Kritik zum german wonder „Der Tatortreiniger“

Tommy 8. März 2015 1
Kritik zum german wonder „Der Tatortreiniger“

Die deutsche Film- und Serienlandschaft hat gemeinhin einen bescheidenen Ruf, in der Regel vollkommen zu Recht. Außer Krimis, romantischen Komödien und Til-Schweiger-Filmen – wobei letztere gerne mit den anderen beiden kombiniert werden – wird nicht viel geboten. Und Nazi-Filme; das können die Deutschen. Umso schöner ist es dann, wenn etwas Ungewöhnliches gezeigt wird, das auch noch funktioniert.

Der Tatortreiniger“ ist dieses vierblättrige Kleeblatt des deutschen Fernsehprogramms. Dabei wäre die schwarzhumorige Serie des NDR beinahe in der Versenkung verschwunden, bevor sie wahrgenommen wurde. Ohne Werbung im Nachtprogramm gesendet, musste erst eine Nominierung für den Grimme-Preis herhalten, um die Senderchefs vom Potential ihres eigenen Produktes zu überzeugen. Inzwischen erhalten die Abenteuer des Spurenbeseitigers Heiko Schotte die rechtmäßige Aufmerksamkeit und vier Staffeln sind momentan anschaubar.

Die Vielfältigkeit im Saubermachen

Das Konzept ist für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich: Der Zuschauer begleitet den Tatortreiniger, der meist auf den Spitznamen „Schotty“ hört, ausschließlich bei seinen Aufträgen. Die bestehen darin, menschliche Überreste von Fliesen zu wischen oder vom Teppich aufzusammeln. Für den leidgeprüften HSV-Fan eine leichte Übung, wären da nicht die Angehörigen der Verstorbenen, die Schotty nicht nur von der Arbeit ablenken, sondern regelmäßig in skurrile Situationen hineinziehen. So soll er dann schon mal für einen verstorbenen Bräutigam einspringen, um eine Scheinehe zu ermöglichen oder fungiert als Anregung für einen schreibblockierten Schriftsteller.

Aufgebaut sind solche Situationen als Kammerspiel, die von den Auseinandersetzungen zwischen Schotty und der jeweilig am Tatort angetroffenen Person leben. Da eine solche Umgebung nur aus einer handvoll Räume besteht, kann es hinsichtlich der Spannung problematisch werden. Bei der MTV- und besonders bei der YouTube-Generation kommt zügig Langeweile auf, wenn man ausschließlich zwei Menschen beim Reden zusieht. Regisseur Arne Feldhusen liefert allerdings eine Arbeit ab, die über solcherlei Vorwürfen erhaben ist und sogar phasenweise an Quentin Tarantino erinnert, der das Filmen in Räumen perfektioniert hat. Feldhusen geht sicher mit unterschiedlichen Kameraeinstellungen um, spielt souverän mit verschiedenen Distanzen zu den Schauspielern oder konzentriert sich auf Außen- oder Nahaufnahmen, wenn Ruhe von Nöten ist. Das Bemerkenswerte ist aber, dass er in jeder Folge die Gegebenheiten nutzt, um kreative Ideen auszuspielen, die für sich ein Lachen wert sind.

Die Deutschen und ihr Humor

Humor nimmt ohnehin einen großen Stellenwert in „Der Tatortreiniger“ ein. Bei der Grundidee ist es wenig verwunderlich, dass die Witze teilweise britisch ausfallen und selbst über den Tod gelacht wird. Zum Beispiel in der Folge „Carpe Diem“, als der Kollege eines verstorbenen Beamten Schotty zu eben jenem Verstorbenen schicken will, um sich einen Schlüssel zu holen. Als der abgestumpfte Beamte seinen Fehler bemerkt, bricht er in Lachen aus – nur um einen Augenblick später mit ernster Miene zu bekunden, wie tragisch das Ganze sei. Der Hauptteil der lustigen Momente wird durch abstruse Situationen und stakkatoartige Wortwechsel erzeugt. Wenn die Bekannte eines Toten fragt, was sie nun tun solle und daraufhin aus einer Tasse mit der Aufschrift „take it easy“ trinkt, folgt das Lachen wie bestellt. Selbst durch Schnitte gelingt es Witz zu erzeugen, da absehbare Aussagen weggelassen werden und man direkt zur Reaktion einer Person auf das Gesagte springt. Die Macher sind clever genug, um zu wissen, was sie zeigen müssen und wann man alternativ der Intelligenz des Zuschauers vertrauen kann.

