The Dressmaker scheint in so vielen Genres zu tauchen, dass man beizeiten den Eindruck hat, es verläuft sich. Aber irgendwie, ob mit schierem Willen, Vorstellungskraft oder einfach nur durch Extravaganz, scheint der Stoff der zusammengestrickten Stilrichtungen sich zwar merklich zu dehnen, aber nicht zu platzen. Das Werk von Regisseurin Jocelyn Moorhouse ist ein Potpourri ganz unterschiedlicher Ideen, aber erreicht es damit auch Dramatik und Wirkung?
Der Ausgangspunkt ist ein Mord-Mysterium revisited: Myrtle „Tilly“ Dunnage (Kate Winslet), eine elegante und angesehene Haute Couture-Schneiderin, kehrt nach 20 Jahren zurück in ihr verschlafendes Heimatdörfchen tief im Outback Australiens, aus dem sie als zehnjähriges Mädchen „verbannt“ wurde. In gedankenkonzentrierten, angegrauten, zeitlupenartigen Rückblenden wird ihre tragische Geschichte und die des Opfers, des „Bullys“ Stewart Pettyman, der zu Tode kam, anfangs bereits angedeutet. Tilly wurde damals als Mörderin ausgemacht. Der erste Satz, der im Film fällt, wird von ihr gesprochen: „I’m back, you bastards“ („Ich bin zurück, ihr Bastarde“): Dabei wird optisch eine Checkliste der in einer Western-Idylle anzutreffenden Institutionen (z. B.Apotheke) gezeigt.
Nun deutet diese feurige Ankündigung nicht nur Konsequenzen für die Einwohner des Heimatdorfes an, sondern weist auch auf ihre universelle Schuld hin. Doch schon im ersten Satz dieses Films beginnt eines der Probleme des Films, wie sich erst später herausstellen soll: Tillys Heimatfleck wird größtenteils von garstigen Kreaturen bewohnt; dem fiesen Arzt; dem treulosen Vater des umgekommen Jungen, Evan Pettyman; der eigensüchtigen, ehemaligen Schulkameradin Gertrude „Trudy“ Pratt (Sarah Snook), um nur ein paar zu nennen. Diese haben zwar mal mehr, mal weniger (direkt) Schuld auf sich geladen. Es handelt sich dabei aber nicht um eine gleichverteilte Gesamtheit von Schuld, die einen Rachefeldzug gegen das gesamte Dorf („Bastarde“) legitimieren würde. Insofern ist klar, dass dieser Ankündigung keine vollends zufriedenstellende Auflösung folgen kann und sie eher drehbuchtechnisch (fehl-)fabriziert wirkt. Tilly ist keine Gräfin im Ausmaße von Monte Christo. Zum anderen ist die Frage nach dem Täter und dem Tathergang, die zum Tod von Stewart Pettyman führten, durch das Drehbuch verschleiert worden. Es ist nicht wirklich ein Rätsel, wie der Junge umkam, sondern eher warum sich Zeugen bis daher nicht gemeldet haben und warum sich Tilly nicht selbst daran erinnern kann.
Auch die Mutter von Tilly, Molly Dunnage (Judy Davis), bei der Tilly wieder einzieht, leugnet anfangs Kenntnis, so dass besonders die einführenden Momente von The Dressmaker in deutlicher, leider etwas ablenkender Unklarheit verschwimmen. Dies trifft nicht nur auf das Erinnerungsvermögen der Charaktere zu, sondern auch auf die eingangs erwähnten Genregrenzen. Joyce Moorhouse mischt insbesondere im ersten Akt nicht nur einzelne Richtungen regelmäßig bunt zusammen (oft direkt akzentuiert in der Figur von Molly), sondern wechselt mitunter in einer einzigen Szene oft die Stilstimmung, sodass es mitunter nicht einfach ist, den Kern, das Zentrum der Charaktere zu finden.
Aber vielleicht ist das auch eine der Perspektiven, die gerade durch eines der Hauptthemen des Films, der Schneiderkunst, transportiert werden soll: Das Äußere kann mitunter leicht transformiert werden, das Wesen bleibt gleich. Die weiblichen Dorfbewohner fliegen auf die Schneiderkunst ihrer alten Bekannten Tilly. Bald gleicht die Ortschaft einer Modenschau auf wüstigem Gelände; ein wahrlich komischer Anblick. Auch diese Abstrusität soll unter anderem dazu führen, denke ich, dass man The Dressmaker irgendwann als Patchwork der verschiedenen Genres wahrnimmt bzw. als Ganzes nicht mehr allzu ernst nimmt: Ein Mikrokosmus verschrobener, tragischer Gestalten, der in seinen Vorgängen, Figuren und deren Schicksalen die Eigendynamik und Eigenheiten kleiner Ansiedlungen überzeichnet darstellt, sich als Film aber nicht allzu ernst nimmt und erst dazu befähigt, sich allesamt die Gewänder von Mystery, Drama, schwarzer Komödie, Rachefilm, Thriller und Liebesfilm überzustreifen.
Liebesfilm? Richtig, denn The Dressmaker macht auch Platz für eine Lovestory. Wenn man genau darüber nachdenkt, ist es aber auch nur eine weitere komische Facette, dass mit Teddy McSwiney (Liam Hemsworth) die Figur eines gut aussehenden Traumprinzen, sozusagen eines Outback Jack, existiert, der neben den vielen Schattenpflanzen gedeihen konnte. Je weiter der Film voranschreitet, desto mehr werden diese Grenzen jedoch zugunsten einer nicht allzu leichten (Melo-)Dramatik aufgelöst. Somit geht dann auch etwas von der anfangs aufgebauten Komik abhanden. Es ist bei The Dressmaker ein bisschen wie mit den Jahreszeiten: Wenn es Hochsommer ist, wünscht man sich kältere Temperaturen, im Winter sehnt man sich nach höheren Wärmegraden.
Die schauspielerischen Leistungen sind als stark einzuordnen, obwohl bei der Figur/Darstellung von Tilly zu hinterfragen ist, ob die Darstellung fast durchgängiger Gelassenheit im Auge des Chaos, das sie umgibt, immer die richtige Wahl war. Hervorzuheben sind unter anderem Hugo Weaving, der den Transvestiten Sergeant Farrat herrlich komisch spielt sowie Sarah Snook, die durch ihr rüpelhaftes und burschikoses Auftreten trotz anmutiger Kostüme die Moral des Films wunderbar wiedergibt. Diese Kostüme wiederrum sind wunderbar farbenfroh und bilden einen optischen verankerten Widergang zur staubigen Umgebung und wie erwähnt, zum Innenleben der Charaktere.
Ob man nun die hier verfilmte Geschichte als künstlerisches Gesamtwerk oder als Flickwerk einzelner Elemente einordnet, sie bleibt trotz allem ein doch ein recht vergnügliches Stück mit gehörigem Schneid.
The Dressmaker – Die Schneiderin ist seit dem 29. April 2016 als Blu-ray/DVD erhältlich.
Deutscher Trailer:
Trailer und Beitragsbild: (c) Ascot Elite