„Jetzt.Nicht.“ Kritik: Ein Film über Selbstfindung in der heutigen Leistungsgesellschaft

Eugen Zentner 11. November 2017 0
„Jetzt.Nicht.“ Kritik: Ein Film über Selbstfindung in der heutigen Leistungsgesellschaft

Die fortschreitende Digitalisierung zerstört immer mehr Arbeitsplätze. Doch was bleibt nach dem Jobverlust? Gibt es noch ein Leben außerhalb des Berufs? Das fragt sich auch der Protagonist in «Jetzt.Nicht.», der zunächst flüchten muss, um wieder zu sich zu finden.

Walters beruflicher Alltag als Marketing-Director eines Kosmetikherstellers ist lang und intensiv. Doch er fühlt sich in seinem Unternehmen wohler als zu Hause, wo er nach getaner Arbeit erst spät abends ankommt. Mit seiner Frau hat er nur wenig zu bereden. Das Gespräch verläuft eher schleppend, zumal Walter sich ganz auf den Bildschirm seines Laptops konzentriert, an dem er weiter zu arbeiten scheint. Am nächsten Tag kommt die böse Überraschung. Walter wird freigestellt und braucht nicht mehr zu kommen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Mit diesem Ende des Arbeitsverhältnisses bricht zugleich seine ganze Welt zusammen.

In «Jetzt.Nicht.» verkörpert Walter (Godehard Giese) den Prototyp zeitgenössischer Karrieristen, die sich ausschließlich über ihren Beruf definieren. Er ist ihr einziger Lebensinhalt. Ihm ordnen sie alles unter – Familie, Hobbys, Gesundheit. Wenn sie nach Hause kommen, dann um zu schlafen. Die restliche Zeit verbringen sie bei ihrem Arbeitgeber. Das macht sie glücklich, das gibt ihrem Leben einen Sinn. Kein Wunder daher, dass Walter im Gespräch mit der Psychologin nicht auf die Frage antworten kann, wofür er außerhalb seines Berufs brennt. Und als seine Frau Nicola (Loretta Pflaum) ihn anregt, die Kündigung als Chance zu begreifen, holt er sofort mit einem sarkastischen Kommentar zum Gegenangriff aus. Zu mehr ist er in seinem deprimierten Zustand nicht in der Lage.

Genauso wie Walter fühlen sich in der heutigen Leistungsgesellschaft viele, wenn sie ihren Job verlieren. Das eigene Leben scheint in Scherben zu liegen, sobald man gezwungen ist, den Alltag selber zu strukturieren. Die Arbeitslosigkeit wird zur Identitätskrise, in der auch Walter erst flüchten muss, um wieder zu sich zu finden. Doch der Weg dorthin ist steinig. Nachdem Walter aus Frust seinen Wagen im See versenkt hat, lässt er sich von einem Unbekannten nach Düsseldorf mitnehmen. Hier begegnet er seinem Alter Ego und muss feststellen, dass der als Customer- Relationship-Manager tätige Anton zwar für seinen Beruf brennt, aber im Minutentakt Pillen schlucken muss, um zu funktionieren. Ausgerechnet auf der Fahrt nach Düsseldorf werden sie ihm zum Verhängnis. Für Walter ist das ein erstes Zeichen, dass er seine Einstellung zum Leben überdenken muss. Und es kommen noch weitere.

Dem Thema scheint die Ästhetik des Films angeglichen zu sein. Genauso kühl wie die gegenwärtige Leistungsgesellschaft sind auch die Bilder. Räume mit viel Glas, spärliche Einrichtungen, kahle Landschaften und die gähnende Leere auf den Straßen wirken so emotionslos wie bedrückend. Hinzukommen die durchweg dunklen Töne, die die Gemütslage des Protagonisten widerspiegeln. Mit Ästhetik und Thema will der Film auch darauf aufmerksam machen, was passieren könnte, wenn im Zuge der digitalen Revolution Arbeitsplätze rar werden. Was werden die Menschen dann machen? Wie werden sie ihre Zeit nutzen? Werden sie überhaupt glücklich sein? Diese Fragen wirft «Jetzt.Nicht.» auf und appelliert dabei an den Mut zu neuen Lebensentwürfen.

Obwohl sich der Film als Sozialdrama versteht, gibt es jedoch kaum nennenswerte Konflikte. Und die wenigen, die vorhanden sind, kochen auf Sparflamme. Über weite Strecken plätschert «Jetzt.Nicht.» einfach so dahin. Der größte und wichtigste Konflikt findet ohnehin in Walters Innerem statt. Doch dieser Kampf ist nur schwer darzustellen, auch wenn die schauspielerische Leistung Godehard Gieses enorme Wertschätzung verdient. Sein Gesichtsausdruck sagt mehr als tausend Worte, weshalb es sich als Vorteil erweist, dass der Film nur sehr wenige Dialoge enthält. Wenn aber doch geredet wird, wirken die Gespräche recht schwerfällig und unnatürlich. Geglückt ist jedoch die musikalische Begleitung. Spritzig, dynamische, elektrisierende oder melancholische wie tranceartige Töne lockern die vielen zähen Passagen auf und machen «Jetzt.Nicht.» zu einem ansehnlichen, wenn auch nicht hochklassigen Film.

Kinostart für „Jetzt.Nicht“ ist der 9. November 2017.

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