Man folgt der Serie sogar, wenn sie übernatürlich wird. In „Geschmackssache“ unterhält sich Schotty mit einem toten Psychiater, was für Missverständnisse sorgt, wenn er auf den Psychiater reagiert und eine andere Person sich angesprochen fühlt. Die Idee ist nicht neu, aber einfallsreich umgesetzt. Die abschließende Folge der vierten Staffel verlässt ebenfalls die Grenzen des Rationalen. „Der Fluch“ handelt von einem Haus, in dem ausnahmslos gereimt werden muss, andernfalls wird man wie durch Zauberhand wieder an die Eingangstür verfrachtet. In seiner Entwicklung erinnert diese Folge an die „Treehouse of Horror“-Episoden der Kultserie „Die Simpsons“, in denen passend zu Halloween surreale Geschichten erzählt werden. Mag diese Entwicklung der deutschen Serie anfangs ungewöhnlich wirken, so lässt man sich doch gerne darauf ein, da die Möglichkeiten des neu gesteckten Rahmens ideenreich ausgenutzt wurden.

Große Fragen zwischen Blutlachen und Putzmitteln

Neben dem Humor bietet „Der Tatortreiniger“ gleichermaßen ernste Themen, die man auf den ersten Blick vielleicht nicht vermuten würde. Durch den Kontakt mit dem Tod ist es wohl unvermeidlich, das Leben zu hinterfragen. Die Charaktere ergründen deshalb ihre eigene Zufriedenheit, ihre Erwartungen, Träume und Hoffnungen. Dies führt zu schönen und ruhigen Momenten, die gelegentlich unerwartet kommen und gerade deswegen wirken. In diesen Augenblicken strahlt „Der Tatortreiniger“ eine Spur Wahrhaftigkeit aus.

Die Bekannten der Verblichenen gehören oftmals einer Randgruppe an oder vertreten einen besonderen Lebensstil. So begegnet Schotty beispielsweise einer Prostituierten, einer Veganerin, einem Schamanen oder einem Homosexuellen. Diese Personen diskutieren mit dem Spurenbeseitiger über ihre Ansichten, weswegen in schöner Regelmäßigkeit hitzige Debatten über bedeutende Fragen ausgetragen werden.

Selbst vor dem in Deutschland schwierigen Thema des Nationalsozialismus wird kein Halt gemacht. „Schottys Kampf“ handelt von den Reinigungsarbeiten in einem rechten Vereinsheim, das „stimmig“ mit Hakenkreuzflagge und Büste von Adolf Hitler ausgestattet ist. Der Vereinsvorsitzende legt gleich seine menschenverachtenden Ansichten dar, denen Schotty argumentativ wenig entgegensetzen kann und sich deshalb als Kompensation vorstellt, wie er dem Nazi eine Abreibung verpasst. Die Serie bleibt sich hier treu und macht aus Schotty nicht mal eben einen politisch versierten Rhetoriker, was eine mutige Entscheidung ist, da der Rechte auf diese Art überlegen wirkt. Es bleibt dem Zuschauer überlassen, Argumente gegen seine lächerliche Ideologie zu finden, was zunächst ein überraschend souveräner Umgang mit dieser heiklen Thematik ist. Die Einschränkung „zunächst“ muss leider geäußert werden, da die Folge im weiteren Verlauf wieder in bekannte Muster verfällt. Ein anderer Vorsitzender des Vereins ist mit dem Intellekt eines beschmierten Toastbrotes gesegnet, weswegen die Folge dazu übergeht, sich über den dummen Nazi lustig zu machen. Die Möglichkeit zu einem mutigen Schritt hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit war da, aber scheinbar ist man noch nicht gänzlich so weit. Wobei es wohl etwas viel verlangt ist, dies von einer lustigen Serie zu erwarten.

