Es gibt viele Dokumentarfilme, die beim Betrachter Betroffenheit und Unwohlsein auslösen können und auch sollen. Oft ergibt sich dieser Effekt aus dem aufzeigen einer Wahrheit, von der der Rezipient entweder nichts wusste, oder sie ganz (un)bewusst ignorierte. Eine humanitäre Katastrophe, ein menschliches, als politisches System getarntes Versagen mit dem Namen „Krieg“ ist der unseren, westlichen Welt in seiner Struktur, seinen Ausmaßen und seinen Kosten durchaus bekannt – wir wissen, was Krieg ist. Wir alle sehen die schrecklichen Bilder regelmäßig in unseren Leitmedien, die interessierten – also die, die sich mit Politik auch außerhalb ihres Twitter-Feeds beschäftigen – verstehen die Zusammenhänge und begreifen, welches Übel sich tagtäglich über diese Welt erstreckt.
Was den Zuschauer in seinem Kinosessel letztendlich erschrecken lässt, ist die Offenlegung der eigenen, verzerrten Wahrnehmung, dass alles sei immer weit weg. Solange man selbst nicht betroffen ist, sind Tragödien schnell vergessen. Auch die im Libanon gedrehte und vom syrischen Regisseur Ziad Kalthoum („The Immortal Sergeant“) inszenierte Dokumentation TASTE OF CEMENT hat diese Wirkung, ohne jedoch die bekannten Probleme oder Hintergründe erneut auszuformulieren. Der Sprecher im Off ist viel weniger ein Sprecher, als eher ein Erzähler, der mit tragischer Poesie aus seinem Leben berichtet. Die verwendete Sprache ist in ihrer Bildhaftigkeit das Leitmotiv für den ganzen Film, denn TASTE OF CEMENT ist in Bildern eingefangener Kontrast.
Genauso wie die syrischen Bauarbeiter, um die sich das Werk dreht, ist auch der Zuschauer eingesperrt in diesem kalten Zementblock, der später einmal ein Hochhaus sein soll. Die Arbeiter arbeiten nicht nur im Rohbau, sondern Leben auch im Keller unter ihm. Eine Ausgangssperre verbietet es ihnen raus zu gehen, der Kontakt mit der Außenwelt besteht aus den Kriegsgezeichneten Fernsehbildern und dem, was die sozialen Netzwerke hergeben. Nachts also der dunkle Unterbau, tagsüber die weite, sonnenerfüllte Aussicht auf das Meer, hoch oben, irgendwo im 20. Stock.
Während sie erschaffen, wird in ihrem Heimatland zerstört. Während die Kamera hochaufgelöste und teils fabelhaft schöne Bilder zeigt, ist die Realität doch viel hässlicher. Es ist eine hypnotische Sogwirkung, die diese Detailaufnahmen, die sich mit ungewöhnlich inszenierten, klaren und symmetrischen Formen abwechseln, erzeugen. Hinterlegt sind sie mit Klängen, die sich aus Versatzstücken minimalistischer Musik und dem Krach der Baustelle, sowie Geräuschen des Alltags zusammensetzen.
Regisseur Kalthoum macht diese uns fremde Welt förmlich greifbar und präsentiert eine unkommentierte Momentaufnahme, die kurz vor Schluss einmal richtig laut wird, bevor sie wieder die leisen Töne bedient. Der Film nimmt sich nicht vor, dass große Ganze mit all seinen Ursprüngen und Konsequenzen zu zeigen, sondern rückt mit seinem Blick auf den kleinen Mikrokosmos dieser Baustelle die Menschen in den Fokus, die sonst verborgen bleiben. TASTE OF CEMENT ist ein intensiver Film über das Leben und das Erschaffen, in einer Welt geprägt vom Tod und der Zerstörung. Das einzige, das beständig zu sein scheint, ist der Zement.
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