Legend (2016) – Kritik des Gangsterfilms mit Tom Hardy

Martin 31. Oktober 2015 1
Legend (2016) – Kritik des Gangsterfilms mit Tom Hardy

Eine der ersten Kameraeinstellungen zeigt die Zwillingsbrüder Ron und Reggie Kray (beide Tom Hardy) chauffiert im Rücksitz eines teuren Autos durch die Straßen Londons fahrend. IHRES Viertels, East End, das sie als Gangster Mitte der Sechziger beherrschen. Es bleibt das Bild, durch das das Zusammenwirken dieses äußerlich so ähnlichen, aber charakterlich unterschiedlichen Zwillingsbrüder am stärksten vermittelt wird. Denn im Kern dreht sich Legend um das Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Anschauungen – vor dem Hintergrund von Liebe: Die erste Szene wird von einer Off-Screen-Erzählerin begleitet, die zwar nicht in persona anwesend ist, aber gefühlt den kleinen Abstand der voneinander abgewendeten Brüder einnimmt. Eine Dreiecksbeziehung wird etabliert.

Auf der einen Seite gibt es somit die neuzeitliche Aschenputtel-Geschichte mit all ihren bekannten Momenten und Wendungen. Reggie verliebt sich in Frances (Emily Browning, die Erzählerin), die dem schönen, illegal finanzierten Leben zwar kritisch gegenübersteht, aber gewiss nicht den Wohlstand verneint. Trotzdem möchte sie irgendwann, dass Reggie sein Dasein als Gangster aufgibt und mit ihr ein ehrliches Leben führt – sie liebt ihn. Doch Ron, ein bis vor kurzem in der Nervenheilanstalt verweilender, pathologischer Soziopath, ist die dunkle Seite der Macht. Er will für Reggie das Beste. Und das Beste ist das, was für ihn selbst gerade gut genug ist: Ein Gangster-Leben ohne Kompromisse. Und Reggie, der vernünftigere, klar denkende, aber letztendlich nicht weniger kriminelle Bruder, sitzt zwischen beiden Ansprüchen. Die Pflichten, die aus der Liebe für seinen Bruder und seine Frau entstehen, schließen sich aus. Der Zuschauer weiß bereits früh, dass eine oder mehrere Seiten unweigerlich verlieren wird.

Das allein wäre kein Grund, Legend nicht als beworbenes „Gangsterepos“ zu bezeichnen. Auch beispielsweise Scarface (1983) spielt mit diesem Thema in einer nicht sehr unähnlichen Konstellation. In Legend nimmt die Lovestory zwischen Reggie jedoch eine große Leinwandzeit ein. Sowohl die toxische Bruder-Liebe und das Liebesglück werden zu dramaturgischen, handlungsleitenden Perspektiven. Auf der anderen Seite gibt es recht deutliche Darstellungen von Gewaltausübung und -drohungen, die beizeiten einen komischen Anstrich tragen. Hier ist an vorderster Front der Running-Gag des kriminellen „Unterlings“ zu nennen, der sprichwörtlich ständig eins auf die Nase bekommt. Ein wahrhaftig blutiges Kabarett. Die einzelnen Genre-Elemente werden zudem oft von Musik untermalt. Mal drückend-rockig, mal sanft, mal skurril-sperrig. Dies kristallisiert wiederrum ihre Genre-Verhaftung heraus. Die Titelmelodie von Carter Burtwell ist klasse, besonders in Verbindung mit visuellen Noir-Elementen (Kamerafahrt entlang Reggie, nachts unter der Brücke).

Die Genre-Übergänge wirken zwar nicht immer wie aus einem Guss, der Film hat dennoch kein (starkes) Identitätsproblem. Zum einen wird durch Reggie die Liebesgeschichte mit der kriminellen Welt verknüpft. Zum anderen ist es Ron, dessen Verfolgungswahn und psychische Labilität zu bitterbösen, schwarzhumorigen (Gewalt-)Handlungen und Dialogen führen. Seine offen zur Schau gestellte Homosexualität kann bei Gangster-Kollegen schiefe Blicke ernten, was wiederum bei den Zuschauern für Lacher sorgt. Rons Unberechenbarkeit ist neben der Romanze die zentrale Erzählkraft von Legend. Was tut er als nächstes oder was nicht? Die – mitunter komische – Sensation und Destabilität treiben den kriminellen Filmkern voran, nicht die geradspurige Story. Dies macht dann auch deutlich, dass sich Brian Helgeland als etablierter Drehbuchautor und Regisseur von Legend nicht nur sehr stark an der „irren“ Figur des Ron ergötzt, sondern auch an der Darstellung durch Tom Hardy.

Legend ist nicht nur aufgrund der Story-Konstellation (berechenbare Love-Story, unberechenbarer Ron (und beizeiten Reggie)) zu großen Teilen als Vehikel für die Schauspielkunst von Tom Hardy zu deuten. Es liegt in der Natur der Sache, dass man bei Doppel- oder Mehrfachrollen als Schauspieler einfach besonders glänzen kann. Vielleicht wird nirgendwo sonst klar, wieviel kleine Gesten, Körpersprache, Sprache und Mimik einen Menschen „machen“, wenn eine Person mehrere Figuren verkörpert. Hier gibt es subtile Darstellungen und Konstellationen (Jake Gyllenhaal in Enemy, 2013) und die „over the top“-Herangehensweise (Tom Hanks in Cloud Atlas, 2012). Hardys Darstellung liegt irgendwo in der Mitte. Für Ron wird die gutturale Sprache von Bane aus The Dark Knight Rises (2012) kanalisiert. Reggie ist dagegen eher der diplomatische und stylische Gangster. 

Was man dem Film und seinen Machern anrechnen muss, ist seine multidimensionale Verortung in Zeit und Raum. Nicht nur selbstverständlich visuell, sondern auch durch Dialogreferenzen. Meyer Lansky aus der Vegas-Connection wird Serien-Fans bereits bekannt sein, die Boardwalk Empire kennen. Das Wembley-Tor hat einen kleinen Auftritt in einer Anekdote. Das zeitliche Kontinuum wird auch durch das Vermehren von Rons „Lackeys“ (übersetzt: Lakaien) transportiert, die im Laufe des Films immer mehr an Selbstbewusstsein erlangen, was wiederrum einen Rückschluss auf Rons wachsende Macht zulässt. Dies kann jedoch im Film nicht immer stringent durchgehalten werden. Ron beleidigt die finanzkräftige Schickeria des Etablissements von Reggie auf offener Bühne und verprellt sie somit. Ein ordentlicher Fauxpas, den solche Kreise eigentlich nicht verzeihen. Sind die wohlhabenden Londoner nachsichtiger als ihre Gegenparts in anderen Landen? Oder wann schneidet sich hier die Wirklichkeit mit der Fiktion?

Fazit

Legend ist ein routinierter Gangsterfilm mit starken Anleihen aus dem Liebesfilm und von komödiantischen Elementen. Eine stärkere Zuwendung der audiovisuellen Widerspiegelung von inneren Konflikten der Charaktere (hier Noir) hätte dem Film eine besondere Würze verliehen. So aber bleibt der Film „nur“ ein guter und verschroben wirkender Gangsterfilm, dessen Star ganz klar Tom Hardy bzw. seine Darstellung zweier Figuren ist.

Legend kommt am 07. Januar 2016 in die deutschen Kinos.

Deutscher Trailer:

Beitragsbild und Trailer: (c) studiocanal

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