Es ist durchaus so etwas wie eine nostalgische Romantik in einem ganz und gar leeren Kinosaal zu finden. Wer hat schließlich nicht schon einmal davon geträumt, den gesamten Saal für sich alleine zu haben? Zugegeben: Ich sah mir By The Sea nachmittags an und wie viele Besucher erwartet man zu so einer Zeit an einem Donnerstag schon?
Trotzdem hat der Film aus der Feder von Angelina Jolie Pitt die Ignoranz und vernichtende Kritik mancher Filmexperten meiner Meinung nach nicht verdient. Langweilig, öde, eine endlose Modewerbung – das ist der Grundtenor einiger Einschätzungen. Doch warum wird Jolie Pitts dritte Regiearbeit so zerrissen? Liegt es daran, dass sie das Drehbuch geschrieben und ihrem Ehemann Brad Pitt die zweite Hauptrolle gegeben hat? Liegt es an der Machart des Filmes oder an der Erzählweise? Sind wir Filme, die intime Charakterstudien zeigen, einfach nicht mehr auf der großen Leinwand gewohnt? Oder liegt es einfach daran, dass ihr Nachname jetzt offiziell Jolie Pitt lautet?!
Was ist aus den Filmen geworden, in denen Schauspieler tausend Worte mit nur einem Augenaufschlag, mit nur einer flüchtigen Handbewegung ausdrücken können, ohne dabei jemals den Mund zu öffnen? Angelina Jolie Pitt und Brad Pitt ist es gelungen, eben genau dies zu tun. Sie haben einen Film nach alter Tradition geschaffen, der oberflächlich betrachtet ruhig ist. Näher hingeschaut, entfaltet sich jedoch ein gewaltiger Sturm – sichtbar in den Augen und Körperbewegungen der Protagonisten. Bei By The Sea stehen das Schauspiel und die innere Entwicklung der Charaktere klar im Vordergrund.
Doch worum geht es in dem Film? Das amerikanische Ehepaar Vanessa und Roland Bertrand reisen in den 70ern durch Frankreich und wollen schließlich an einem malerischen Badeort ein wenig Frieden und Ruhe finden. Dabei fällt auf, dass die beiden sich zumeist aus dem Weg gehen. Er spaziert jeden Tag aufs Neue hinaus, unterhält sich mit Fremden und schließt soetwas wie eine Freundschaft mit dem interessanten Barinhaber Michel (Niels Arestrup). Roland möchte an seine vorherigen Erfolge als Schriftsteller anknüpfen und versucht, ein neues Buch zu schreiben, verfällt jedoch immer mehr der Trinkerei anstatt kreativ zu sein. Vanessa dagegen vermeidet es, überhaupt aus dem Hotel zu gehen und ertrinkt regelrecht in ihrer Depression. Die Einsamkeit der beiden wird jedoch unterbrochen, als ein junges und frisch verheiratetes französisches Ehepaar, Lea (Mélanie Laurent) und François (Melvil Poupaud), das Zimmer neben ihnen bezieht und ihre eingefahrende Gefühlswelt aufrüttelt und wiederbelebt.
Doch warum sollte man sich den nun Film ansehen? Zum einen ist die Kameraführung ein Genuss für die Augen. Sei es der scheinbar unsichtbare Gesprächspartner, den man in der Spiegelung einer Glastür entdeckt oder die voyeuristischen Aufnahmen des Hotelzimmers nebenan, in dem das französische Paar so unbeschwert miteinander umgeht. Der Kontrast zu der Ehe von Vanessa und Roland kommt so sehr schön zur Geltung. Zum anderen ist es die eingesetzte Bildsprache in By The Sea, die den Zuschauer dazu auffordert, dem Film aufmerksam zu folgen. Hier ist unter anderem Vanessas Brille zu erwähnen, die sie immer wieder achtlos irgendwo so hinlegt, dass die Gläser zerkratzen. Roland achtet stets darauf, ihre Brillengläser immer wieder nach oben zu drehen. Er drückt damit seine Fürsorge für seine depressive Frau aus und dem Zuschauer wird es überlassen, daraus Interpretationen zu ziehen. Vanessas Sicht auf die Welt ist angekratzt. Roland hilft ihr dabei, das Schöne am Leben nicht aus den Augen zu verlieren. Auch spielt Nacktheit eine wichtige Rolle in Jolie Pitts Werk. Während Strandgänger und die Nachbarin Lea oberkörperfrei und in kurzen Kleidern umherlaufen, zieht Vanessa es vor, ihre Blusen bis zum letzten Loch zuzuknöpfen. Erst im Laufe des Filmes, fällt es ihr nach und nach leichter, sich in ihrer Haut wohlzufühlen. Und nicht zuletzt ist es das schauspielerische Talent der beiden Hauptprotagonisten, das By The Sea zu einem intelligenten und anmutigen Film macht.
Jolie Pitt gibt dem Publikum nicht vor, was es zu denken hat und lässt bewusst viel Freiraum für Interpretationen. Sie fordert einen zur Selbstreflektion auf und gibt jedem einzelnen damit die Chance, eine individuelle Botschaft aus der Geschichte zu ziehen.
Fazit
Wer sich das ganze Jahr lang fragt, wann denn mal kein vorhersehbarer Blockbuster im Kino läuft und Lust auf etwas Anderes hat, sollte By The Sea unbedingt mit einem Besuch unterstützen. Filmliebhaber werden die geniale Kameraführung, die Bildsprache, das Schauspiel und die Intimität des Films zu schätzen wissen. Die großen Produktionsfirmen trauen sich sowieso schon selten genug an Filme abseits des Mainstream heran. Wir sollten ihnen diese Angst nehmen. Am Ende wird By The Sea eben einer dieser Filme sein, die man entweder liebt oder hasst. Durchschnitt war ja noch nie Angies Stärke gewesen – und das ist keine Schwäche.
By The Sea läuft seit dem 10. Dezember 2015 im Kino.
Beitragsbilder: (c)Universal Pictures