The Forecaster – Kritik zum Doku-Thriller

Thomas Neumeier 18. November 2015 0
The Forecaster – Kritik zum Doku-Thriller

Zwischen Verschwörungstheorie und Fakten

Martin A. Armstrong ist Börsenanalyst und war Chairman von Princeton Economics International Ltd. bis er für zwölf Jahre in Beugehaft genommen wurde – in Beugehaft, was bedeutet, es wurde nie eine Anklage gegen ihn vorgebracht. Möglicherweise weil er sich nichts zu Schulden kommen lassen hat, aber trotzdem von der Bildfläche verschwinden musste, weil er anderen ein Stachel im Fleisch war?

So jedenfalls der Tenor in Marcus Vetters Doku-Thriller THE FORECASTER. Martin Armstrong hat viele drastische Börsenereignisse der jüngeren Vergangenheit vorhergesehen, wie den Schwarzen Freitag von 1987, den Einbruch der russischen Wirtschaft 1998, das Platzen der Technologieblase 2000 und nicht zuletzt den Beginn der Staatsschuldenkrise 2009. Sein Geheimnis? Eine Art Weltformel, mit der die Ausschläge der Finanz- und Wirtschaftszyklen präzise vorhergesagt werden können. Hinter dieser Formel waren bestimmte Leute her, und da Armstrong sie ihnen nicht übergab, wanderte er ohne Prozess ins Gefängnis. Der Vorwurf, er hätte sich an einem Schneeballsystem bereichert, scheint in der Tat bis heute nicht haltbar. Ist Armstrong also Opfer von Willkürjustiz und einer Verschwörung von Mächtigen, die ihre Fäden nicht nur in der Finanzindustrie, sondern auch in Politik und Justiz ziehen?

Exakt darauf läuft der Doku-Thriller THE FORECASTER hinaus. Martin Armstrong hatte etwas, was die wollten, und da er es ihnen nicht gab, gingen sie gegen ihn vor. Wer sind die? Der Film nennt einige Namen und Bankinstitute. Mächtige Spinnen, die im Hintergrund die Fäden ziehen. Der Film führt uns von der Wall Street nach Sydney, nach Bangkok, nach Berlin und nach Moskau. Der Rücktritt Boris Jelzins, der Tod von Edmond Safra, der beeindruckende Aufstieg eines Staatsanwalts als Marionette jener Mächte im Hintergrund, der Film zieht interessante Verbindungen zwischen Akteuren der Hochfinanz und Rädchen im Polit-Betrieb. Beweisen lässt sich davon wenig.

Einen Film, der auf vielgesichtigen Spekulationen fußt, nach Faktenlage zu bewerten, ist schwerlich möglich. Soweit die Fakten belastbar sind, entfaltet Marcus Vetters Film ein beunruhigendes Puzzle, dem auch Außenstehende des Finanzbetriebs folgen können. Ergänzt man die weniger belastbaren Komponenten, erschließt sich dem Zuschauer ein komplexes und korrumpiertes System hinter allem. Ein gieriges Raubtier, das sich selbst fressen wird, sobald nichts anderes mehr übrig ist.

Thrill ist somit gegeben. Inwieweit „Doku“ angebracht ist, bleibt schwammig. THE FORECASTER ist ganz auf seinen Hauptakteur zugeschnitten, auf Martin Armstrong, der und dessen Angehörige unzweifelhaft einen unsäglichen Horror hinter sich haben. Der Unterhaltungswert des Films basiert, wie bei Dokus nicht unüblich, auf Gesprächen mit Wegbegleitern Armstrongs. Von seinen Gegnern war dem Film nach niemand zu Interviews oder Stellungnahmen bereit.

Bei so vielen durchaus faszinierenden Verstrickungen leistet sich der Film leider zu Anfang einen Fauxpas, der seine dokumentarische Glaubwürdigkeit unterminiert: Er lässt einen thailändischen Wahrsager zu Wort kommen, der Armstrong die Karten legt. Fraglich, was Herrn Vetter geritten haben mag, ausgerechnet damit einen Dokumentarfilm einzuleiten und zuletzt abzuschließen. Das klaut dem Ganzen vorab ein wichtiges Stück Realismus und Nüchternheit, die gerade angesichts nachfolgender kalter Zahlen und Fakten an den weltweiten Börsenmärkten angebracht wäre.

Der Film ist keine Offenbarung, aber sowohl Finanzmarkt-Laien als auch Insider können daraus interessante Schlüsse ziehen, was hinter dem aktuellen und dem vergangenen Weltgeschehen tatsächlich gesteckt haben mag. Der Film liefert naturgemäß keine Antworten, doch er stellt gefährliche Fragen. Darauf Antworten zu finden, ist dann Aufgabe des Zuschauers. Den meisten wird das ungute Gefühl nicht fremd sein, dass irgendetwas nicht stimmen kann, wenn Geldbeträge von kaum noch messbaren Ausmaßen ihren Weg in die Nachrichten finden und Parlamente über Nacht mal eben ihr Einverständis erteilen, diese zu verschieben, und sei es „nur“ in Form von Bürgschaften und Haftungsrisiken. Der Weg zur Weisheit sind kluge Fragen, und die bekommt der Zuschauer in diesem Film serviert.

THE FORECASTER erscheint am 20. November auf DVD und Blu-Ray.

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