Das brandneue Testament: Kritik des etwas anderen Weihnachtsfilms

Marie-Hélène Lefèvre 27. Dezember 2015 0
Das brandneue Testament: Kritik des etwas anderen Weihnachtsfilms

Nur wenige Wochen vor Weihnachten startete die Komödie „Das brandneue Testament“ in den deutschen Kinos. Regisseur Jaco Van Dormael inszeniert Gott darin als prügelnden Familientyrann – nichts für fromme Nerven aber dafür kluges und schönes Kino.

Gott existiert. Er lebt in Brüssel

Schon während der ersten Filmminuten lacht das Publikum auffallend viel und das hat mit der simplen aber genialen Idee zu tun, Gott nicht als überirdisches, gütiges Wesen mit weißem Rauschebart zu präsentieren, sondern als Sadist. Gott, gespielt vom belgischen Schauspieler Benoît Poelvoorde, ist ein Verlierer, verbittert über sein eigenes Leben, das er mit einer demütigen Frau und unglücklichen Tochter Éa in einer Hochhaussiedlung im regnerischen Brüssel fristet. Um sich abzulenken, erschuf er die Menschheit und ärgert sie seither von seinem Büro aus. Mithilfe eines Computerprogramms steuert er Katastrophen und erlässt täglich neue Gebote, wie zum Beispiel das, dass Marmeladenbrote immer auf die Marmeladenseite fallen. Dabei sieht er aus wie eine böse Version des Dudes, dem Badeschlappen und Bademantel tragenden Protagonisten der Coen Brüder, und wird von Poelvoorde auf so authentische Art böse verkörpert, dass man ihn als Zuschauer nur hassen kann – von Anfang an.
Als sich seine junge Tochter Éa eines Tages in sein Büro schleicht, platzt dem cholerischen Vater der Kragen und er schlägt sie. Éa wendet sich Hilfe suchend an ihren Bruder Jesus, genannt JC, der ebenfalls von zu Hause weglief, weil er es mit dem Vater nicht mehr aushielt. Er empfiehlt ihr es ihm gleich zu tun, nämlich durch die Waschmaschine in die Menschenwelt zu fliehen, sich dort Aspostel zu suchen und ein Testament zu schreiben. Éa befolgt den Rat ihres Bruders, hinterlässt ihrem Vater aber vorher noch eine ganz besondere Überraschung: Sie schickt jedem Erdbewohner sein vorbestimmtes Todesdatum, so dass die Menschen die Angst im Leben verlieren, und sperrt den Zugang für Gott. Da dieser nun machtlos ist, muss er seiner Tochter in die eigens erschaffene Welt folgen und so manche selbstkreierten Tücken über sich ergehen lassen. Éa wählt unterdessen sechs Apostel aus, die sie mittels Wunder von sich überzeugen muss und verfasst mithilfe eines Obdachlosen ein brandneues Testament – ihr wütender Vater ist ihr dabei jedoch dicht auf den Fersen.

Alt, neu, brandneu!

Der Film gewinnt viel Witz aus der Parodie und Umkehrung der gängigen Darstellung von Gott, Jesus & Co. Selbst in seiner Struktur ist er den Testamenten nachempfunden: Regisseur Jaco Van Dormael, der auch am Drehbuch mitschrieb, hat den Film in Kapitel unterteilt, die in Anlehnung an die Form der Testamente Überschriften wie Genesis, Exodus und den Namen der Evangelisten tragen. Doch neben diesen Anspielungen zieht der Film seinen Charme wesentlich aus den mit viel Detailliebe gezeichneten, außergewöhnlichen Charakteren, denen Éa in der Menschenwelt begegnet. In ihrer Skurrilität erinnern sie teilweise an die Figuren von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ und berühren den Zuschauer. Da ist zum Beispiel der Apostel Willy, ein Junge in Éas Alter, der erfährt, dass ihm nur noch wenige Tage zu leben bleiben. Da beschließt er, dass er die restlichen Tage seines Lebens als Mädchen gekleidet verbringen möchte. Einziger Wermutstropfen bildet der Handlungsstrang von Apostel Martine, verkörpert von Catherine Deneuve, deren Entwicklung über das Ziel hinausschlägt und ins Lächerliche abrutscht.

Ein lachendes und weinendes Auge

Bei all den Überzeichnungen und satirischen Darstellungen enthält der Film auch Szenen, bei denen dem Zuschauer das Lachen im Halse stecken bleibt, weil sie bedrückend ernst sind. Es sind wenige, aber dafür sehr intensive Momente, in welchen die Komödie unerwartet Züge einer Tragödie annimmt. Zum Nachdenken regt auch Éas Leak der Todesdaten an: Wie gestaltet man sein Leben, wenn man weiß, wie lange einem noch bleibt?

Regisseur Van Dormael und Drehbuchautor Thomas Gunzig ist ein kluger und lebensbejahender Kinofilm gelungen – zugegeben, es handelt sich dabei um einen provokativen, erfrischend anderen Weihnachtsfilm aber auch um einen ebenso herzerwärmenden.

Das brandneue Testament läuft seit dem 3. Dezember 2015 in den Kinos.

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