Nur eine kleine Auslese von Filmen erhält die Auszeichnung, in die alljährliche Berlinale-Filmreihe “Perspektive Deutsches Kino“ aufgenommen und somit einem internationalen Publikum vorgestellt zu werden. „Wir sind die Flut“ war dieses Jahr mit dabei. Der Science-Fiction-Mystery-Film kam nun vor dem offiziellen Kinostart am 10. November in einer Vorpremiere im Erkelenzer Gloria Filmpalast zur Vorführung. Regisseur Sebastian Hilger, Produzent Edgar Derzian, Kameramann Simon Vu und der Schauspieler Olav Dennhoven stellten sich anschließend dem Publikum zu einer anregenden Diskussion.
Worum geht es?
Vor dem fiktiven Dorf Windholm an der Nordsee ist vor 15 Jahren spontan die Flut ausgeblieben. Das Meer kam nicht mehr zurück, hat aber offensichtlich beim Gehen alle Kinder des kleinen Ortes mitgenommen. Jedenfalls sind sie zeitgleich verschwunden. Seitdem wird das „Geisterdorf“ hermetisch vom Militär abgeriegelt. Die Nachwuchsphysiker Micha (Max Mauff) und Jana (Lana Cooper), auch im Leben ein Paar, wagen sich mit Messgeräten unerlaubt und ohne Unterstützung durch die verknöcherte Lehrstuhlpolitik in den Ort der beklemmenden Ruhe. Auch ihre Messungen können zwar die Ursache für die Anomalie nicht klären, aber in ihrem Verständnis füreinander als Paar erreichen sie im Scheitern an dieser Aufgabe einen Quantensprung.
Kopfkino
In der Physik gibt es Beugungserscheinungen. In diesem Film wird die Physik gebeugt. Für Angehörige des Forschungszentrums Jülich erscheinen die vorgegaukelten Phänomene sicherlich abstrus. Das stört aber nicht. Man muss sie als anregendes Denkmodell zulassen. Die vordergründige Handlung katalysiert vor allem das, was in unseren Zuschauerköpfen vorgeht. Und die bombastische Filmmusik des Babelsberger Filmorchesters begleitet in erster Linie unser Kopf-Kino. Es ist wie in einem Traum. In Träumen geht es auch nicht logisch zu und doch können sie ihre heilende Kraft entfalten. Wie in berühmten Vertretern des Sciencefiction-Genre-Films, ich denke etwa an Solaris von Tarkowvski, 1972 bzw. von Soderbergh, 2002 oder an Melancholia von Lars von Trier, kommt es auch in diesem Film, bedingt durch eine äußere Bedrohung zu einer gravierenden Veränderung in der Geisteshaltung der Menschen hin zu einer höheren Stufe. Das ist das eigentliche Thema. Wim Wenders hat einmal sinngemäß gesagt, ein Film ist gut, wenn die Menschen darin zu Einsichten und Veränderungen fähig sind.
(v.l.n.r) Regisseur Sebastian Hilger mit seinem Produzenten Egar Derzian, Darsteller Olav Dennhoven und Kameramann Simon Vu nach der Vorpremiere von „Wir sind die Flut“ im Gloria Filmpalast in Erkelenz. Foto: Peer Kling
Der lokaler Bezug
Auf der Suche nach heruntergekommenen Häusern und verlassenen Straßen kam das Filmteam, von dem niemand einen direkten Bezug zu der Rheinischen Tagebau-Gegend hat, auf den Tagebau Garzweiler. Von den insgesamt 28 Drehtagen wurden 18 Drehtage in Immerath (alt) und Borschemich (alt) gedreht. Das Einholen von Drehgenehmigungen und die Gespräche mit der Stadt Erkelenz wurden begleitet von intensiven Begegnungen mit den von der Umsiedlung betroffenen Menschen. Nach der Vorführung begrüßte Regisseur Sebastian Hilger die Familie Thelen im Kinosaal, die bis zuletzt in Immerath (alt) ausgeharrt hat. Kameramann Simon Vu erklärte, dass sie vorzugsweise bei bedecktem Himmel gedreht haben und die Kamera immer in einer bestimmten Position gehalten werden musste, damit nachher bei der Trickmontage im Zusammenfügen mit der Wattlandschaft keine Licht- und sonstigen Sprünge zu bemerken waren. Ein Lob an das vierzigköpfige, im Abspann aufgeführte Team für visuelle Effekte.
Produktiondbedingungen
Den Film teilen sich insgesamt zehn angehende Filmschaffende verschiedener Sparten als Abschluss-Diplom. Der Regisseur und die Drehbuchautorin Nadine Gottmann, im Leben ein Paar, haben an verschiedenen Filmhochschulen studiert. Dies führte zu der einmaligen Zusammenarbeit der Filmakademie Baden-Württemberg und der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, die sonst in einem eher konkurrierenden Verhältnis stehen. Durch die Zusammenarbeit kamen Synergien zum Zuge, wie etwa der Einsatz des Deutschen Filmorchesters Babelsberg. Der Einklang sei angesichts der Kleinstaaterei zwischen den Bundesländern etwa so, als stelle der 1. FC Köln und Mönchengladbach ein Fußball-Team zusammen, um gegen Bayern zu spielen, illustriert Sebastian Hilger. So ist mit sehr vielseitigem persönlichem Einsatz ein engagierter zum Nachdenken anregender Genre-Film entstanden, der mit Produktionskosten von 100 000 Euro nur fünf bis zehn Prozent einer üblichen Tatortproduktion gekostet hat, wie Produzent Edgar Derzian erklärt.
Kinostart von „Wir sind die Flut“ ist der 10. November.
Der Trailer zu „Wir sind die Flut“: