Das Vorspiel (2019): Filmkritik. Qualität kommt von Qual.

Philipp Schmidt 28. Januar 2020 0
Das Vorspiel (2019): Filmkritik. Qualität kommt von Qual.

„Ein Leben reicht nicht mal aus, um in einer Sache gut zu werden.“, ist Geigenlehrerin Anna (Nina Hoss) überzeugt – die Hauptfigur von Das Vorspiel (2019). Die bekannte deutsche Schauspielerin Ina Weisse (u.a. Das Ende einer Nacht von 2013) erzählt in ihrer erst zweiten Regie-Arbeit zusammen mit Drehbuchautorin Daphne Charizani gekonnt davon, wie künstlerische Exzellenz aus Arbeit und Zwang und Schmerz entsteht.

Es scheint zu laufen in Annas Leben: Job als Geigenlehrerin an einem Musikgymnasium, Ehemann Philippe (Simon Abkarian), der mit französischem Dialekt oder en tout französisch spricht und („Oh mein Gott: Was für ein Mann!“) Geigenbauer ist, Sohn Jonas (Serafin Mishiev), der mit natürlicher Begabung zum Geigenspiel geküsst ist. Gerade bereitet Anna ihren Schüler Alexander (Ilja Monti) auf die superwichtige Zwischenprüfung vor – auf ebenjenes „Vorspiel“. So weit so gut.

Bald aber fällt das Licht der Erzählung auf Brüche in Annas Leben: auf die Affäre mit einem Musikerkollegen, von der ihr Mann zu wissen zu scheint und auf Annas Übervater (Thomas Thieme), dem sie nie gut genug war und der bis heute einen Schatten unheimlicher Autorität auf sie wirft.

Alles spitzt sich zu, als Anna mit dem Quintett ihres Musikerkollegen und Liebhabers Christian (Jens Albinus) auftreten soll. Jetzt zeigen sich gleichzeitig beißende Selbstzweifel und gnadenloser Ehrgeiz: Sie steht unter Strom. Und zu allem Überfluss kommt es beim Auftritt zum peinlichen Faux-Pas.

Da möchte man nicht in Schüler Alexanders (Ilja Monti) Haut stecken: Anna projiziert ihre Selbstbestrafung mit voller Wucht auf ihn. Aus Unterricht wird brutaler Drill. Wie sie von ihrem Vater gedemütigt wurde, demütigt sie ihren Sohn, indem sie Jonas den Vergleich mit Alexander immer wieder verlieren lässt. Klar, dass das am Ende nicht gut gehen kann.

Interessant dabei: Ina Weisse breitet unter ihrer Geschichte eine subtile Symbolik aus. Den Zwang zu Perfektion, den Anna wie ihre Schüler und die Musiker spüren, hält sie uns vor, indem sie das Musikgymnasium wie ein Gefängnis und die Übungsräume wie Zellen aussehen lässt. Die Musiker machen an ihren Instrumenten den verkrampften Eindruck von Häftlingen, die mit Zahnbürsten den Boden schrubben. Annas Vater und ihr Elternhaus geben die infernalische Version von Forsthaus Falkenau. Dieser tyrannische „Oberförster“ (vgl. Ernst Jüngers „Auf den Marmorklippen“; mag zwar abwegig sein, passt aber zu gut) hält alles (inklusive der fast schon dement-tatterigen Mutter von Anna) unter seiner Fuchtel. Er ist die Wurzel, die Annas brutalen Ehrgeiz nährt und sie zur gnadenlosen Antreiberin macht.

Ina Weisses Vorspiel ist dabei durchaus spannend erzählt: dramaturgisch geschickt, wie Weisse und Charizani den Höhepunkt ihres Spannungsbogens durch vermeintliche Momente der Entspannung verzögern. Erzählerische Leerstellen lassen dabei immer wieder Raum zur Interpretation und schüren Erwartungen – die dann kalkuliert enttäuscht werden. Man erinnert sich an thematische Verwandte der letzten Jahre (Whiplash (2011) oder gar Tage (Lara (2019)). Auf Nachfrage gibt die Regisseurin zwar an, diese Filme gesehen zu haben, sich am stärksten aber vom Konrad-Wolf-Film Der nackte Mann auf dem Sportplatz (1974) inspiriert haben zu lassen. Wie in dem DEFA-Film interessiert sich Weisse für das Verhältnis von künstlerischer Leichtigkeit, von genialer Exzellenz und leidenschaftlicher (mit der Betonung auf „leiden“) Arbeit.

Daran gibt es am Ende nur wenig auszusetzen: Hier und da sind die Schmunzler (Kellner: „Mögen Sie Weißwein?“ Anna: „Ja!“ Kellner: „Dann nehmen Sie die Apfelschorle.“ o.ä.) etwas hölzern und deplatziert (wo Anna doch gerade als problematisch unentschlossen psychologisiert werden soll).

Aber ganz am Ende hält Das Vorspiel dann noch ein böses Augenzwinkern bereit, das verstehen lässt, warum der Arbeitstitel des Films wohl „Komplizen“ lautete. Ina Weisses Film verdient definitiv mehr Aufmerksamkeit – auch wegen Nina Hoss, die als Anna auf ganzer Linie überzeugt.

Das Vorspiel läuft seit dem 23. Januar 2020 in den deutschen Kinos.

Beitragsbild & Video (c) Port Au Prince Film.

 

 

 

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