Vergesst die letzten zwei Folgen! „The Walking Dead“ musste sich erst den Winterschlaf aus den Augen kratzen, eine große Kanne Kaffee einwerfen und ein paar Dehnübungen machen, um warm zu werden. „The Distance“ ist ein Schritt zurück in die richtige Richtung. Man besinnt sich darauf, was diese Serie groß gemacht hat.
Und das sind nicht die ermüdenden Beißerattacken oder der verzweifelte Versuch, Spannung aufzubauen. Mal im Ernst: Hat wirklich jemand in der letzten Woche bei „Them“ gedacht, dass auch nur einer der Charaktere verhungern oder verdursten wird? Leider kommt scheinbar keine Ausgabe ohne sinnlose Gastauftritte der torkelnden Kadaver aus; diese ebenfalls nicht, aber es beschränkt sich wenigstens auf eine Szene. Gab es eigentlich jemals eine Folge ohne Streuner? Doch genug von dem Minuspunkt, denn „The Distance“ lässt auf spannendere Zeiten hoffen, die mehr Genuss versprechen.
An offer you can’t refuse
„Them“ endete mit dem Auftritt von Aaron als Cliffhanger, der ein verlockendes Angebot für die ausgemergelte Gruppe hat: Er lädt sie zu seiner Gemeinschaft ein, die von Stahlwänden geschützt einige Autostunden entfernt sicher lebt. Wie sich später herausstellt, handelt es sich dabei um die Alexandria Safe-Zone, die den Comiclesern ein Begriff sein dürfte. Nun hat Rick selbstverständlich nicht das gleiche Vorwissen, weswegen er Aaron und seiner Geschichte misstrauisch begegnet. Wenn etwas zu gut ist, um wahr zu sein, dann ist es nicht wahr. Was diese Folge so unterhaltsam macht, ist aber nicht eine erneute Vorführung von Rick als skrupellosem Anführer – wobei man sich langsam die Frage stellen sollte, ob er nur so vorgeht, um seine Schäfchen ins Trockene zu bringen oder weil er ein perverses Vergnügen aus seinem Sadismus zieht. „The Distance“ ist spannend, da sich ihm die Gruppe widersetzt. Michonne hat bereits zuvor verdeutlicht, dass sie das Leben als Vagabund satt hat und es nicht sicherer ist als das Risiko, sich einer größeren Schar anzuschließen. Sie positioniert sich gegen Ricks Art, die Dinge anzupacken und schließlich ist sie selbst Beweis genug, dass es sich lohnen kann, Fremden eine Chance zu geben. Der Reihe nach sprechen sich mehr und mehr Gruppenmitglieder für den Versuch aus, Aaron zu vertrauen, weswegen Rick letztlich einlenkt. Jedoch ist ihm die gesamte Folge über anzumerken, dass er den Schock von Terminus nicht abschütteln kann.
Des einen Freud…
Es geht endlich wieder um zwischenmenschliche Konflikte, um Entscheidungen, die über Leben und Tod bestimmen und um moralische Fragen. Wie viel können wir riskieren, für die Chance sicher zu Leben? Wem können wir trauen, nach all den Erfahrungen, die wir sammeln mussten? Welchen Wert hat Menschlichkeit in dieser Welt, wie erhält man sie und wie erkennt man sie überhaupt noch? Viele werden jetzt vermutlich mit Schrecken an die zweite Staffel zurückdenken, die gerne als Laber-Staffel diffamiert wird. Für mich war es allerdings die Staffel, die mich endgültig an Bord geholt hat und wenn wir diesen vermeintlich langweiligen Gesprächen erneut entgegengehen: Sehr gerne, immer her damit! Und alle anderen können sich ja damit trösten, dass die Handlung wieder gezielt verfolgt wird.
Die seltenen schönen Momente
Zum Ende hin gelang „The Distance“ gar das Kunststück, Gefühle hervorzurufen, ohne dafür jemanden töten zu müssen. Rick und Michonne sprachen vor ihrer Abfahrt nach Alexandria über Woodbury und Terminus und den Umstand, dass bei ihrer jeweiligen Ankunft in den sicher wirkenden Orten keine Geräusche zu hören waren. Der weitere Verlauf ist bekannt. Als Rick vor Alexandria hält, sehen wir nur seine verkrampften Augen, während er in die Stille hineinhorcht. All sein Misstrauen, seine Hoffnungen und seine Ängste liegen in diesem einen Blick. Für einen Moment steht die Zeit still, bis ihn die Gewissheit trifft. Kinderlachen. Er hört Kinderlachen, das sich seinen Weg über die Stahlmauern gebahnt hat, um ihm zu zeigen, dass seine Familie in Sicherheit ist. Seine Augen entspannen sich, weiten sich im Unglauben, nicht fähig zu fassen, dass er es geschafft hat. Wenige Sekunden dauert diese Sequenz, doch sie reichen Andrew Lincoln, um lediglich mit seinen Augen eine solche Intensität zu erschaffen, dass man emotional gepackt wird. Man freut sich mit ihm und allen anderen, dass sie jetzt geborgen sind. Zumindest vorerst, denn die nächste Bedrohung folgt zweifelsohne; das liegt in der Natur der Sache.
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