In 1001 Gramm erzählt Bent Hamer (Kitchen Stories) humorvoll die Geschichte einer jungen Wissenschaftlerin, deren nüchtern strukturiertes Leben in Paris auf den Prüfstand gestellt wird.
Ein Kilo, das sind keine 999 Gramm und auch keine 1001, sondern exakt 1000 Gramm. Dieser Fakt bestimmt Maries (Ane Dahl Torp) Alltag, die als Mitarbeiterin des norwegischen Eichamts die Messgeräte im Land kontrolliert. So exakt auch in ihrem Beruf alles bemessen wird, in ihrem Privatleben steht Marie vor einer gescheiterten Ehe. Das moderne Haus mit dem nüchternen Vorgarten wird nach und nach von ihrem Ex-Mann ausgeräumt, bis Marie kaum mehr als ein Bett in ihrer Wohnung bleibt. Ihr Leben erscheint einsam und kahl, die zweite Betthälfte bleibt leer. Eines Tages jedoch erleidet Maries Vater Ernst (Stein Winge) einen Herzinfarkt, und Marie fällt die Aufgabe zu, mit dem norwegischen Kilo im Gepäck zum Kiloseminar nach Paris zu reisen, um es anhand des französischen Urkilos von 1889 neu kalibrieren zu lassen.
Paris ist schon immer die Inspirationsquelle für eine grundlegende Veränderung im Leben von Filmprotagonisten gewesen. So ist es in auch 1001 Gramm. Von Maries stiller, in kühlen, blauen Farbtönen gehaltenen Welt verlegt sich die Handlung in ein warmes, sonniges Paris voller Gespräche. Im Kiloseminar trifft Marie auf Menschen aus der ganzen Welt, die nicht nur ihr eigenes Referenzkilo, sondern auch philosophische Fragen über die Vermessung der Welt in ihrem Gepäck haben. Sind weltweit geltende, gemeinsame Bezugsgrößen wirklich ein Garant für Gleichheit und Gerechtigkeit? Oder sind humanistische Grundsätze nicht durch Maßangaben festzulegen? Wie viel Effekt hat die Gewichtsdefinition auf den Menschen?
Auch ein neuer Mann tritt in Maries Leben. Pi (Laurent Stocker) hat seine Karriere am BIPM, am Internationalen Büro für Maß und Gewicht aufgegeben, kümmert sich nun um seine kranke Mutter und arbeitet halbtags als Gärtner, wenn er sich nicht gerade seiner eigenen Studie über den Vogelgesang in der Großstadt widmet.
Als die Handlung zwischen Paris und Maries Vater in Norwegen wechselt wird deutlich, dass Maries bisheriges, wohlgeordnetes Leben immer mehr aus den Fugen gerät. Auf seinem Sterbebett fragt ihr Vater, „wieviel man eigentlich gewogen hat, zum Schluss“, wieviel das eigene Leben wohl wert war. Ist es mehr als ein Kilo? Marie muss ihren Lebensinhalt schließlich neu suchen, neue Maßstäbe ansetzen. Schließlich gelingt es Pi, Maries fast schon stoische Fassade zu durchbrechen und die Person zu erreichen, die hinter Einsamkeit, Trauer und nüchternen Maßeinheiten verborgen war.
Bent Hamer bewegt sich nach eigenen Angaben mit seinem Film in der Grauzone zwischen wissenschaftlichem Verständnis und menschlichem Handeln. Mit etwas nüchternem, aber skurrilem Humor verfolgt er, welche Auswirkungen die Definition von Gewicht auf Menschen hat, in dem Falle auf Menschen, deren Lebensinhalt sich um die Bestimmung und Einhaltung von Maßangaben dreht. Ist für viele vielleicht schon die Vorstellung eines Seminars allein zur Messung des Kilos befremdlich, wird dies noch humorvoll durch Szenen verstärkt, in denen die Teilnehmer ehrfurchtsvoll und in Stille auf das Urkilo starren oder sich mit den eigenen Kilos und passenden Schirmen im Gänsemarsch zum nächsten Termin begeben. Es sind manchmal ungewohnte, aber sympathische Charaktere, die den Film bestimmen.
Erfrischend ist, dass dabei die Figur von Pi, die unerwartet in Maries Leben eintritt, in kein Rollenklischee eines französischen Lebemannes oder eines sympathischen Chaoten passt. Pi ist kein radikaler Gegensatz zu Marie, er ist ein Mensch mit ähnlichen Fragen und Gedanken, der dem Leben jedoch einen anderen, unbestimmteren Weg erlaubt hat und Marie dazu bringt, selbst Fragen über das eigene Leben zu stellen. Der Film schaut somit konsequent, aber auch mit Herz hinter die Fassade von den Maßen, die unser Leben ordnen und bestimmen und erlaubt diesen Blick nach und nach auch seinen Charakteren.
1001 Gramm erscheint am 19. Juni 2015 auf DVD.
*Affiliate Link/ Beitragsbild und Trailer: (c) pandorafilm