Kritik zu „Blade Runner 2049“ – Eine Liebeserklärung ans Kino

Tobias Ritterskamp 9. Oktober 2017 0
Kritik zu „Blade Runner 2049“ – Eine Liebeserklärung ans Kino

Am Ende blickt ein am Boden liegender Deckard (Harrison Ford) dem vor ihm stehenden Replikanten Roy Batty (Rutger Hauer) ehrfürchtig ins Gesicht. Mit der anschließenden „Tränen im Regen“-Rede folgt einer der bewegendsten Monologe der Filmgeschichte, ein poetisches Diktum. Roy erzählt von Ereignissen, die jenseits der menschlichen Vorstellungskraft liegen. Niemand kann diese Erlebnisse bezeugen. „All diese Momente werden verloren sein, in der Zeit, so wie Tränen im Regen“. Daraufhin senkt Roy seinen Kopf und stirbt.

Dieser poetische Sonnenstrahl inmitten eines verruchten und dreckigen Los Angeles des Jahres 2019 bricht das dystopische Moment kurz auf, doch die Hoffnungslosigkeit kann sich nicht in der Hoffnung vergessen, denn die Gesellschaft befindet sich in einem Zustand jenseits von Anomie. Ende. Man hätte es bei diesem einen Blade Runner belassen können. Doch 35 Jahre später kommt mit Blade Runner 2049 eine Fortsetzung in die Kinos.

Wie der Titel bereits vermuten lässt, spielt der neue Teil im Jahre 2049. Dinge haben Sich verändert. Während ein globaler Stromausfall die menschlichen Erinnerungen beinahe gänzlich gelöscht hat, Los Angeles nach wie vor einer miefigen Dunstglocke gleicht, San Diego als Müllkippe herhalten muss, Las Vegas mit riesigen nackten Frauenstatuen in erotischer Pose einem Edelpuff nach misslungener Sexorgie ähneln könnte und das Ökosystem zusammengebrochen ist, haben Blade Runner wie Officer K (Ryan Gosling) immer noch die Aufgabe, sogenannte Replikanten ausfindig zu machen und in den „Ruhestand“ zu versetzen. Ein Spezialauftrag führt K zum einstigen Blade Runner Rick Deckard (Harrison Ford). Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, da weitere Informationen zur Handlung eine Spoilergefahr darstellen.

Blade Runner 2049 ist wie schon der 1982iger-Streifen vor allem visuelles Überwältigungskino flankiert von den hypnotischen, donnergrollenden Sounds Hans Zimmers und Benjamin Wallfischs, die an die für den ersten Teil von Vangelis kreierte Klanglandschaft erinnern. Doch diese Kontinuität ist keine Schwäche, sondern eine Würdigung des Vorgängers. Sie zelebriert das Existierende. Der Film aber geht dennoch über das Bestehende hinaus, indem er einen Anspruch auf Originalität formuliert, der zur sich realisierenden Verheißung avanciert.

Denis Villeneuve und Kameramann Roger Deakins erzeugen „Bilder für die Ewigkeit“ (Deutschlandfunk Kultur), wenn K Deckard in seinem Versteck ausfindig macht, die anschließende Verfolgung im leerstehenden Nachtclub von einem flackernden Elvis-Hologramm musikalisch begleitet wird und „Can´t help falling in love“ als ironischer Diss-Track auf eine Welt der Serien- und Modellnummern, die jedes Gefühl einem ökonomisch-rationalen Handlungsparadigma unterwirft, gelesen werden kann. Es ist anrührend, wenn K´s virtuelle Freundin Joi (Ana de Armas) durch ein Upgrade nun erstmals die Wohnung verlassen kann, um Regen auf der holographischen Haut zu spüren. Kontrollierte Freiheit im Rahmen algorithmischer Programmierung. Und es ist von absurdem Anmut, wenn Joi sich mit einer Frau synchronisiert, um K´s sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen.

Doch Villeneuves Science-Fiction-Dystopie ist nicht nur visuell und akustisch überwältigend, sondern auch schauspielerisch. Ryan Gosling verkörpert den Blade Runner K mit einer Mischung aus stoischer Gelassenheit, Abgebrühtheit und äußerlicher Klarheit, stets eine Nuance davon entfernt, der innerlichen Aufgewühltheit die Absolution zu erteilen, damit sie sich im nächsten Moment in einem psychophysischen Ausbruch vergessen kann. Harrison Ford hingegen, der erst ziemlich spät auftaucht, knurrt rum. Jede Frage ist eine zu viel. Er ist lakonisch. Ford halt. Auf die Frage K´s, ob denn sein Hund „real“ sei, antwortet er nur launisch: „Ask him.“. Umso mehr erscheint es für die Zuschauer wie eine Belohnung, wenn Deckard den einen oder anderen anrührenden Moment geschenkt bekommt.

Blade Runner 2049 ist wie schon sein Vorgänger ein fragender Film. Während der 1982iger-Streifen unter anderem das genetische Klonen von Menschen thematisierte und damit auf das Spannungsverhältnis von kommerziellem und wissenschaftlichem Nutzen verwies, rücken im Nachfolger neue Fragen in den Mittelpunkt. Welche Rolle spielt Identität im Zeitalter künstlicher Intelligenz? Welche Bedeutung kommt dem Attribut „menschlich“ noch zu, wenn Mensch und A. I. eine annähernd identische Bandbreite an Verhaltensmöglichkeiten aufweisen? Und wird Gefühl ausschließlich auf eine Elementarkategorie reduziert, nur weil es einem ökonomisch-rationalen Handlungsparadigma unterworfen ist, das die affektiven und emotionellen Handlungsimpulse berechenbar macht? Fragen über Fragen, aber keine (vorgekauten) Antworten. Und das ist auch gut so. Denn ein Film der Antworten auf (philosophische) Fragen gibt, verkennt den anstrengenden Weg zur Erkenntnis.

Den neuen Blade Runner macht so vieles sehr sehenswert und doch genügt diese eine Formel: Villeneuves Fortsetzung ist ein herausragender Balanceakt, der das bereits Existierende würdigt und zugleich den Mut hat, über das Bestehende hinauszugehen, um seinem Werk auf diese Weise eine Autonomie zukommen zu lassen, die die Emanzipation vom Original erst ermöglicht. Blade Runner 2049 ist demnach eine Liebeserklärung an das Kino und ein Versprechen, die poetische Sentenz Roy Battys zum Maßstab für das Visuelle und Erzählerische zu nehmen. „Willst du mit mir gehen?“, fragt das Medium. Und aus der Tiefe des Raums ertönt erhaben: „Ja! Stimuliere mich, damit ich Freuden erlebe.“ Die Höhepunkte werden kommen.

Blade Runner 2049 läuft seit dem 05.10.2017 in den deutschen Kinos.

Beitragsbild: © Warner Bros.

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