Neo- und Magischer Realismus verwebt Alice Rohrwacher zu einer atmosphärisch und symbolisch gleichsam dichten Fabel über den nimmer endenden Kreislauf der Ausbeutung, Grausamkeit und Ignoranz. Unwissenheit in all ihren Ausformungen von der schier grenzenlosen Naivität des jungen Titelcharakters (Adriano Tardiolo) über die dumpfe Erkenntnisunfähigkeit der Landarbeiter bis zur brutalen Borniertheit der Stadtbewohner ist der Antrieb der mäandernden Erzählung. Sie verharrt in pointierten Alltagsvignetten ähnlich wie Lazzaro wiederholt von der irdischen Irrationalität überwältigt innehält. Die anderen Leibeigen der Marchesa de Luna (Nicoletta Braschi) meinen, er sei verzaubert.
Verhext scheint das gesamte Anwesen, das die Tabak-Farmerin wie ein weltentrücktes Hoheitsgebiet verwaltet. Auf die Moderne verweisen lediglich Details wie der Walkman ihres eingebildeten Sohnes Tancredi (Tommaso Ragno). Er versucht seine Mutter schröpfen wie sie ihre Diener und die wiederum Lazzaro. Er erträgt jede Schikane und undankbare Arbeit mit seltsamer Leichtherzigkeit. Seine Gutmütig- und Gutgläubigkeit macht ihn zum ergebenen Komplizen Tancredis, der gelangweilt aus seinem Goldenen Käfig ausbrechen will. Doch in der Stadt und in Freiheit ist das Leben nicht besser, nur auf andere Weise elendig.
Mit paradoxer Leichtigkeit und mokantem Blick für menschliche Ambivalenz zeichnet die Regisseurin und Drehbuchautorin eine allegorische Heiligenvita, die in pastoraler Tradition mehr über Gesellschaftsstrukturen verrät als über die Abgebildeten. Die markanten Figuren, darunter Rohrwachers Schwester Alba, verkörpern exemplarische Charaktertypen, die den Endloskreislauf von Betrug und Übervorteilung in Gang halten. Einzig Lazzaro verändern weder Heimtücke und Egoismus noch die Zeit, die einen Sprung nach vorn macht. Alles hat sich verändert und ist doch gleich in diesem bitteren Märchen von einem heiligen Toren und Lämmchen Gottes unter Wölfen.
Kinostart: 13.09.2018
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