Well played, Sir. Well played

Ein paar lobende Zeilen müssen auch den Schauspielern gewidmet werden, da es überrascht, dass in Deutschland ein solches Potential vorhanden ist. Wenige der Darsteller sind dem breiten Publikum bekannt, aber alle liefern eine Vorstellung ab, die ein Gefühl für diese besonderen und äußerst unterschiedlichen Menschen vermittelt. Da stellt sich doch die Frage, warum man manche Schauspieler immer wieder sehen muss, wo doch offensichtlich ausreichend Talente vorhanden sind? An dieser Stelle sei an die Einleitung verwiesen.

Der bekannteste Akteur dürfte zugleich der Hauptdarsteller sein. Bjarne Mädel, bekannt als Ernie aus „Stromberg“, liefert nicht nur wiederholt eine unterhaltsame Vorstellung ab, sondern schafft es auch eine auf den zweiten Blick komplexe Figur zu porträtieren. In einer Folge kann man alles Wissenswerte über ihn lernen und doch kann er einen nach vier Staffeln noch überraschen. Schotty ist ein Hamburger Original, ein einfacher Mann von der Straße, der lieber an das nächste Champions-League-Spiel denkt, als sein Leben zu hinterfragen. Er ist ungeduldig, reagiert meist emotional, manchmal naiv und wirkt eingefahren in seinen Ansichten. Er hat durchaus ein Gerechtigkeitsempfinden, allerdings geht das kaum über seine Komfortzone hinaus. Wenn er einer vereinsamten, alten Frau sagt, man müsse für das eigene Glück einstehen und auch einmal verrückte Sachen probieren, rudert er im nächsten Moment zurück, wenn diese Frau ihn plötzlich bei einem Ausflug mit seinen Kumpels begleiten will. Er ist kein Held und wirkt doch nicht unsympathisch – ein schwieriger Balanceakt, dessen Gelingen Bjarne Mädel und der Autorin Mizzi Meyer zu verdanken ist. Diese Widersprüchlichkeit erzeugt auch erst das Gefühl, es mit einer realistischen Person zu tun zu haben. Trotz seiner anfangs harschen Art, berührt ihn das Schicksal von anderen Menschen und so gibt er schon einmal Beziehungstipps, obwohl er sich selbst von einer flüchtigen Affären zum nächsten One-Night-Stand hangelt.

Man erschrickt regelrecht, als er nach einem Stechgefühl am Herzen einen emotionalen Ausbruch nicht zurückhalten kann. Erst dann erkennt man, dass er das Auseinandersetzen mit seinem eigenen Tod verdrängt hat, um die Unzufriedenheit mit seinem Leben nicht an sich heranzulassen. Dass er die guten Vorsätze, die er in der Todesangst noch herausschreit, letztlich nicht umsetzt, ist nur ein weiterer Baustein in der lebendigen Abbildung des Charakters. Wie oft hat man sich nach einem inspirierenden Ereignis vorgenommen, sein Leben komplett zu ändern? Und wie oft hat man das umgesetzt? Eben.

Letztlich steht Schotty seinem eigenen Glück im Weg, da er sich nicht mehr zutraut und auch nicht daran glaubt, dass er mehr verdient haben könnte. In einer erheiternden Serie insgeheim ein tiefgreifendes Abbild eines Menschen aufzubauen, in dem vermutlich jeder ein Stück von sich selbst finden kann – welch eine großartige Leistung.

Meine Arbeit fängt da an, wo sich andere Leute vor Entsetzen übergeben – Heiko „Schotty“ Schotte

Beitragsbild: (c) NDR