„Der Schamane und die Schlange“ (2016) Kritik: Apokalypse Amazonas

Bernhard 7. Mai 2016 0
„Der Schamane und die Schlange“ (2016) Kritik: Apokalypse Amazonas

Es gibt diese Filme, die es eigentlich gar nicht geben dürfte: Filme, die nicht dem Kalkül folgend produziert werden, möglichst großen Gewinn zu generieren und daher bestimmte, populäre Themen aufgreifen müssen. Sondern Geschichten erzählen, für die es noch keine „Zuhörer“ gibt, in der Hoffnung, dass diese Zuhörer gefunden werden.

„Der Schamane und die Schlange“ des Kolumbianers Ciro Guerra ist vielleicht ein Paradebeispiel eines solchen Hardcore-Independent-Kinos, welches den Durchbruch geschafft hat. Das Abenteuerepos war dieses Jahr für den Auslandsoscar nominiert, gewann Preise unter anderem in Cannes und beim Sundace-Festival.

Im Zentrum des Films steht Karamakate (jung: Nilbio Torres / alt: Alejandro Bolívar), ein alleine im kolumbianischen Regenwald lebender Indigener, der letzte Überlebende seines Stammes. Auf zwei Zeitebenen angesiedelt, spannt sich der Film über einen Zeitraum von über 30 Jahren.

1909: Bei den umliegenden Stämmen als Naturheiler bekannt, wird der stille Karamakate (Nilbio Torres) von dem schwerkranken deutschen Enthologen Theodor von Martius (Jan Bijvoet) und seinem Führer Manduca (Yauenkü Migue) aufgesucht. Mit Hilfe des Schamanen will der Forscher die sagenumwobene Heilpflanze Yakruna (Teil des psychedelischen Gemisches „Ayahuasca“), seine vermeintlich letzte Hoffnung, finden. Im Gegenzug verspricht von Martius, den einsamen Karamakate zu den letzten Überlebenden seines Stammes zu führen. Eine beschwerliche Reise beginnt, bei der der „Weiße“ und der Ureinwohner immer wieder aneinandergeraten.

1940: Der inzwischen gealterte Karamakate (Alejandro Bolívar) trifft auf den US-amerikanischen Biologen Richard Evans (Brionne Davis). Dieser ist ebenfalls auf der Suche nach der wundersamen Yakruna. Doch Karamakate hat inzwischen alles vergessen, was ihm 30 Jahre zuvor mit von Martius geschehen ist. Er fühlt sich als leere Hülle seiner selbst, als sogenannter „Chullachaqui“. Die Reise auf seinen eigenen Spuren wird so auch zu einem späten Selbstfindungstrip.

Die Geschichte ist ein wahnhaftes Abenteuer zweier Weißer, die auf die ursprüngliche Kultur der Amazonas-Indigenen treffen. Die Reise führt immer den Lauf eines großen Flusses entlang. Bei ihren Zwischenstopps begegnen von Martius, Manduca und Karamakate verschiedenen Bewohnern der undurchdringlichen Amazonaswälder, so beispielsweise anderen Stämmen, Missionen oder versklavten Kautschukarbeitern. Guerras Reise hat dabei eine starke Ähnlichkeit zu Apokalypse Now (1979), auch weil die meisten Episoden der drei ungleichen Reisenden von Gewalt und Unglück geprägt sind. Die Folgen der Handlungen von 1909 werden Karamakate bewusst, als er seine Reise mit Evans wiederholt und an Stationen vorbeikommt, die er schon kennt und die sich teilweise dramatisch verändert haben.

Der Schamane und die Schlange, Karamakate und Yakruna (c) Diaphana Films Karamakate (Nilbio Torres): “ Wenn die Kautschukbarone Menschen sind, will ich lieber eine Schlange sein.“ (c) Diaphana Films

Dieser rote Faden zwischen den beiden Etappen wird von Guerra brilliant und furchterregend gesponnen. Doch auch wenn der Zuschauer mit brutal missionierenden Mönchen, degenerierten Sekten und verkrüppelten Indigenen auf Kautschuk-Plantagen konfrontiert wird, geht es in „Der Schamane und die Schlange“ eher um den Konflikt zwischen Karamakate und Theodor von Martius beziehungsweise Richard Evans und um die Entfremdung der unberührten amazonischen Kultur.  So fordert der Heiler seine weißen Mitreisenden jeweils auf, sich von ihren zahlreichen Koffern und Habseligkeiten zu trennen. Und er gerät immer wieder mit ihnen aneinander, weil sie Dinge tun, die er ablehnt. Im Grunde wirft er ihnen vor, sich nie richtig auf ihn und seine Kultur einzulassen.

Von Martius und Evans sind sich in diesem Sinne ähnlich, jedoch auch klare Antipoden. Denn der Biologe Evans befolgt schließlich jede Anweisung, die Karamakate ihm gibt, während sich von Martius vom Fieber und seiner Frustration dazu hinreißen lässt, gegen den Indigenen zu rebellieren. Karamakate selbst steht dabei im extremen Sinn für das Aussterben der kulturellen und biologischen Vielfalt im Regenwald: Nicht nur ist der letzte Angehörige seines Stammes, er hat auch viele Sitten und Bräuche seiner Ahnen vergessen. Paradoxerweise hilft ihm Evans durch seine Bitte um Hilfe bei der Suche nach Yakruna schließlich, zu sich selbst zurückzugelangen.

„Der Schamane und die Schlange“ ist besonders gelungen, weil der Film oft die Balance zwischen metaphoren und realistischen Sequenzen findet und thematisch dicht, aber nicht überladen ist. Die Darstellung von Bildern des Ayahuasca-Rausches passen in diese Beschreibung leider nicht und wirken etwas künstlich. Ansonsten bleibt Guerras Werk absolut sehenswert.

Beitragsbild und Video (c) Diaphana Films

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„Der Schamane und die Schlange“ (2016) Kritik: Apokalypse Amazonas

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