Filmfest Hamburg 2015: „Transatlantique“

Benedikt Brosowski 17. Oktober 2015 0
Filmfest Hamburg 2015: „Transatlantique“

Das Filmfest in Hamburg in diesem Jahre ist passé und Transatlantique stach als einziger Dokumentarfilm der französischen Reihe VOILÀ! deutlich hervor. Einfach gemachtes Handwerk verbindet sich hier mit ästhetischer Überhöhung dessen, was der normale Mensch sowieso niemals sehen wird. Wir begeben uns auf eine kleine Odyssee des stillen Films abseits der Multiplex-Leinwände.

Ein 72 Minuten langes schwarz-weißes Stilleben vom Schiff, vom Meer, vom Menschen und vom Leben.

Félix Dufour-Laperrière begleitet mit seiner Kamera ein Frachtschiff bei der Überfahrt von Belgien nach Kanada. Die Kamera beobachtet. Der Zuschauende beobachtet durch die Kamera. Man sieht Wasser, Wellen, den Himmel, Sonne, Schatten und ganz viel Schiff. Hin und wieder Menschen, die in ihrer eigenen und anonymen Silhouette verschwinden. Gesprochen wird nicht viel, und wenn, dann auf Hindi ohne Untertitel. Der Film kommt ohne Dialog aus. Es sind mehr vereinzelte Sprachfetzen von undefinierbarer Herkunft. Ohne Wichtigkeit. Eine faszinierende Atmosphäre. Und unscheinbar abwechslungsreich. Zwischendurch gibt es Gewitter. Land in Sicht. Stark schaukelnder Seegang. Strahlender Sonnenschein. Momente, die einen aus der entspannenden Monotonie reißen und in eine eben solche wieder einführen. Man bleibt die ganze Zeit wach. Man möchte keinen Schnitt verpassen. Was für ein Bild wird uns als nächstes geliefert?

Minutenlange, starre Einstellungen verweisen auf das Universum, welches sich bei einer transatlantischen Überfahrt auf einem Schiff bildet. Ein gigantisches Vakuum, welches das Schiff umgibt und jeglichen Einfluss der Außenwelt nicht durchlässt. Nicht zwangsläufig dokumentarisch. Zwar scheinbar ohne Intervention des Filmemachers, aber mit präziser Ästhetik wird Transatlantique in eine ganz bestimmte Riege von Filmen gehoben: in den fließenden Übergang von Dokumentation und Fantasie.

Laderaum in Transatlantique ©La Distributice de Films Ein schiffseigenes Universum ©La Distributice de Films

Manche Filmaufnahmen von rauschenden Wellen scheinen verdreht, bilden eine Orientierungslosigkeit beim Zuschauenden. Eine gleiche Orientierungslosigkeit die bei Schiffslaien vorkommen darf. Das Schiff mitten im Ozean. Am Horizont nur Nebel und ein durchschimmernder Himmel. Das Schiff als scheinbar unbewegtes Objekt, lediglich durch den Wellengang angetrieben. Bilder vom leeren Laderaum scheinen unreal oder im Zeitraffer abgespielt. Bilder von durch den Seegang sich selbstständig machenden Aschenbechern lassen den unsichtbaren Faden suchen. Zwischendurch ertönt leise Musik, die sich sogleich mit den Betriebsgeräuschen eines Frachters zu einer Symphonie der Einsamkeit vermischt. Trotz der Vielzahl an Schiffsarbeitern wirkt jeder von ihnen verloren in der Unendlichkeit des Atlantiks. Es geht nicht nur um den Moment der traurigen Einsamkeit, gleichsam um die Freiheit. Der Film überliefert konkret und uneindeutig zugleich das Gefühl der endlosen Zwanglosigkeit, obwohl ein solches Schiff mehr wie eine fahrende Fabrik, als ein Ferienhaus aussieht.

Das Filmerlebnis naht der Unbeschreibbarkeit so, wie sie der Unmöglichkeit naht, in knapp 70 Minuten eine atmosphärisch, emotionale und realistische Seeüberquerung vollständig abzubilden. Man sieht kaum Bilder von arbeitenden Menschen. Die Anstrengung, die mit solch einer Fahrt mit einher geht, wird nicht offensichtlich. Aber das ist gut. Denn befindet sich die Romantik eines Frachtschiffes wahrscheinlich nicht in der Ausführlichkeit, sondern im Augenblick. Oder wären wir immer noch so begeistert von der Hafenindustrie, wenn wir dort täglich arbeiten müssten und nicht nur wenige Stündchen das Konstrukt von Außen beobachteten? Je mehr Menschen man sieht, desto größer besteht die Möglichkeit zur Identifikation mit einem solchen Schiffsarbeiter. Die einzige Verbindung, die zwischen Zuschauendem und Film passiert, ist nur die Verliebtheit in das Gesamtbild des Films: 72 Minuten lang ein schwarz-weißes Stilleben vom Schiff, vom Meer vom Menschen und vor allem vom Leben.

Beitragsbild: ©La Distributice de Films

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