben der interessanten und sehr gut inszenierten Geschichte sind es auch die Schauspieler, die dem Film einen mehr als angemessenen Rahmen geben. So ist Chris Evans als „kantiger“ Held (Curtis) sehr gelungen, aber auch seine Begleiter wie Jamie Bell als „Edgar“ oder John Hurt als „Gilliam“. Auf der Gegenseite ist besonders Tilda Swinton als „Mason“ hervorzuheben. Vergessen werden darf auch nicht Ed Harris als „Wilford“, der vielen noch als Stripzieher aus der „Truman Show“ bekannt sein sollte. Eine bewusste Parallele?

Schade fand ich, dass sich der Schauplatz – trotz der mehr als zwei Stunden – nur auf so wenige Bereiche des Zuges beschränkt hat. In einer Szene, als der Zug einen Kreis fahren muss, können die Ausmaße des Zuges erahnt werden. Die Existenz von verschiedenen gesellschaftlichen Schichten kann so nur vermutet werden. Auch fehlen mehr Aspekte, die die Versorgung der Zuginsassen näher erläutern. Alles bleibt etwas vage und zu großen Teilen der Fantasie des Zuschauers überlassen. Keineswegs ein großes Problem, doch wären mehr Hintergrundinformationen nicht schlecht gewesen. Dazu zählen auch einige Ungereimtheiten, die sich aus der generell leichten (wirklich leichten) Überzeichnung des Films ableiten lassen. An mancher Stelle muss man schon grübeln, wie das Zusammenleben – bei den gezeigten Gegebenheiten – denn so im Zug funktioniert. Immerhin ist der Zug seit 17 Jahren auf Reisen.

Trailer zu Snowpiercer

Fazit zu Snowpiercer

Im nachhinein hat diese ganze Diskussion um „zu intelligent für das amerikanische Kino“ und dem stückchenhaften Release dem Film ziemlich geschadet. Immer hatte man im Hinterkopf, dass Snowpiercer sich an der Diskussion messen lassen muss und dabei wird der Film als solcher irgendwie außer Acht gelassen oder als Spielball der Interessen gesehen. Was ist Snowpiercer also? Kurz gesagt: Ein sehr guter Film.

Ein düsteres Drama, dystopische Science-Fiction und Gesellschaftskritik. Ein Zug als letzte Hoffnung der Menschheit und gleichzeitig ihr Verderben? Snowpiercer vereint vieles, auch skurriles und fast Momente, die mich etwas an Terry Gilliam haben erinnern lassen. Eine tolle Geschichte, brutal und gleichzeitig aufwühlend (aber nicht zu sehr), mit tollen Figuren und einem „guten“ Ende. Ausgezeichnet!

Filmkritik: Snowpiercer (2013)

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