Springt Daniel Radcliffe zu Beginn als bucklige Version von Edward mit den Scherenhänden herum, ist klar: Sonderlich literarisch ist diese Adaption nicht. Das chaotische Grand Guignol des auf Post-Punk-Viktorianismus spezialisierten Regisseurs Paul McGuigan erzählt Mary Shelleys Meisterwerk aus der Perspektive einer Figur, die darin nie vorkommt. Der bucklige Igor erscheint zum ersten Mal in James Wahles „Frankenstein“, aber da heißt er Fritz. Erst in der zweiten Fortsetzung „Son of Frankenstein“ trifft man ihn wieder, allerdings mit Y: Ygor. Einen Buckel hat er nicht, sondern ein gebrochenes Genick. Da scheint es auf kuriose Weise passend, dass Radcliffes Figur ein namenloser Zirkusclown ist, dem Victor Frankenstein (James McAvoy) sagt:“Du bist kein echter Buckliger!“ Autsch, das tut weh. Und zwar wortwörtlich, da Victor mit einem dieser schaurigen Eingriffe vor Erfindung der Anästhesie Igors Deformation korrigiert.
Mit welchem medizinischen Wundermittel Igor es schafft, aus seinen Dreadlocks die geschmeidige Mähne zu machen, mit der man ihn auf dem Poster sieht, bleibt ein Geheimnis. Genaus wie die weiteren Aktionen von Victor und Igor in ihrer ersten gemeinsamen Nacht, die genauso zweideutig beginnt, wie „erste gemeinsame Nacht“ klingt. Im Mittelpunkt von Eve Stewarts grandiosem Set-Design und den anatomischen Kuriosa, die das Szenenbild zum Gruselkabinett machen, steht die Beziehung der Hauptfiguren. Der Titel ist nicht irreführend, sondern verweist auf Igors emotionale Fixierung auf seinen Freund. Getroffen haben der medizinisch versierte Clown und der Doktor sich im Zirkus bei einer Notoperation an der von Igor umschwärmten Trapezkünstlerin Lorelei (Jessica Brown Findlay). Der charismatische Titelcharakter tauft seinem neuen Mitbewohner kurzerhand wie seinen bisherigen Mitbewohner Igor Straussmann. Eine tolle Taktik, um in WGs endlich das mit den Namen abzuhaken. Victor hat zwar dieses irre Grinsen, aber ist auch witzig. Etwa, wenn er Mel-Brooks-mäßig erklärt, wie sein Nachname ausgesprochen wird. Manchmal ist es schwer, jemanden zu hassen, selbst wenn er in vielerlei Hinsicht ziemlich schlecht ist.
Das gilt auch für Victor Frankenstein, den Film. Es gibt eine Fidschimermaid-Monkey-Verfolgungsjagd, eine Verfolgungsjagd in einem Zirkus und jede Menge Drama zwischen Igor und Victor. Nachdem Victor ihm mit einem orthopädischen Stützkorsett zu einer aufrechten Körperhaltung verhilft, ist Igor, mit den Worten eines Polizeibeamten, ein „High Society Hunchback“. Gemeinsam arbeitet das Duo an der Reanimation von Kadavern. Jeder weiß natürlich, wohin das führt. Sogar der selbstgerechte Christenmensch Inspektor Turpin (Andrew Scott), der nebenbei kombiniert, dass hier ein verrückter Wissenschaftler und sein Ex-Clown-Assistent aus Leichenteilen einen Homunculus basteln. Im London nach Burke & Hare (in deren gleichnamigen Comedy-Biopic Drehbuchautor Max Landis mitspielte) ist so was offenbar üblich. Der Konflikt zwischen Aufklärung und Religion bleibt unausgearbeitet. Dabei galt Shelleys Hauptkritik eben jener christlich-patriarchalischen Hybris gegenüber der Natur, die der abergläubische Turpin vertritt. Abgesehen davon ist der größte Schurke der Vorlage eine Ignoranz und Gier, personifiziert von Victors aristokratischem Auftraggeber Finnegan (Freddie Fox).
All die schillernden, tiefsinnigen Ansätze sind in dem flamboyanten Horrorspektakel vorhanden. Doch statt den Affront und Camp zu umarmen, verfährt McGuigan damit wie mit seinem Hauptcharakter: er modelt alles in eine glatte, harmlose Gestalt.
OT: Victor Frankenstein
Regie: Paul McGuigan
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2015
Verleih: Fox
Länge: 110 min.
Kinostart: 12. Mai 2016
Beitragsbild © Fox