„Das Salz der Erde“ Kritik: Wenn Fotografie zur Kunst wird

Marco Seiwert 5. April 2015 0
„Das Salz der Erde“ Kritik: Wenn Fotografie zur Kunst wird

Fotos. Überall Fotos. In der heutigen, stark visuell geprägten Zeit wimmelt es von ihnen. Vor allem im Netz: Instagram, Flickr und wie sie alle heißen. Millionen Stück pro Tag. Redundante Motive, hippe Filter. Selfie hier, Katzenbild da. Ein netter Zeitvertreib, der jedoch oftmals vergessen lässt, dass es sich bei der Fotografie um eine mediale Darstellungsform handelt, die auch Kunst bedeuten kann. Pure Ästhetik, das bildliche Festhalten wichtiger Ereignisse, der Natur und der Menschheit. Wim Wenders neueste Dokumentation „Das Salz der Erde“ demonstriert dies auf eindrucksvolle Art und Weise und beleuchtet das Leben und Werk des bedeutenden Fotografen Sebastião Salgado.

Der gebürtige Brasilianer Salgado studierte ursprünglich Wirtschaftswissenschaften und hatte eine respektable Karriere als Ökonom vor sich. Durch seine arbeitsbedingten Reisen in ferne Länder beginnt seine Faszination für fremde Kulturen und als er anfängt, Alltägliches mit einer Kamera abzubilden, wird seine Leidenschaft für die Fotografie geweckt. Ab diesem Zeitpunkt gibt es kein Zurück mehr für Salgado und er entscheidet sich noch vor dem Erreichen seines 30. Lebensjahres für einen tiefen Einschnitt in seinem Leben: Er wird Fotograf. Die kommenden Jahrzehnte verbringt er damit, oftmals Krisengebiete und Länder der dritten Welt (unter anderem Ruanda, Jugoslawien, Äthiopien) zu bereisen und dort das Leben vor Ort zu dokumentieren. Mit allem, was dazu gehört: Armut, Hungersnot, Zerstörung, Tod. Salgado stürzt sich aber nicht ausschließlich auf diese schweren Themen und zeigt auch hoffnungsvolle, lebensbejahende Fotos der Landschaften und Menschen vor Ort. Doch gegen Ende seiner Karriere kann er das immer wiederkehrende Leid, das er abbildet, psychisch nicht mehr vertragen, widmet sich zunehmend Natur- und Tierfotos. Das Besondere an nahezu all seinen Bildern: So schwarz-weiß wie sie optisch erscheinen, sind sie inhaltlich keineswegs. Einzelne Momente scheinen zuweilen die komplette Lebensgeschichte der Porträtierten zu zeigen, so dicht ist Salgado an ihnen dran.

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Es sind ehrliche, wichtige, gehaltvolle Bilder, durchzogen von einer fragilen Schönheit, die dem Zuschauer hier gezeigt werden. Wim Wenders präsentiert „Das Salz der Erde“ größtenteils wie eine Diashow über das Schaffen des Fotografen. Immer wieder rücken die einzelnen Fotografien Salgados komplett in den Vordergrund und verweilen dort sekundenlang als Standbild, getragen von dessen Kommentaren aus dem Off. Zahlreiche Details kann man in ihnen erkennen: Abertausende Arbeiter in einer riesigen, brasilianischen Goldmine, wie Ameisen scheinen sie umher zu wuseln. Unzählige Schuppen auf der Haut eines Leguans oder die faltige, getrocknete Haut eines Einwohners der Sahel-Zone. Jedes Foto ist auf seine eigene Art faszinierend und mitunter zutiefst berührend. Keine Frage: Auch wenn es eine Dokumentation über Sebastião Salgado ist, rückt das Leben des Künstlers etwas in den Hintergrund, seine atemberaubenden Fotos sind eindeutig das Zentrum von „Das Salz der Erde“. Und das ist auch gut so. Eine solch wuchtige, aber gleichzeitig hochsensible Bildästhetik bekommt man heutzutage nicht mehr oft zu sehen.

Salgado selbst wird natürlich auch beleuchtet, um den Menschen hinter den genialen Bildern kennenzulernen. Ein bisschen beschleicht einen das Gefühl, man befindet sich auf einem Vortrag, in dem der Künstler einen Auszug seiner umfassenden Karriere vorstellt und nebenher ein paar Anekdoten zur Entstehung und zu seinem Leben preisgibt. Was langweilig klingen mag, ist in Wahrheit äußerst sehenswert, auf seltsame Weise beruhigend, aber gleichermaßen aufwühlend. Wim Wenders Film mäandert zwischen zahlreichen Gefühlslagen hin und her, mag sich für manchen Zuschauer gar planlos anfühlen und ist für den Interessierten im Endeffekt doch eine eindrucksvolle Dokumentation über Fotografie, fremde Kulturen, Leben und Leid. Flüchtig wie der Moment, den ein Foto festhält, aber doch weit darüber hinaus nachwirkend.

Was „Das Salz der Erde“ zudem abermals ins Gedächtnis ruft: Lange nicht jeder, der mit einer tausenden Euro schweren Nikon-Spiegelreflexkamera und halbmeterlangen Objektiven Schmetterlinge oder Baumwipfel fotografiert, ist automatisch ein Künstler. Sebastião Salgado ist jedoch zweifelsfrei einer. Ein mutiger, passionierter und talentierter Fotograf, dem mit diesem Film ein kleines Denkmal gesetzt wurde. Hochverdient.

Das Salz der Erde ist ab dem 9. April auf DVD und Blu-ray erhältlich.

Beitragsbild: Szene aus „Das Salz der Erde“. © Juliano Ribeiro Salgado / NFP* 

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