Erst als sein Leben fast gelaufen ist, offenbart sich Mort Pfefferman (Jeffrey Tambor) als die Person, die er all die Jahrzehnte hinter einer Maske verborgen hat. In Wahrheit handelt es sich bei dem pensionierten Politik-Professor um Maura Pfefferman, die mit langen Haaren und Kleidern endlich als solche anerkannt werden will. Maura ist transsexuell, im falschen Körper auf die Welt gekommen. Als sie sich in ihrer Jugend im Sportunterricht zu den Jungs stellen sollte, kam es ihr falsch vor, doch sie tat, was die Gesellschaft von ihr erwartet hat. Genau genommen, tat sie das ihr ganzen Leben lang. Eine geschiedene Ehe und drei Kinder stammen aus diesem Versteckspiel, das Maura nun beenden will.
Der einfache Weg ist oftmals der langweiligere
„Transparent“ widersteht der Versuchung, sich billigstem Klamauk hinzugeben – dabei ist die Ausgangslage durchaus verlockend. Als Witzgenerator würde bereits Maura ausreichen, die durch ihre Offenbarung für reichlich Trubel sorgt. Zusätzlich sind aber auch die Leben ihrer Kinder voller Probleme und Misserfolge, die man genüsslich ausschlachten könnte. Sarahs (Amy Lendecker) Ehe ist auf der Zielgeraden, als sie ihre einstige Liebe Tammy (Melora Hardin) erneut trifft und mit ihr eine Affäre beginnt. Ali (Gaby Hoffmann) lebt von Arbeitslosengeld und Zuwendungen ihres Vaters, da sie mit ihrem Leben immer noch nichts anzufangen weiß. Und Josh (Jay Duplass) verliert seinen Job in einem Musiklabel, weil er sich mal wieder auf eine (zu) junge Klienten eingelassen hat, von der er sich erneut die große Liebe versprach. Ja, „Transparent“ hätte sich leicht in die Riege mittelmäßiger Sitcoms einreihen können.
Die fiktionalisierte Realität
Die von Amazon produzierte Serie nimmt stattdessen die Abzweigung weg vom Mainstream, was sicherlich nicht jedem gefallen wird. Es soll die Quintessenz des Lebens eingefangen werden, ähnlich wie bei „Boyhood“ und genau wie bei dem Langzeitprojekt von Richard Linklater kann man „Transparent“ vorwerfen, dass dies zu Lasten der Spannung geschieht. Zwar bieten die beschriebenen Konflikte Potenzial, doch es wird nicht versucht, diese künstlich aufzubauschen. Einige Folgen plätschern gefühlt vor sich hin, da man von Serien ein anderes Tempo gewohnt ist. Normalerweise wird der Zuschauer von einem Spannungsherd zum nächsten gehetzt, hier nimmt man sich die Zeit für ruhige Zwischentöne, die dennoch ergreifend sein können.
Es geht um die alltäglichen Probleme von Maura und ihren Kindern. Sie muss hart kämpfen, um als ihr wahres Ich anerkannt zu werden, während ihre Kinder ein glückliches Leben führen wollen und dabei teilweise grandios scheitern. Der rote Faden dieser Probleme ist die Sexualität, die hier jedoch nicht als abstumpfender Schrei nach Aufmerksamkeit eingesetzt wird, wie man es zum Beispiel von „Califonication“ kennt. In „Transparent“ dient sie als Suche nach Identifikation und dem eigenen Ich in einer Gesellschaft, die heute noch jeden Menschen in männlich und weiblich einteilen will und dort wenig Spielraum zulässt.
We can be heroes – just for one day
Die Familie Pfefferman fungiert dabei für die Einzelpersonen als Motivator und Ballast, als Hilfe und Hindernis. Kein einziger Charakter ist die gesamte Staffel über sympathisch und sorgt damit genau für die Nuancen, die sie lebendig machen. Jeder verhält sich zuweilen unangenehm, bei jedem sind die Absichten und Reaktionen trotzdem verständlich, wodurch ein komplexes Bild gezeichnet wird, das diese Familie so fesselnd macht. Getragen wird dieses alltäglich Chaos von fantastischen Dialogen, die etwas Einzigartiges erzeugen. Auf der einen Seite klingen sie geerdet und realistisch; man kann sich gut vorstellen, vergleichbare Sätze schon gehört oder gar selbst geäußert zu haben. Andererseits sind sie aber auch nicht abgedroschen, sondern geben eine erfrischend eigene Note hinzu, wodurch sie einen schwierigen Balanceakt bravourös meistern.
Wunderschön und absolut überflüssig
Stilistisch wird der realistische Ansatz künstlerisch ansprechend verfolgt. Am laufenden Band verschmelzen malerische Montagen und idyllische, ergreifende Musik zu perfekte Symbiosen, die an sich bereits eine Sogwirkung entwickeln. Der Regie gelingt es regelmäßig die prachtvollen Momente im gleichmäßigen Trott namens Leben hervorzubringen. Jedoch muss der Kameraarbeit in den Dialogszenen dieses Attribut abgesprochen werden. Der Realismus soll durch eine Shaky-Cam dem Zuschauer begreifbar gemacht werden und ihn mitten in das Geschehen werfen. Allerdings sorgen die verwackelten Bilder eher für Distanz, da sie immer wieder einen Bruch bewirken. Hierbei handelt es sich aber um einen der wenigen Aspekte, die in Staffel zwei verbessert werden können.
Als Fazit eine Empfehlung
„Transparent“ ist einmal mehr der Beweis, dass Webserien in Zukunft wohl eine stärkere Rolle einnehmen werden. Die kreative Freiheit wird bei dem zweifachen „Golden Globe“-Gewinner auf beeindruckende Art genutzt und erzeugt so ein Erlebnis, dass nicht oft anzutreffen ist. Dennoch sei erneut darauf hingewiesen, dass dies nicht nach jedermanns Geschmack sein wird, da die konventionellen Sehgewohnheiten oftmals bewusst ignoriert werden. Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einem ruhigen Drama belohnt, das sich nicht billiger Effekthascherei hingeben muss und zusätzlich den Blick für die richtige Prise Humor besitzt.
Beitragsbild: (c) Amazon