Einer Von Uns Kritik: Tot mit 14 Jahren

Jonas Gröne 21. Oktober 2016 0
Einer Von Uns Kritik: Tot mit 14 Jahren

Schlagzeilen im österreichischen Sommer 2009: Tot mit 14 Jahren. Es war einer der Fälle, die das ganze Land polemisierten. Bei dem es letztlich aber nur Verlierer gab. Die Rede ist von Florian P. Auf einer nächtlichen Tour verschifften Florian und sein Kumpan die jungspritzige Party in den hiesigen Supermarkt. Wenig später ist der damals Vierzehnjährige durch Herzschuss von einem Polizisten getötet, sein Mitstreiter durch einen Beintreffer verletzt. Es passierte das, womit die USA gegenwärtig kämpfen: Ein Polizist verliert die Kontrolle.

Stephan Richters Debütfilm Einer Von Uns rollt die nun schon verjährte Geschichte noch einmal auf und erzählt dabei noch eine andere. Von einem System mit mehr Schein als Sein, dessen vertreute Spieler in ihrer Unerfülltheit stagnieren. Der Supermarkt steht hier metaphorisch. Für eine Desillusion, ein System, an dessen heiler Fassade nichts bröckelt und die trübbesehlten Figuren auch nichts verändern.  Programmatisch schließt sich dazu der Kreis, den der Film mit brillierenden Supermarktaufnahmen beginnt. Blaue Flüssigkeit fließt. Der tote Junge im grauen Dress auf dem Gang. Nur, dass am Filmende keine Spur mehr von einem Tatort liegt. Die Putzmaschine fährt sogar schon über den sterilen Gang, wo Julian (Jack Hofer) als Florian P. wenige Zeit zuvor erlag, als sei nichts geschehen. Als stelle man, wenn ein Mehlsack aus dem Regal fällt, einfach ein Neues hinein.

Im ganzen Film mutet diese Supermarktsterilität an. Sobald Kühlfachlicht flackert, repariert es der nervöse Michael Zehetbauer (Dominic Singer). Zerplatztes Obst im Gemüsegang kann weggeputzt werden. Alles wie vorher schaffen, als greift hier ein System, dessen Korpus zwar leer, die Fassade aber glänzend ist. Leer ist es nämlich folgenschwer. Supermarktleiter Joseph Winkler (Markus Schleinzer) misst nach Ladenöffnung Puls und Leben, wirkt trostlos, macht weiter, dem Laden, dem System treu. Systemglieder fühlen sich träge, Ausseitige werden abgestoßen wie der gangsterhafte Protze Victor (Christopher Schärf), der um seinen Kleinen zu sehen, einen Job will, ihn aber wegen Vollvakanz nicht kriegt. Einmal wütig werden, zu mehr Revolte reicht es nicht. Polizist und späterer Schütze Werner (Andreas Lust) resigniert. Er will weg, sagt: „Scheiß Kaff.“

Auch Julian dreht sich im infantilen Trotz auf und schmeißt Getränkekisten um. Zehetbauer erwischt ihn, sagt nichts, denn er selbst hat gerade eine Kaffeemaschine geklaut. Gefüllt mit Coming-Of-Age-Elementen von Julians Suche nach Abenteuer und Rolle, sowohl Supermarkt als auch die Figuren sind alle mit Julian verwoben, und einer unscheinbaren Systemkritik, schlägt der Film durch verworrene Musik (Maja Osojnik) eine arg verbeutelte Ruhe an. Das macht Einer Von Uns besonders. Auch die Filmsprache fasziniert, bald schon ästhetisiert, wenn die Kamera mit leichter Sohle durch Szenerie streift, verschlagene Perspektiven annimmt. Umso unscheinbarer wirkt nachher die Tat, wenn sich ganz plötzlich die angestaute Unkontrolle in Tod auflöst. Als sei dieses ein Naturprodukt des Systems.

Umhin kommt Richters Werk dadurch allerdings nicht, den Zuschauer leicht zu verkühlen. Aber der deutsche Debüt-Regisseur maßt sich das typische Mitfühldrama gar nicht erst an, denn das wollte er bei Weitem nicht schaffen, eines, das sentimentalisiert und anschließend wieder verpufft. Mit Einer Von Uns gelingt Stephan Richter ein kameraästhetischer Drahtseilakt der Perspektivierung. Er zeigt, dass es in dieser Geschichte keine Gewinner geben kann. Denn am Ende fragt man sich, ob im Titel „Einer Von Uns“ nicht auch der Polizist steckt.

Einer Von Uns startet ab dem 24. November 2016 in den deutschen Kinos

OT: Einer Von Uns (2015)

Regie: Stephan Richter

Länge: 86 Minuten

Beitragsbild: © LITTLE DREAM ENTERTAINMENT GmbH

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