Kritik zu „HERRliche Zeiten“ – Ein sehenswertes Ärgernis

Tobias Ritterskamp 24. April 2018 0
Kritik zu „HERRliche Zeiten“ – Ein sehenswertes Ärgernis

„Oben“. Da ist es schön. Dort scheint stets die Sonne, auch wenn es dunkel ist. Sie kitzelt das Ego des Wohlstandsbürgers. Es wächst. Immer weiter, immer weiter. Von „oben“ lässt es sich leichter herabschauen. Verachtung steht im Hauptprogramm. Und „unten“? Ab und an mal Licht. Hoffnungen und Träume verweilen in Latenz. Aus der Dunkelheit tritt man nicht heraus. „Unten“ ist man eins mit ihr.

Oskar Roehlers Gesellschaftssatire HERRliche Zeiten basiert motivisch auf Thor Kunkels bizarr-bissigem Roman Subs und ist ein Film der extremsten Zuspitzungen, inszeniert als Allegorie auf eine Gesellschaft des ausschließlichen Klassenkampfes, des „Oben“ gegen „Unten“. Wohlstandsmilieu trifft auf Dienstleistungsproletariat. Da sind auf der einen Seite die psychisch labile und tablettenabhängige Gartenarchitektin Evi Müller-Todt (Katja Riemann) und ihr Mann Claus (Oliver Masucci als herrlich schmieriger Hardcore-Rheinländer), ein Schönheitschirurg, und auf der anderen der hochgebildete sowie rhetorisch begabte Bartos (Samuel Finzi) und seine Frau Lana (Lize Feryn).

Eines Abends schaltet Claus im Internet eine Anzeige: „Sklave/in gesucht“. Reine Satire erklärt er später und schickt eine Gruppe interessierter Lack- und Ledergestalten (unter ihnen Katy Karrenbauer) auf Bitten seiner schockierten Frau Evi wieder weg. Doch ein Interessent weckt die Neugier der Müller-Todts: Bartos. Seine Motivation manifestiert sich in einem Satz: „Für mich drückt das Wort Sklave die Sehnsucht nach einem Arbeitsverhältnis aus, das nicht von Geld, sondern von Vertrauen bestimmt wird“. Beste Einstellungsvoraussetzungen also. Das Verwöhnprogramm kann starten, doch ein Diener allein reicht nicht. Bartos‘ Frau Lana wird ihren Mann unterstützen. Lehrstunden in Sachen bürgerlicher Hedonismus stehen an. Durchkneten und bekochen lassen, Schlammbäder nehmen. Besuche in der hauseigenen Sauna werden zum Erlebnis. Hier lässt man sich mit Grünzeug den Körper auspeitschen. Paradiesisch. Doch für eine „Höllenfahrt am Nachmittag“ (Tocotronic) ist der Garten Eden groß genug. Und für einen Pool sowieso. Bartos regt den Bau eines Schwimmbeckens an und die von ihm angeheuerten billigen Arbeitskräfte aus Bulgarien lassen nicht lange auf sich warten.

Wenn Oskar Roehler eines richtig gemacht hat, dann dass er HERRliche Zeiten nicht als Sozialdrama in „Ken Loach“-Manier inszeniert hat, sondern als bissige Satire, die die aufgezeigten (sozialen) Bruchstellen in unserer Gesellschaft mit radikal-satirischen Zuspitzungen unterlegt. Hier ist der inszenierte Sklavenkampf auf einer dekadenten Römer-Sause. „Oben“ genießt man. „Unten“ wird gekämpft. Claus ist begeistert. Evi hingegen nicht. Und dann sind da die bereits erwähnten bulgarischen Poolbauer. „Unten“ wird, wie sollte es anders sein, für 2,50€ pro Stunde geackert und „Oben“? Der feine Herr und Villenbesitzer nippt am Rotweinglas, nur um anschließend einen der Schwarzarbeiter aufgrund falscher Verdächtigungen zu verprügeln. „Sie sollten sich endlich abgewöhnen, uns als Menschen zu betrachten“, so Bartos. Ein Satz, den der besonnene Revoluzzer nicht oft genug wiederholen kann. Es zeigt sich, dass die existenziellen Kämpfe stets unten stattfinden. Das ist nichts Neues. Aber die Szenen führen das in einer, wenn auch allzu offenkundigen, bösartigen Zuspitzung vor, die im Gedächtnis wohl stärker nachhallt als die ernsthaften Zustandsbeschreibungen der deutschen Gesellschaft.

HERRliche Zeiten ist ein Kammerspiel, eine ungemein spannende Satire, angesiedelt im luxuriösen Mikrokosmos der Müller-Todts. Die Spannung liegt in der Latenz, denn das Herr-Knecht-Verhältnis ist in seiner oberflächlichen Evidenz nicht eindeutig zu bestimmen. Alles ist diffus und doch so offensichtlich. Es brodelt. Wann nur wird die Revolution serviert? Zum Frühstück, zum Mittag oder zum Abendbrot? Die Villa der Müller-Todts wird zum Ort des Unvermeidlichen, zum Fluchtpunkt eines Kampfes zwischen den Klassen. Sie wird zum Ort des Politischen. Ein Hochsicherheitstrakt mit stählernen Rollläden, Gittern vor den Fenstern, Überwachungskameras en Masse und einem Code für die Grundstückszufahrt.

Das Ensemble des Films ist bis in die kleinsten Rollen und Cameos stark besetzt. Ob Katy Karrenbauer als Anführerin eines ironiebefreiten Lack- und Ledertrupps, Andrea Sawatzki als Evis zickige Arbeitskollegin oder Yasin El Harrouk als Claus‘ und Evis Nachbar Mohammed, der die German Kartoffeln mit ihren 30er-Zonen und einer „Mutti“ als Regierungschefin für einen Haufen weichgespülter Pussys hält.

Roehler und Drehbuchautor Jan Berger (Der Medicus) ermöglichen es den zentralen Protagonisten des Klassenkonflikts trotz des sehr überschaubaren Settings, sich über Blicke und scharfe Dialoge zu exponieren und den Spannungsaufbau voranzutreiben. Claus muss zwangsläufig zum Verteidiger des Status Quo werden. In Bartos schlummert ein revolutionäres Subjekt. Und Evi will zwischen all dem wieder ins Lebens finden, von den Tabletten loskommen. Etwas Moral ist bei ihr noch vorhanden. Das erzeugt Hoffnung. Doch was bleibt davon am Ende?

Mit HERRliche Zeiten hat Oskar Roehler ein sehenswertes Ärgernis geschaffen, denn der Film ist eine radikale Überhöhung des Faktischen. Am Ende wissen wir, was wir schon vorher wussten: „Unten“ ist dort, wo Träume und Hoffnungen in Latenz verweilen. „Unten“ ist man eins mit der Dunkelheit. Und „oben“? Da ist es stets schön. Scheinbar.

HERRliche Zeiten wurde produziert von Molina Film in Koproduktion mit der Tele München Gruppe unter Beteiligung von WDR und Arte. Der Film startet am 3. Mai 2018 in den deutschen Kinos.

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Beitragsbild: © Molina Film

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