Lincoln (2012): Kritik zu Steven Spielbergs Geschichtsepos

Lida Bach 31. Juli 2016 0
Lincoln (2012): Kritik zu Steven Spielbergs Geschichtsepos

Der Titelcharakter von Steven Spielbergs Epos hat nichts von einer realen Figur der Zeitgeschichte und alles von einem fiktionalen Idol der Filmgeschichte. „Zeit ist ein Verdickungsmittel“, sagt der Held des pompösen Präsidentenporträt. Wohl wahr, und zweieinhalb Kinostunden können selbst eine Sturmflut der Geschichte zäher machen.

Trotz des präzisen Spiels von Daniel Day-Lewis bleibt das cineastische Memorial Abraham Lincolns, der den 13. Verfassungszusatz zur Abschaffung der Sklaverei durchzuringen gedenkt, so statisch wie sein steinernes Pendant in Washington. Der 16. Präsident der vom Bürgerkrieg erschütterten USA ist hier der Leitgeist eines dramatischen Debattierclubs, dessen wichtigste Mitglieder sind Staatssekretär William H. Seward (David Strathairn), Lincolns Parteigenosse Francis Preston Blair (Hal Holbrook) und der entschlossene Sklaverei-Gegner Thaddeus Stevens (Tommy Lee Jones). Sally Field darf als theatralische Gattin Mary Todd hingegen lediglich am Rande der Hysterie bangen. Weltgeschichte schreiben bei Spielberg Männer und der Regisseur ist einer von ihnen. Nichts anderes als eine populäre Form der Geschichtsschreibung sind seine historischen Filme, deren vermeintliche Wahrhaftigkeit ein bedenkliche Manipulationskraft birgt.

„Niemand wird so sehr geliebt wie du“, versichert Mary Todd ihrem Gemahl und sie hat recht, zumindest im Bezug auf Spielbergs maßlose Verbrämung seiner Hauptfigur. Was Historiografie zu sein vorgibt, ist in Wahrheit Hagiografie. Nachdrücklich vermittelt das der erste Auftritt des Präsidenten. Auf einem Schlachtfeld in einer regennassen Nacht des Jahres 1865 sitzt Lincoln mit einer schlichten Decke um die Schultern auf einem Holzstumpf und spricht mit Soldaten, die sich ihm ehrfürchtig nähern. Zuerst sind es zwei Schwarze, von denen einer die Benachteiligung farbiger Soldaten anspricht, dann zwei Weiße. Der eine zitiert Passagen der Gettysburg-Rede, der andere nimmt seine Worte auf und zieht sodann in ein ungewisses Schicksal, auf den Lippen Lincolns Worte. Hallo, Pathos. Lincolns Dialoge sind stets wohlformuliert, moduliert und pointiert, als ob große Redner nie wie normale Menschen sprechen würden. Das macht die Figur noch künstlicher als sie aufgrund ihrer unglaubhaften Idealisierung schon wirkt.

Gespickt mir Zitaten von der klassischen Antike über Shakespeare bis zu Euklid propagieren sie die umfassende Bildung des Politikers, dessen Selbstbeschreibung als ungelehrt wiederum seine Bescheidenheit propagiert. Mit einem unerträglichen Übermaß an Paternalismus und Jovialität setzt Spielberg sein Publikum auf die Schulbank. Den zivilisatorischen Sieg der Abschaffung der Sklaverei stellt er auf groteske Weise als Errungenschaft der konservativen weißen patriarchalischen Oberschicht dar. Farbige sind nur Statisten, die am längsten zu Wort kommen, um den höchsten der weißen Männer zu zitieren. Lincolns farbige Bedienstete Mrs. Keckley (Gloria Reuben) akzeptiert die Pflicht der Soldatenmutter: „Das bin ich für das Land, Mr. Lincoln. Ich muss nicht mehr sein.“ Eine authentische Stimme fehlt den Unterdrückten, die ihre Befreiung im Film hilflos streitlustigen Abgeordneten überlassen und das Klischee des glücklichen (Ex-)Sklaven verkörpern. Wie gegen mögliche Vorwürfe der Ungenauigkeit mahnt der Sprecher des Repräsentantenhauses, dies sei nicht gewöhnlich, es sei Geschichte. Tatsächlich ist es Geschichtsverklärung.

OT: Lincoln

Regie: Steven Spielberg

Produktionsland: USA

Produktionsjahr: 2012

Verleih: Fox Deutschland

Länge: 150 min.

Kinostart: 24. Januar 2013

Beitragsbild © Fox Deutschland

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