Mistaken for Strangers: Kritik zur The National Dokumentation

Nadine Emmerich 17. August 2014 1
Mistaken for Strangers: Kritik zur The National Dokumentation

Der eine Bruder ist das „Alphamännchen“, der andere der „Underdog“. Das sagt der Gitarrist der Band The National über den charismatischen Sänger Matthew Berninger und dessen ungelenken Bruder, den Amateur-Horrorfilmer Tom. Die beiden haben nichts gemeinsam, doch dann bittet der Ältere den neun Jahre jüngeren 2010, The National als Roadie auf ihrer weltweiten und bisher größten Tour zum „High Violet“-Album zu begleiten und eine Banddokumentation zu drehen. Herausgekommen ist mit „Mistaken for Strangers“ kein genretypischer Livemitschnitt mit Backstage-Interviews, sondern eine witzige Dokukomödie über ein ungleiches Brüderpaar. Inszeniert als Film über einen Film wird Regisseur Tom darin zum Protagonisten, und die Indierocker aus Cincinnati rücken in den Hintergrund.

Tourstationen wie Paris, London und Berlin fliegen vorbei. Als Roadie – und ständig vor der Kamera zu sehen – muss Tom mehr schlecht als recht dafür sorgen, dass die Band Schokoriegel im Tourbus hat, frische Handtücher auf der Bühne vorfindet und vor der Show auf dem Klo war. Frontmann Matt gibt derweil im Hotelzimmer lässig Telefoninterviews und wirft sich beim Konzert mit so viel Hingabe und Passion auf den Boden, dass die weiblichen Fans in Gedanken danebenliegen. Während die Band Selfies mit US-Präsident Barack Obama macht, darf Tom nur eifersüchtig zusehen.

Mistaken of Stranger - zwei ungleiche Brüder?

Mistaken of Strangers – zwei ungleiche Brüder?

Erwartungsgemäß tut sich der mit über 30 noch zuhause wohnende kleine Bruder schwer, einen roten Faden für den Film zu entwickeln. „Habt ihr eure Brieftaschen auf der Bühne in der Hosentasche?“, fragt er die Band in seinen Interviews. „Bist du manchmal müde auf der Bühne?“, will er von Matt wissen. „Hast du irgendeinen Plan für den Film?“, antwortet der gereizt. Nein, hat er nicht, der Roadtrip mit The National ist für Tom, den man sich gut in einer „Wayne’s World“-Fortsetzung vorstellen könnte, vor allem Partytime. Und Indierock hält der Metalhead mit dem Faible für Amokläufer-Trashfilme eh für „prätentiöse Scheiße“.

Man sieht es kommen: Matt, dem poetischen Seelchen, der die melancholischen Songs von The National mit so viel Inbrunst intoniert, der aber auch ordentlich ausrasten kann, platzt der Kragen. Und sowohl für Tom als auch für das komplizierte Verhältnis der Brüder, die sich irgendwie mögen, aber kaum kennen und nicht so leicht zueinander finden, geht es zurück auf Los. The National spielen in diesem durchaus auch emotionalen Familiendrama zwar nicht die erste Geige, steuern mit ihren Songs voller Schwermut aber einen großartigen Soundtrack bei. Immer wieder werden Gänsehaut-Konzertatmosphäre-Schnipsel eingestreut, die wohl nicht nur Fans zeigen, warum die 1999 gegründete Indierock-Band eine der angesagtesten ist.

Bekanntlich unterstützten die inzwischen in New York lebenden The National Obamas Präsidentschaftskandidaturen. Ihr Song „Fake Empire“ vom Album „Boxer“ wurde 2008 auf vielen Wahlkampfveranstaltungen gespielt – was in einer Szene auch in „Mistaken for Strangers“ auftrumpft. Weiter geadelt wird das Quintett, das bislang sechs von Kritikern überschwänglich gelobte Alben veröffentlichte, mit einem Blitzauftritt des deutschen Regisseurs Werner Herzog, der bei einem Konzert in Los Angeles auf der Gästeliste stand. Und beinahe nicht reingekommen wäre, weil Tom es mit der Liste vermasselt hat.

Aber so amüsant „Mistaken for Strangers“ auch ist: Mit der Making-of-Struktur und dem omnipräsenten Regisseur wirkt die Doku etwas konstruiert. Der Zuschauer mutmaßt, einem sorgfältig inszenierten Plot zu folgen. Neben Toms Handkamera waren sechs weitere Kameras im Einsatz, zudem firmiert Matt Berningers Ehefrau als Produzentin. Angeblich war es so, dass Tom den Film tatsächlich erst verpatzte, und der Kunstgriff der Metaebene ihn nachträglich rettete. Das erklärt ein paar, aber nicht alle Fragen. Dennoch: Der bedeutungsschwanger mit dem Song „Terrible Love“ endende Film ist kurzweilig und liebenswert, gibt intime Einblicke in die ambivalente Beziehung der Berninger-Brüder – und macht vor allem Matt, über dessen kryptische Songtexte und Wortspiele man endlos rätseln kann, überraschend menschlich.

Autorin dieses Textes ist Nadine Emmerich. Sie ist Redakteurin und freie Journalistin.

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