Miranda (Rosamund Pike, bekannt aus „Gone Girl“) ist Krankenschwester aus Überzeugung und eigentlich überqualifiziert. Beim Abendessen in einem Restaurant stellt sie das unter Beweis: Als ein Gast sich verschluckt und panisch um Atmenluft ringt, reagiert sie schnell, professionell und amerikanisch. Sie verlangt nach einem Steak-Messer sowie einem Strohhalm und macht einen Luftröhrenschnitt – für den Applaus der Umherstehenden hat sie kein Gehör. Sie hat ein gutes Verhältnis zu ihrem verwitweten Vater (Nick Nolte) und wohnt in einem schmucken Vorstadthäuschen mit Veranda. Zu ihrem Glück fehlt ihr nur noch der Richtige. Also arrangiert ihre beste Freundin ein Blind-Date. Fatalerweise lässt Miranda dann aber den falschen Mann in ihr Haus. Der zunächst durchweg eklige William (Shiloh Fernandez) vergewaltigt Miranda brutal und flieht dann paradoxerweise, als hätte er das alles nicht gewollt. Der Täter wird nach kürzester Zeit geschnappt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die gepeinigte Miranda beginnt nun gegen alle Erwartungen und Warnungen ihres Vaters, ihrem Täter Briefe in den Knast zu schreiben. Anfangs kommen diese stets mit dem Vermerk „Return to Sender“ (aha!) zurück. Bis William, der zunächst den Eindruck des Büßers vermittelt, darauf antwortet. Schnell wird klar: Miranda will sich rächen!
Zweifelhafte Motive, fragwürdiges Mitleid
„Return to Sender: Das falsche Opfer“ ist die zweite Regiearbeit von Fouad Mikati und seine Drehbuch-Autoren haben ihm eine arg, wenn auch schwach konstruierte Handlung vorgelegt. Im Lauf der Geschichte erfahren wir so, dass Miranda seit jeher psychische Pathologien aufweist, sie nicht nur offenbar die eigene Mutter auf dem Gewissen hat, sondern auch den Hund ihres Vaters. Wie das zu ihrer oben angedeuteten Nächstenliebe passt, bleibt unklar. Auch die Gründe für ihre Aggressions-Störung bleiben im Dunkeln. Die Gewalttat trifft hier also ein gebranntes Kind, wenn man so will. Die Vergewaltigung ist für Miranda allenfalls ärgerlich, weil sie eine zitternde Hand zurückbehält.
Der Täter, so muss der fragwürdige Schluss lauten, kann einem fast schon Leid tun. Sucht er sich doch mit dieser Verrückten, die Andere schon für viel weniger getötet hat, buchstäblich „das falsche Opfer“ aus. Und tatsächlich beginnt man als Zuschauer, Mitleid für den Verurteilten zu entwickeln. Dieser scheint sich nämlich nun wirklich in Miranda zu verlieben und hehre Motive zu haben. Auch optisch verändert er sich zum Harmlosen. Wie um dramaturgisch zurückzurudern und den Zuschauer daran zu erinnern, dass er es bei William mit einem Monster zu tun hat, werden kleine Szenen eingestreut, in denen William beispielsweise seinen Mithäftling malträtiert. Schließlich darf man so Einen dann doch nicht mögen.
Lichtblick Pike
Rosamund Pike hat für „Return to Sender“ vor der Kamera gestanden, bevor sie mit David Fincher zusammen an dessen „Gone Girl“ gearbeitet hat. Für Letzteren sprang eine Oscar-Nominierung für die Beste Hauptdarstellerin heraus. Und thematisch ähneln sich die beiden Hauptrollen, die Pike jeweils besetzt, doch sehr. In beiden Fällen geht es um psychisch – nun ja – bedrohte Frauen, die auf den ersten Blick völlig „normal“ daherkommen. Während Fincher seine plot twists allerdings gewohnt gekonnt setzt, bietet Mikati wenig bis keine Überraschungen. Nur, wer sich vorher keinen Trailer ansieht und völlig „unschuldig“ an den Film herangeht, hat die Chance, von Miranda kalt erwischt zu werden. Was man „Return to Sender“ allerdings lassen muss: Auch Thriller-erfahrenes Publikum kann sich an Pikes Spiel erfreuen. Die Art und Weise, wie sie der Miranda eine 1950er Jahre-Vorstadt-Unschuld verleiht, ist einmalig und scheint ihre Paraderolle zu sein. Auch wenn die weißen Kleidchen, die sie bei ihren Gefängnis-Besuchen trägt, etwas plakativ die Unschuld symbolisieren, bleiben die Abgründe hinter der Fassade ergreifend.
Am Ende bleibt zu resümieren, dass Mikatis Film zwar reizvolle Ansätze präsentiert (Miranda als der Wolf im Schafspelz) und eine gut aufgelegte Rosamund Pike in der Hauptrolle zu bieten hat. Letztlich allerdings fehlen dramaturgische Raffinesse und erzählerische Inspiration; „Return to Sender“ überrascht an zu wenigen Stellen und scheint bei der Figurenzeichnung nicht recht zu wissen, wo man hin will. Ein Manko bleibt auch der Spannungsbogen, der schon nach etwa 90 Minuten am Ende des Films reißt und den Betrachter etwas unbefriedigt zurücklässt. Wenigstens hat „Return to Sender“ dadurch keine unnötigen Längen.
„Return to Sender: Das falsche Opfer“ ist in Deutschland seit dem 8. September 2015 auf Blu-ray & DVD erhältlich.
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