The Eyes Of My Mother: Kritik zum system- und medienskeptischen Schwarz-Weiß-Horror

Simon Fluck 29. Januar 2017 0
The Eyes Of My Mother: Kritik zum system- und medienskeptischen Schwarz-Weiß-Horror

Nicolas Pesces Regiedebut The Eyes Of My Mother spielt mit der bildlichen Imagination des Zuschauers und hinterfragt somit zugleich dessen Gehör.

Ein Zucken, ein kurzer Blick und der Körper sackt in sich zusammen. Die Anfangssequenz von The Eyes Of My Mother lässt früh erahnen, mit was es der Zuschauer hier zu tun bekommt. Wie der Film sich aber im Weiteren entwickelt, bricht nicht nur mit der Erwartungshaltung des Zuschauers als auch mit altbekannten Mustern des Backwood-Horrors oder Slasherfilms an sich.

Im Zentrum steht Francisca, die mit ihren Eltern eine entlegene Farm in einer unbestimmten Region der USA bewohnt und teils auch bewirtschaftet. Francisca und ihre Mutter – eine ehemalige Chirurgin – hegen eine enge Beziehung, die sich durch Tätigkeiten, wie die gemeinsame Autopsie eines Kuhkopfes und der Austausch über die Sinnesfunktionen des Auges ausdrückt. Bereits diese Szene stellt die Normalität der Familie infrage und bereitet den Zuschauer auf den dann folgenden Horror vor. Gleichzeitig wird dabei aber auch das Leitmotiv des Filmes eingeführt: die Augen.

Sie dienen als Symbol der menschlichen Erinnerung, der Erfahrung durch den Sinn des Sehens. Genau dort, wo der Zuschauer nicht auf eigene Erfahrungen und Sehgewohnheiten zurückgreifen kann, setzt häufig der Horror- oder Splatterfilm an, präsentiert dem Zuschauer in aller Explizite grausame Morde, Folterszenen und das Innere des menschlichen Körpers. The Eyes Of My Mother verzichtet, soweit es möglich ist, nicht nur auf diese Zurschaustellung des Sterbens, sondern spricht sich gleichzeitig auf auditiver, diegetischer Ebene dagegen aus. Hier fungiert das Fernsehen indirekt als Moralinstanz, das sich in seiner Geschichte aller drastischen Darstellungsweisen entzogen hat und dennoch seinen eigenen Weg gegangen ist. Obwohl deshalb auch hier grobe Gewaltmomente ausbleiben, schockieren die Resultate, die sich aus Franciscas lange aufrechterhaltenen Verweigerung des Mordens ergeben. Die Opfer werden – zu Tieren degradiert – am Leben gehalten und mit ihren Körpern der letzte Anschein des Menschlichen gewahrt.

Nicht, wie in vielen anderen Filmen des Genres, dient der Körper als Objekt der Begierde; die Zerstörung desselben als Machtausübung, sondern vielmehr erfüllt er für Francisca den Zweck der Nähe und die Möglichkeit der Überwindung von Einsamkeit. Die geistige, menschliche Beziehung, die Francisca zu ihrer Mutter hat, zerbricht im Fortgang der Geschichte und hinterlässt ein Vakuum. Der letzte Bezugspunkt der mütterlichen Hilfe findet sich in ihrem Körper oder dem, was davon übrig bleibt. Der Vater, der sich mehr oder minder ebenfalls als leblose Masse vor dem Fernseher konstituiert, reicht zwar für Francisca eine gewisse Zeit aus, um den Verlust der Mutter zu kompensieren. Da ihr Bedürfnis nach intimer menschlicher Nähe jedoch immer stärker wird, der Vater ihr diese nicht geben kann, bricht sie für einen Moment aus dem Mikrokosmos der einsamen Farm aus. Und für alle, die sich entscheiden, Francisca zurück zu begleiten, hat das ungeahnte Folgen. Die Einsamkeit offenbart ihre dunkelste Seite.

Nicht zuletzt ist The Eyes Of My Mother auch ein Zerrbild des im Ausland verheißenen American Dream. Franciscas Mutter, die in ihrer Heimat Portugal noch als Chirurgin arbeitete, fristet mit ihrer Tochter ein tristes Dasein auf der Farm und sucht immer wieder Rückbezüge zu ihrem alten Leben. Ihr Mann, der Vater Franciscas arbeitet außerhalb und findet seine Erfüllung vor dem Fernseher im Wohnzimmer aus dem ertönt: “And god willing we hope to buy land and settle in peace. We worked for many years and put all of our money together. Start a fresh life.” Das, was der Familie hier vermeintlich gelungen ist, entpuppt sich schnell als Trugbild. Das eigene Land macht abhängig, die Freiheit muss der Einsamkeit weichen, das Leben der Arbeit, die soziale Entwicklung von Francisca der geistigen Stagnation. Und schließlich: der Friede dem gesetzlosen Raum, dem Animalischen, dem Tod.

The Eyes Of My Mother zeichnet in seinen kurzen 76 Minuten ein umfangreiches Bild der körperlichen und seelischen Vereinsamung eines Menschen und ihren Folgen. Gekonnt wird der Film von pointierten Anspielungen durchdrungen, nebensächliche Bemerkungen mit Inhalt aufgeladen und die Wachsamkeit des Zuschauers geprüft. Ein durch und durch gelungenes Werk.

The Eyes Of My Mother läuft ab dem 02. Februar 2017 in den deutschen Kinos.

OT: The Eyes Of My Mother
Regie: Nicolas Pesce
Länge: 76 Minuten
Genre: Drama/Horror
Beitragsbild: © Drop-Out Cinema

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